fuoco sacroSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. April 2022, Teil 9

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was stand am Anfang Ihres Projekts Fuoco sacro?

Eine Stimme. Ohne Bild, ohne Körper. Ich hörte im Autoradio eine CD-Rezension der selten gespielten Oper Zazà von Leoncavallo, und die Stimme dieser Zazà traf mich wie ein Blitz. Da war ein Zittern in dieser Stimme, Verletzlichkeit, Weisheit, Menschlichkeit, wie ich es eigentlich nur von der Callas kannte. Und von Carla Gavazzi, einer wunderbaren Sängerin, die in meinem Film Opera Fanatic auftrat. Es war die Stimme von Ermonela Jaho. Zu Hause habe ich sofort recherchiert, mir Youtube-Videos angesehen und bin dann nach London gefahren, um sie live als Butterfly in Covent Garden zu sehen. Dort gab sie sich so sehr der Rolle hin, zerfiel und starb vor meinen Augen, dass ich dachte: „Wie toll, dass ich das miterleben durfte, aber wie schade, dass dies Ermonela Jahos letzter Abend war. Ich hatte das Gefühl, einem dieser seltenen Momente beizuwohnen, in denen Kunst und Realität miteinander verschmelzen, wie bei Keilberths Tod bei der Aufführung von Tristan.“ Aber Ermonela Jaho war nicht tot. Drei Tage später kam sie gut erholt wieder ins Theater, machte ihr seltsames Aufwärmtraining auf dem Gymnastikball, das ich später kennenlernen sollte, und starb wieder auf offener Bühne vor zweitausend Zuschauern. Da wusste ich, was für einen Film ich machen musste.


Und wie fanden Sie die beiden anderen Protagonisten?

Es sollte kein Porträt werden, sondern ein Film über die äußerst seltenen Grenzüberschreitungen, nach denen wir letztendlich suchen, wenn wir ins Kino gehen. Aber es war mir klar, dass es keine zweite Jaho gibt. Dass es aber eine Sängerin gibt, die die gleichen Grenzen überschreitet, obwohl sie in jeder Hinsicht das Gegenteil von Jaho ist, das wusste ich, und diese Sängerin war Barbara Hannigan. Sie war die Einzige, die mir sofort einfiel. Eine, die intellektuell ist, nachdenklich, cool, experimentierfreudig, geradezu sportlich im Ausprobieren und Ausreizen der eigenen Mittel. Irgendwie gehören diese beiden Frauen in denselben Film, dachte ich, aber wie soll ich das anstellen? Ich will sie nicht gegeneinander ausspielen, und jetzt, wo ich rede, graut mir schon vor dieser falschen Betonung. Als ob Jaho heißblütig und unreflektiert wäre. Blödsinn: Sie weiß genau, was sie tut und wie sie es tun muss. Vielleicht ist sie sogar die Kontrollierte und Hannigan diejenige, die sich dem Affekt hingibt.


Bei zwei Protagonisten ist der Vergleich fast unvermeidlich.

Und deshalb habe ich mich gefragt, wen ich noch hinzufügen sollte, einen männlichen Sänger vielleicht, aber ich kannte niemanden mit dieser Kraft. Und dann hörte ich von den Proben von Romeo Castellucci in Salzburg, die eine große Aufführung der Salome versprachen, und von der Sängerin der Salome, Asmik Grigorian. Sie war gleichzeitig eine tragische Schauspielerin aus der Antike und ein Mensch von heute, textgetreu und völlig frei, ein Teenager und eine Frau. Und da hatte ich die Konstellation, von der ich hoffte, dass sie funktionieren würde.


Man führt Gespräche mit den Sängern, aber vor allem beobachtet man sie in Momenten, die man selten sieht: beim Aufwärmen, kurz vor der Aufführung oder unmittelbar danach.

Ich dachte an Stanislawski, der, bevor er der große Regisseur und Schauspiellehrer wurde, selbst ein Schauspieler war, und zwar ein sehr guter. Als junger Mann spionierte Stanislawski den berühmten Schauspielern seiner Zeit, wie Eleonora Duse oder Tommaso Salvini buchstäblich hinterher, um ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken. Er beobachtete, was sie vor der Aufführung taten, wie ihre Rituale aussahen, wie ihre Garderobe aussah, und so weiter. Er wollte herausfinden, was diese Genies anders machen als ihre normal begabten Kollegen. Genau das habe ich mit den Sängern gemacht.


Und was haben Sie entdeckt?

Ganz einfache Dinge, aber sie sind sehr charakteristisch. Ermonela Jaho zum Beispiel bittet immer um eine Garderobe in einem anderen Stockwerk als ihre Kollegen. Das heißt nicht, dass sie arrogant ist und eine Sonderbehandlung will – ganz und gar nicht, sie ist eine sehr bescheidene Person und sehr kooperativ. Aber sie muss sich auf sich selbst einstellen. Sie kann nicht zehn Minuten vor der Aufführung mit der Suzuki-Sängerin über faule Agenten oder unmusikalische Regisseure reden. Da ist sie schon in ihrer fiktiven Welt. 


