madchen5Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Februar 2022, Teil 2

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – Kunst und Künstler: Deutlich restriktiver, enger und grauer wird es dann drei Jahre später in Das Leben der anderen, wo Ulrich Mühe als steifer Stasibeamter im November 1984 im Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen unerbittlich seine Verhöre durchführt. Florian Henckel von Donnersmark - wieder ein Regisseur aus dem Westen - zeichnet hier das beklemmende Bild eines ebenso allgegenwärtigen wie willkürlichen Überwachungsstaates, in dem jedes Geräusch aufgezeichnet und mit Unterstellungen und Verdächtigungen aufgeladen wird.

In besonderem Maße lotet er aus, welche Rolle die Künstler im System einnehmen, und welchen Preis sie unter Umständen bezahlen müssen. Produzent Quirin Berg sagte damals: „Als wir den Film gedreht haben lag der Mauerfall gerade 15 Jahre zurück und ich glaube dieser Abstand war wirklich nötig. Außerdem Filme wie Sonnenallee und Goodbye Lenin!, die das Verhältnis zu diesem Thema mit den Mitteln der Komödie entspannen, so dass wir uns jetzt auf ernsthafte Weise annähern können.“


Offen und neugierig

Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer breitet sich ein neuer Tonfall in den Kinogeschichten über die Folgen der Wende aus: weniger anmaßend und aburteilend, behutsamer, offener, neugieriger, und vor allem differenzierter. Im Wesentlichen kommt er jetzt von Filmemachern, die im Osten sozialisiert wurden. Allein 2018 gab es drei wichtige Filme zum Thema: In den Gängen ist Thomas Stubers Verfilmung einer Kurzgeschichte des aus Halle stammenden Clemens Meyer. In feinen Beobachtungen wird der Mikrokosmos der Angestellten eines irgendwo im Ödland des deutschen Ostens gelegenen Großmarkts entfaltet, in den Arbeitsabläufen, zu denen auch ein nächtlicher Gabelstapler-Walzertanz gehört, in beiläufigen Begegnungen zwischen den Gängen, vor dem Kaffeeautomat im Personal-Aufenthaltsraum, in den Raucherpausen hinter dem Markt, mit Blick durch den Gitterzaun aufs flache Land und die ferne Autobahn. Aller trostlosen Wahrhaftigkeit zum Trotz verleiht der Regisseur dem Lebensgefühl Ost mit Unterstützung des Kameramanns Peter Matjasko einen magischen Kino-Touch, der weder sentimental noch nostalgisch daherkommt. Der besondere Blick der Kamera beschützt diese Menschen, so dass sie auch in prekären Lebenssituationen ihre Würde bewahren.


Andreas Dresen als beständiger Chronist des Wandels

In Gundermann wiederum nutzt der in Gera geborene Andreas Dresen erneut eine intime Lebensgeschichte, um größere gesellschaftspolitische Zusammenhänge zu durchleuchten. Die Menschen ringen damit, dass die Verarbeitung der Vergangenheit in erster Linie eine Frage der Schuldzuweisung ist. Aber vor allem geht es darum, wie brüchig Erinnerung ist, erst recht, wenn es um die eigenen Verfehlungen geht. Im komplizierten Komplex politischer Aufarbeitung von DDR-Geschichte ist diese tastende Suche im Sumpf der Möglichkeiten allemal hilfreicher als vorschnelle Verurteilungen. So ist der Film auch sehr viel mehr als nur die Biografie des widersprüchlichen und früh verstorbenen Nachwende-Liedermachers Gundermann. Es ist ein kluger, einfühlsamer, vielschichtiger und berührender Beitrag zur deutschdeutschen Geschichte, in dem der schöne Satz fällt, der viel ehrlicher und tiefgründiger ist als es jede offizielle Abbitte sein könnte: „Ich werde nicht um Verzeihung bitten. Aber mir selbst kann ich nicht verzeihen.“

