belfastSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Februar 2022, Teil 7

Redaktion

London (Weltexpresso) - „Belfast ist eine Stadt der Geschichten“, sagt Kenneth Branagh. „Die späten 1960er-Jahre waren dort turbulente, sehr dramatische und manchmal auch gewalttätige Zeiten – und meine Familie und ich mittendrin. Ich brauchte fünfzig Jahre, um eine angemessene Weise zu finden, darüber zu schreiben und den passenden Ton zu treffen, der mir vorschwebte. Manchmal dauert es einfach lange, um zu verstehen, wie einfach die Sache sein kann, aber die Jahre des Abstands helfen auch dabei, die richtige Perspektive und den geeigneten Fokus zu finden. Die Geschichte meiner Kindheit, die als Inspiration für diesen Films diente, wurde zu einer Geschichte über jenen Punkt im Leben von uns allen, wenn ein Kind erwachsen wird und das Leben seine Unschuld verliert. In Belfast 1969 wurde diese Entwicklung für mich beschleunigt durch den Tumult, der uns alle umgab.“

Er fährt fort: „Zu Beginn des Films erleben wir eine Art nachbarschaftliches, sonnendurchflutetes Idyll, das mit der Ankunft eines Mobs vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Der bricht wie ein Bienenschwarm über die Nachbarschaft herein und legt das friedliche Miteinander quasi in Schutt und Asche. Als er wieder weg ist, ist in den Straßen buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen, und die besorgten Menschen haben plötzlich das Gefühl, sie müssten sich vor einem möglichen weiteren Angriff verbarrikadieren. Genau daran erinnere ich mich. Ich weiß noch, wie sich eines Nachmittags, beinahe in Zeitlupe, unser Leben komplett veränderte. Ich verstand nicht, was ich da für einen Lärm hörte, sah dann den Mob am Ende der Straße – und das Leben war nie wieder so wie vorher. Später erkannte ich das dramatische und universelle Potenzial dieses Moments, denn solche Wendepunkte kennt jeder in seinem Leben. Nur dass sie natürlich nicht immer durch solche externen Ereignisse verdeutlich werden.“

Branagh schrieb das Drehbuch zu BELFAST während des ersten Lockdowns in der Corona-Pandemie 2020. „Während die Geschichte in mir aufkeimte, ging mir auf, dass es darin nicht nur um eine für praktisch jeden wiedererkennbare kleine Familieneinheit geht, die in einer stressigen Situation vor einigen riesigen Lebensentscheidungen steht. Sondern sie erzählt auch von einer anderen, sehr besonderen Art des Lockdowns, innerhalb der Barrikaden am Ende unserer Straße 1969 und innerhalb der wachsenden Zwänge, denen sich die Familie ausgesetzt sieht, während sie mit der Entscheidung ringt, ob sie bleiben oder gehen soll.

Einige der Umstände jener Zeit spiegeln sich also wider in dem, was uns nun im Kontext der Pandemie umtrieb, vom Gefühl des Eingesperrtseins bis hin zu den Sorgen um das eigene Wohlbefinden und das der Familie.“

Beim Versuch, die richtigen Worte für seine Herangehensweise an die Geschichte zu finden, fand Branagh Gefallen an der Art, wie Pedro Almodóvar seinen Film Leid und Herrlichkeit beschrieb: „Er verwendete den Ausdruck Auto-Fiktion. Das Drehbuch basierte auf seinem eigenen Leben, das er aber natürlich auch fiktionalisierte. Genau das Gleiche habe ich auch getan. Ich habe die Geschichte größtenteils aus den Augen dieses Jungen namens Buddy geschrieben, der eine fiktionalisierte Version meiner Selbst ist. Er beginnt, seine Erfahrungen zu filtern im Spiegel der Filme und Serien, die er guckt. Diese Bilder von der großen Leinwand und dem Bildschirm hatten enormen Einfluss auf die Entwicklung meiner Vorstellungskraft, und mir war es wichtig zu zeigen, dass es Buddy genauso geht. Er liebt Western – und weil Belfast damals tatsächlich ein bisschen was von einer Westernstadt hatte, kam es mir manchmal fast so vor, als würde ich einen Western schreiben, der Buddys Kopf entsprungen ist.“

„In den Filmen, die Buddy guckt, gibt es eine klare Vorstellung von Gut und Böse, und daran hält er sich fest, wenn er den Bösewicht sieht, der am Ende der Straße lebt, andere Leute verprügelt und womöglich sogar eine Waffe besitzt“, führt Branagh weiter aus. „Was wir sehen, ist nicht die reale Version eines Lebens, sondern die, die sich in Buddys Kopf abspielt. Fünfzig Jahre später besteht natürlich kein Zweifel daran, dass das, was er sieht, nicht exakt das
Gleiche ist, was ich damals gesehen habe. Aber es steckt ohne Frage eine poetische Wahrheit darin, und wie in den meisten Dramen entspringt das Geschehen einem authentischen Kern. Doch der Ausgangspunkt für alles in diesem Film ist eben immer die Fantasie eines Neunjährigen!“

Der Regisseur fügt hinzu: „Ich hoffe, dass das Publikum sich von Buddys Geschichte unterhalten fühlt. Mir war es wichtig, mit dem Film den Geist und die Lebendigkeit von Belfast ebenso einzufangen wie einen sehr lebensbejahenden Humor. Ich wünsche mir, dass die Menschen die Freude und mitunter auch Sorgen der Stadt spüren und mit der Familie im Zentrum der Geschichte mitfiebern, mit ihnen sympathisieren und sich darin wiedererkennen. Wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer aus diesem Film das Gefühl mitnehmen, dass wir alle nicht alleine sind, dann wäre ich wirklich begeistert.“

Als das Drehbuch zu BELFAST im Frühjahr 2020 vollendet war, nahm das Projekt relativ schnell Gestalt an. Noch im Sommer gingen Casting und Pre-Production über die Bühne, und der Film war schließlich einer der Ersten, der in Nordirland und England wieder außerhalb eines Studios gedreht werden konnte. „Wir gaben uns Mühe, die positiven Aspekte des Drehens zu Pandemie-Bedingungen zu sehen“, betont Branagh. „Dazu gehörte natürlich, dass
das Ensemble in einer Blase leben musste, was schnell ein familiäres Gefühl aufkommen ließ, das ganz wichtig war für das, was uns vorschwebte. Unsere beiden Jungs – Jude Hill als Buddy und Lewis McAskie als Will – fühlten sich in kürzester Zeit wie echte Geschwister und verstanden sich auf Anhieb prächtig mit Lara McDonnell, die Moira spielt.“

Foto:
©Verleih

Info:
Belfast (Großbritannien 2022)
Originaltitel: Belfast
Genre: Drama
Filmlänge: 99 Min.
Drehbuch und Regie: Kenneth Branagh
Darsteller: Jude Hill, Caitriona Balfe, Jamie Dornan, Ciarán Hinds, Judi Dench, Lewis McAskie, Colin Morgan, Lara McDonnell, John Sessions u.a.
Verleih: Universal Pictures International Germany
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 24.02.2022

Abdruck aus dem Presseheft