Als Dokumentarist ist Ihr Ausgangspunkt ist immer die Realität?

Unbedingt. Und zwar in all ihrer Banalität und Zufälligkeit. Man kann einen Dreh so gut planen und vorhersehen, wie man will – was tatsächlich passiert, ist weitgehend zufällig. Und oft unbedeutend. Es ist reines Rohmaterial, aus dem ich erst im Schnitt die Realität schaffe, die ich mir vorgestellt habe. Und das gilt auch für die Puristen unter den Dokumentarfilmern, die scheinbar die nackte Wirklichkeit abbilden wie Frederick Wiseman.


Aber Sie manipulieren das Filmmaterial nicht.

Das hängt davon ab, wie man Manipulation definiert. Zu Beginn sichten die Cutterin Sarah Levine und ich das gesamte Material. Ich schreibe mit, markiere gute Stellen, mache mir Notizen über mögliche Kombinationen und Platzierungen. Das dauert ewig und ist gerade deshalb der unangenehmste Teil der Arbeit, weil das Material noch so zufällig und ungeformt ist. Dann beginnen wir, die Szenen zu komprimieren, immer noch vorsichtig, mit viel Luft. Indem wir eine Auswahl treffen, lösen wir uns bereits ein wenig von der, sagen wir, alten Realität. Und dann geht es unmerklich in die heiße Phase, wo wir beginnen, Module zu kombinieren, zu verschieben und den Puls des Materials immer mehr zu spüren. Manche Szenen sehe und höre ich tausendmal, es ist wie eine Psychoanalyse. Im Stoff tun sich Falten auf – das kann man sich nicht vorstellen. Alles wird transparent. Ich könnte ein zweihundertseitiges Buch über einen Satz von Asmik Grigorian schreiben, so viel entfaltet sich dort. Ich höre so viele Nuancen und Untertöne. Das ist auch irgendwie pervertiert. Irgendwann sind die Sängerinnen und Sänger nur noch Farben auf der Palette, mit denen ich mein Bild male. Sie brauchen diesen Film ja nicht. Sie dienen meiner Erfüllung, und dafür sollte ich ihnen dankbar sein.


Wie ist es denn, wenn man nach der Fertigstellung eines solchen Werkes die Protagonistinnen wiedertrifft? Die ja wahrscheinlich schon weitergezogen sind?

Ich bin überrascht, dass sie noch am Leben sind.


Wie meinen Sie das?

Wie der Mörder in Süskinds Das Parfüm habe ich sie ausgequetscht, um ihren Duft zu erhalten. Da kann eigentlich nichts mehr übrig sein. Das ist natürlich Blödsinn, aber es beschreibt ein bisschen das Gefühl, das man nach so intensiver Arbeit gegenüber den Protagonistinnen hat. Am Anfang habe ich gar nicht das Bedürfnis, sie noch einmal auf der Bühne zu sehen. Das kommt erst langsam zurück, wenn der Film sein Eigenleben beginnt, unabhängig von mir.


In Fuoco sacro haben Sie eine dritte Form gefunden, den inneren Monolog der Heldinnen.

Die „Inner Films“, wie wir sie nennen. Die Idee war, so nah wie möglich an das heranzukommen, was im Kopf einer Musikerin vor sich geht, während sie singt. Ein Maler kann reden, während er arbeitet, aber eine Sängerin kann das nicht. Ich habe das auch mit Pianisten versucht und bin dabei, daraus eine Reihe von Kurzfilmen zu machen. Was soll das Publikum im Idealfall erleben? Oh, ich möchte immer, dass dem Publikum am Ende die Tränen kommen. Und in diesem Fall hoffe ich, dass sie erleben, was Singen sein kann: ein hörbarer Kuss.


Foto:
©Verleih

Info:
Regie: Jan Schmidt-Garre Fuoco sacro – Suche nach dem heiligen Feuer des Gesangs ist eine Koproduktion der PARS Media mit dem Bayerischen Rundfunk. In Zusammenarbeit mit Arte, NRK, SVT und Naxos Audiovisual. Verleih: PARS Media Vertrieb: barnsteiner – film Drehorte: Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien, Schweden
Kinostart: 21. April 2022 Laufzeit: 93 Minuten Sprachfassung: OmU

Abdruck aus dem Presseheft:
Auszug aus einem Interview von Rebecca Walter mit Jan Schmidt-Garre, geführt im Januar 2022. Das vollständige Interview finden Sie auf https://www.parsmedia.com/texts/fuoco-sacro-a-search-for-the-sacredfire-of-song-interview/