Schon 1993, in seinem ersten Spielfilm Stilles Land, hat Dresen die Ereignisse des November 1989 in der Inszenierung von Beckets „Warten auf Godot“ an einem Provinztheater gespiegelt. Schon so kurz nach der Wende wagte er einen Blick zurück auf eine Zeit zwischen Stagnation und Aufbruch, zwischen lähmender Angst und zaghafter Rebellion, zugleich Stillstand und Bewegung. Sehr unmittelbar und authentisch berichtet der Film von den Monaten kurz vor der Wende, von all den Umbrüchen, Hoffnungen und Ängsten. Auch in Als wir träumten beschäftigt sich Dresen 2015 nicht durch die Brille der Ideologie und ganz ohne Schuldzuweisung oder feindliche Übernahme mit der Wendezeit. Seine Verfilmung von Clemens Meyers wuchtigem Jugendroman-Bestseller erzählt von einem Coming of Age, das in die aufregende Wendezeit fällt. Mit der Mauer bröseln auch die alten Werte, ein neuer Rahmen ist noch nicht gesteckt, weshalb mit dem Freiraum auch die Verlorenheit der Jugend noch ein bisschen größer ist. Dresen geht es dabei nicht um angestaubte Rekonstruktion von Zeitgeschichte, sondern um ein universelles Lebensgefühl der Jugend, das durch die besondere Zeit nur zugespitzt wird. Die fünf Jungs Rico, Pitbull, Paul, Dani und Marc sind in den Rückblenden auf das Jahr 1985 dreizehn, haben die DDR also noch erlebt, bevor sie sich 1989 als Siebzehnjährige austoben und ausprobieren, berauschen, randalieren und rebellieren.


Chancen und Gefahren

Der dritte, wichtige Film zum Thema aus dem Jahr 2018 schließlich ist Adam und Evelyn, eine sommerlich unaufgeregte Verfilmung von Ingo Schulzes gleichnamigem „WendeRoman“. Auch hier sorgt der zeitliche Abstand für mehr Achtsamkeit im Blick auf die große Zeitenwende. Sommer 1989, die Zeit der Montagsdemos, während Evelyn vom Kunststudium im Westen träumt, hat sich Adam als Damenschneider im Osten ganz gut eingerichtet. In den Ferien fahren die beiden aus der ländlichen DDR-Provinzidylle in den Urlaub, nach Ungarn an den Balaton. Nach einem Streit beginnen sie die Reise getrennt, sie mit Freundin und Westfreund, er zunächst allein im Wartburg, bald mit einer Tramperin, die auf der Flucht alle Papiere verloren hat. Ganz ohne Aufgeregtheit und Schuldzuweisungsschelte verzahnen Roman und Film die private Beziehungskrise mit der Staatskrise, dem Untergang der DDR. Die luftige Sommerferienstimmung wirkt dabei wie eine schützende Blase, in die nur hier und da die Radiomeldungen von Montagsdemonstrationen und der Öffnung der ungarischen Grenzen nach Österreich dringen. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger bleibt dabei dennoch Raum für dezent kritische Betrachtungen: Was ist damals falsch gelaufen, was hätte anders laufen können? Warum wurden Adam und Eva des Ostens aus dem potenziellen Paradies vertrieben? Fehler, so lautet das Fazit, haben letztlich alle gemacht, weil niemand vorbereitet war, auf die Möglichkeiten und Gefahren der Situation. Es sei ja nun auch höchste Zeit, für behutsamere Betrachtungen, sagt Romanautor Ingo Schultze, „Dieser undifferenzierte Blick, das Abhaken als Unrechtsstaat, hat viel Verwüstung angerichtet.“


Neuester Beitrag zum Deutschdeutschen Mit- und Gegeneinander

Auch Katharina Maria Schubert schaut in DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN genauer und differenzierter. Behutsam erkundet sie, warum der Graben zwischen Ost und West noch immer so groß ist. Dabei spiegelt sie gesellschaftliche Probleme auf vielschichtige Weise in Familienstrukturen, den Konflikt zwischen den Generationen im Clinch zwischen den Systemen und Weltanschauungen. Um Recht oder Unrecht, Sieger oder Verlierer geht es dabei nie. Denn egal, wem man zuhört, jeder hat Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind.

Foto:
© Wild Bunch Germany 2021

Info:
DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN
von Katharina Marie Schubert, D 2021, 107 Min.
mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Ulrike Krumbiegel
Drama / Start: 17.02.2022