Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 23

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Mit diesem bewegenden und poetischen Film des japanischen Altmeisters Yoji Yamada, der schon neunmal auf der Berlinale Gast war, endeten die Wettbewerbsfilme, die morgen in ihrer Beurteilung durch die Jury preiswürdig werden – oder nicht. Dies war ein sehr gutes Filmjahr und auch dieser Film hat angesichts seiner Allgemeingültigkeit einen Bären verdient.

 

Es ist eine kleine Geschichte von einer großen Liebe, die Yamada in 136 Minuten – das bleibt das Festival der langen Filme! - auf der Leinwand festhält. Er hält tatsächlich etwas fest, was durch den Tod der alleinstehenden Taki ansonsten ausgelöscht würde, denn wie in allen modernen Zivilisationen wird das Leben der Leute nach dem Tod dadurch in alle Winde zerstreut, indem Entsorgungsfirmen Haushalstauflösungen erledigen, in denen die persönlichen Erinnerungen genauso ihr Ende finden wie die Gegenstände.

Hier aber sorgt Takeshi, ein Neffe der unverheirateten und kinderlosen Tante Taki (Haru Kuroki), dafür, daß das vor dem Tod aufgeschriebene Lebenstagebuch, erhalten bleibt, bei dessen Korrektur er schon beim Niederschreiben half. Sein Onkel verteilt die Überbleibsel und fragt die anwesende Verwandtschaft, wer was haben möchte. Der Rest kommt in Behälter zum Weitergeben oder Wegwerfen. So auch ein Bild, das im Schlafzimmer von Taki den Ehrenplatz einnahm und von dem wir erst im Verlauf der Geschichte verstehen, daß es genau um dieses kleine rotgedeckte Haus geht, das wir auf dem Bild sehen. Sahen, muß man sagen, denn es ist ja weg, wird aber in den Rückblenden lebendig.

Die beschriebenen Blätter aber bewahrt Takeshi, dessen ungezwungenen und liebevollen Umgang mit der Tante wir kennenlernen und seine Hilfestellungen, die sogar, aber das kommt erst ganz am Schluß durchaus überraschend, noch über den Tod hinausgehen. Der Film gibt in Rückblenden dieses Lebenstagebuch wieder, wobei Anfang und Schluß nach dem Tod spielen. 1935 ist Taki nach Tokio geschickt worden, um als Haus- und Kindermädchen für den kleinen Sohn bei Familie Hirai in ihrem neugebauten Haus mit rotem Dach in Tokio zu arbeiten. Während Hausherr Masaki, Abteilungsleiter in einer Spielzeugfabrik, davon träumt, daß im Zuge der japanischen Eroberungspolitik der frühen Vierzigerjahre auch seine Firma expandieren könnte, erleben wir, wie seine Frau Gefühle für einen jungen Mann entwickelt, die dieser erwidert. Es ist Shoji Itakura, der später ein berühmter Künstler wird, erst einmal aber mit dem Hausherrn zusammenarbeitet.

 

Wir erleben die heimliche Liebesgeschichte nicht in den Handlungen mit, sondern erfahren über die schriftlichen Erinnerungen der Tante alles über die Gefühle, die die beiden Protagonisten bewegt, wie auch Taki selbst. Das gibt dem Film eine erstaunliche emotionale Tiefe, der man sich nicht entziehen kann, auch nicht will. Man lernt durch diese Art, die Gefühle nicht in den Handlungen zu zeigen, sondern höchstens durch Blick zu erahnen und durch die Erinnerungen ans Licht zu zaubern, eine viel tiefere Dimension von Liebe kennen, als es die Schilderung der konkreten Liebesaffäre auf der Leinwand hätte zeigen können. Von daher ist dem japanischen Regisseur großes Kino, großes Gefühlskino gelungen.

Doch werden darüber hinaus auch noch tragische Elemente eine Rolle spielen, die sich erst ganz am Schluß in ihrer Tragweite zeigen und für die Taki verantwortlich ist. Wir erleben sie den Film über als diejenige, die gegenüber ihrer Herrin, die sie liebevoll behandelt, absolut loyal ist und so eine Liebe leben läßt, die im Japan der Kriegszeit kaum eine Chance gehabt hätte. Wie fein der Regisseur dabei die privaten Gefühle mit dem Szenario des Krieges verwebt und den Geliebten in den Krieg ziehen läßt, was Tokiko fast das Herz bricht, wozu aber eine Entscheidung von Taki stark mit beiträgt, das ist erneut großes Kino.

Am Schluß erfahren wir, warum die Tante beim Niederschreiben gegen Ende ihrer Aufzeichnungen einen heftigen Weinanfall erleidet und finden mit dem Neffen nicht nur den berühmten Künstler, sondern besuchen mit ihm auch den altgewordenen Sohn der Hirais, dem sie den Brief überbringen, der seinen Adressaten damals nicht erreichte. Wehmut liegt über allem, weil der Schmerz um das, was möglich gewesen wäre, aber verhindert wurde, nie zu heilen ist.



Aus der Pressekonferenz

Anwesend:

Yoji Yamada, Regisseur und Drehbuchautor

Haru Kuroki, Taki, das Haus- und Kindermädchen

Hiroshi Fukasawa, Produzenten



Nicht nur der Film gehörte zu den tiefsten Filmerlebnissen, diese anschließend und den Wettbewerb abschließende Pressekonferenz auch. Yoji Yamada zeigt sich als nachdenklicher und um jedes Wort ringender Podiumsteilnehmer. Er erzählte, daß ein Buch die Grundlage des Films wurde. Als er nämlich auf das Buch stieß und sofort las, schrieb er unmittelbar an die Autorin, der Filmrechte wegen, denn er wollte es sofort verfilmen. Er empfindet sich quasi als die letzte Person, die noch über den Krieg erzählen kann.

 

Er berichtet aus seinen eigenen kindlichen Erinnerungen vom erst japanisch-chinesischen, dann dem pazifischen Krieg, den wir Zweiter Weltkrieg nennen, der auf einmal am 15. August 1945 zu Ende war und Japan Verlierer war, was das Volk zuvor nicht ahnte, denn man hat ihm immer nur den Sieg suggeriert.

 

Haru Kuroki wird nach ihren persönlichen Beziehungen zum Thema gefragt, bzw. wie ihre Familie den Krieg erlebte. Sie hatte zwar viel über die Kriegszeiten gelesen, die Dimensionen der Rolle definierte aber der Regisseur. Ein Journalist fragte: „Warum haben Sie Themen ausgesucht, die Sie bisher wohl bewußt ausgelassen haben. Denn Sie haben noch nie eine Liebesgeschichte gedreht!

 

Seine Antwort: „Ich wollte nicht einen Film über den Ehebruch drehen. Ich habe das Buch gelesen und habe gedacht, wie haben diese Leute gelebt. Da ist eine Ehefrau, die einen anderen liebt, es gab in Japan sogar ein Gesetz, daß es Ehefrauen verbot, eine Beziehung zu einem weiteren Mann zu haben, dies war also gesetzlich verboten und wurde strafrechtlich verfolgt. Frauen hatten damals in Japan auch kein Wahlrecht, die Position der Frauen war bis Ende des 2. Weltkrieges eine sehr schwache.Ich wollte die inneren Gefühle der Menschen intensiv vermittelt. Das Innerste des Inneren wird gezeigt.“

 

Wie sehr wir westlichen Zuschauer bestimmte Bilder nicht deuten können, bzw. falsch deuten, wurde exemplarisch durch die Frage deutlich, weshalb der Regisseur am Schluß ein Feuerwerk zeige. Im Kontext war klar, daß es um die Bombardierung des roten Hauses ging, das mitsamt dem Ehepaar verbrannte. Tatsächlich sah das eher wie eine gelungene künstlerisch besonders gelungene Illuminierung aus. Yoji Yamada: „Das liegt daran, daß unsere Bomben anderer Art waren, diese Abwürfe von damals waren längliche Behälter, die wie ein Feuerregen auf die Stadt niedergingen, es sah wunderschön aus, sagten die Leute damals zu den Feuerwerfbomben.

 

Der anwesende Produzent wollte Yamada von Anfang an unterstützen, den Film zu machen und hat sich gegenüber der Autorin und Verlag eingeschaltet. Die Autorin ist erst 1964 geboren, was den Regisseur sehr erstaunte, weil das Buch wirkt, als ob sie die Zeit miterlebt habe, also dabei war. „Ihr Buch war auch geschichtlich korrekt recherchiert, denn ich habe keinen Fehler gefunden. Das alles stimmt mit meinen eigenen Erinnerungen aus der Kindheit überein.“



Die Lieblingsfigur in diesem Film ist der junge Künstler. Wie stehen Sie zu dem?, war eine naheliegende Frage. „Der Herr Itakura, ob ich mich in dieser Rolle wiederfinde. Nein, aber in dem Jungen, denn das war mein eigenes Alter, wir hatten auch eine Haushaltshilfe und es waren immer Studenten zu Besuch, die sehr unterschiedlich waren, einer hat uns Lieder beigebracht: „Das gab's nur einmal, das kommt nie wieder...“, diese intellektuelle Schicht in Japan hatte eine große Sehnsucht nach europäischer, nach westlicher Kultur.“

So wurde die Pressekonferenz auch zu einer anrührenden Geschichtsstunde: „Die Japaner unterscheiden sich tatsächlich darin, ob sie den Krieg noch mitbekommen haben oder nicht. Das ist eine Generationskluft. Die alten Japaner wissen, daß der Krieg eine Tragödie war, eine Katastrophe..und meine Sorge ist, daß die heutige Generation gar nicht mehr weiß, wie schlimm der Krieg war und daß er nie wiederkommen darf. Es geht darum, daß der Krieg nie wieder wiederholt werden darf, der Toten wegen und überhaupt. Es ist wichtig, daß wir 100, 200 Jahre lang erzählen müssen von diesem Krieg, damit er sich nie wieder wiederholt. Die Geschichte des Krieges muß man richtig lernen.“

 

Auf diesem Hintergrund war es naheliegend, nach dem jüngsten politischen Ereignis zu fragen, das die Länder China und Korea so empörte und auch in der westlichen Presse große Beachtung fand: der Besuch des Yasukuni-Schreins durch den japanischen Ministerpräsidenten.Jahrelang war dies unterblieben, weil in ihm sowohl die Täter wie auch die Opfer des Krieges zusammenliegen, auch getötete Kriegsgefangene, weshalb die betroffenen Länder empfindlich reagierten.

 

Yoji Yamada: „Der Yasukuni-Schrein ist ein sehr komplexe Sache, auch in Japan wird immer wieder diskutiert, daß der Ministerpräsident den Schrein besucht hat. Es wurde viel diskutiert, aber es gibt keine Bürgerbewegung oder so etwas, die gegen den Besuch des Yasukuni ist, aber die Mehrheit der Japaner ist meinem Gefühl nach dagegen. Und ich denke, wir sollten dagegen sein, daß der Ministerpräsident den Yasukuni-Schrein offiziell besucht.

 

Sein Wort galt abschließend auch der Situation der Vernichtung von Erinnerungen: „Durch das Entsorgen, verliert sich die Erinnerung. Es wird viele Menschen geben, die vereinsamt sterben und deren Leben durch Entsorgungskisten, in die alles gesteckt wird, aufgelöst wird. Das ist etwas sehr Trauriges, wenn deren Gedächtnis in einem Karton weggeschmissen wird. Ich dagegen sammle alles und lege es in meine Schatzkiste, das sind meine Filme.“.



INFO:



Japan 2014, 136 Min

Japanisch

REGIE

Yoji Yamada

DARSTELLER

Dakota Matsu
Haru Kuroki
Hidetaka Yoshioka
Satoshi Tsumabuki
Chieko Baisho
Takataro Kataoka