Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 10

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Eindrucksvoll ist dieser chinesische Film, der uns in die uns fremde Welt von Blinden führt, wo doch für unsereinen schon China eine Welt für sich ist. Tatsächlich sieht man dem Treiben der einzelnen, deren Blindenschicksal exemplarisch erzählt wird, staunend zu, weil uns das wie auf einem fremden Stern anmutet.

 

 

Allerdings durchaus einem sinnlichen Stern mit Lebensfreude, aber auch Schmerz, wo sogar - und das immer wieder – viel Blut fließt. Aus Sadismus, aber auch Selbsthaß und Selbstzerstörung. Doch meisten lernen wir diese Blinden als warmherzige, einander zugewandte und vor allem hervorragende Masseure kennen. Sie sind gerade ihrer Blindheit wegen in diesem Metier ausgebildet worden, weil sich beim Menschen, was bekannt ist, andere Sinne besonders entwickeln, wenn einer, wie hier der Sehsinn, fehlt und der Tastsinn, also die Hände, um so mehr fühlen lernen. Außerdem wird im Film viel gegessen und das mit großem Vergnügen. Geliebt auch, aber damit hat es eine besondere Bewandtnis.

 

Letzteres bezieht sich auf Ma, mit dem der Film beginnt. Er hat als Kind durch einen Unfall sein Augenlicht verloren, ist ein schöner junger Mann geworden und sein Kollege aus dem Massagesalon schleift ihn mit ins Bordell, wo er sich in eins der Mädchen verliebt. Aber sie auch in ihn; eine heilsame Szene gegen Schluß zeigt uns ein Unglück, infolge dessen Ma dann sein Augenlicht wiedergewinnt. Er eilt schnurstracks zu seiner Schönen und kann jetzt erst sehen, wie schön sie ist; er nimmt ihre Hand und beide verlassen den Puff ...Man hat nie wieder von ihnen gehört.

 

Eine interessante Figur ist auch Dr. Wang, der darunter zu leiden hat, daß sein spielsüchtiger Bruder militante Gläubiger hat, die nun Dr. Wang und die gemeinsamen Eltern für den Sohn bluten lassen. Er ist glücklich mit seiner Verlobten Kong und sie mit ihm, aber sie weiß, daß ihre Eltern einen Blinden niemals als ihren Ehemann akzeptieren werden. Es gibt weitere eindrucksvolle Schicksale, die alle ineinanderverwoben werden, denn die gemeinsame Arbeit in der Massagepraxis ist mehr als nur Arbeit, es ist auch ein gemeinsames Leben, weil alle durch ihre angeborene oder erworbene Blindheit ein tieferes gegenseitiges Fühlen auszeichnet.

 

Für uns, wie gesagt, waren das doppelt fremde Welten. Eine der Blindheit und noch dazu in China, was einen beeindruckt zurückläßt. Beeindruckt auch davon, daß dieses Thema in China auf der Leinwand gezeigt wird und daß ein solcher Film für die Berlinale akzeptiert wird – von den Chinesen wohlverstanden, die mit drei völlig unterschiedlichen Filmen im Wettbewerb vertreten sind. Darunter kein einziger 'politischer' Film, wobei die Welt der Blinden zumindest ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist, während die beiden anderen Filme Thriller, speziell mit chinesichem Hintergrund, sind, die ihre Vorbilder durchaus leicht parodieren, inhaltlich aber ein ausgelaugtes, erledigtes, bitterböses und hoffnungsloses Land zeigen.

Bei allen chinesischen Filmen spielt die Kamera mit, das heißt, daß ihre Bewegungen sich dem Inhalt des Filmes anpassen. Bei den Blinden ist sie tastend und oft unscharf, dann wird etwas in den Blick genommen und ganz nah herangeholt, dann wackelt sie, weil der Blinde angestoßen ist, beispielsweise.

 

 

 

Aus der Pressekonferenz

 

Ma Yingli Drehbuchautorin

Qin Hao, Sha Fumingo

Zhang Lei, Kong

Lou Ye, Regisseur

Guo Xiaodong, Dr. Wang

Huang Xuan, Ma

Huang Lu, Mann, die Prostituierte

Mu Huaipeng, Zhang

 

 

Brisant, das Zusammenleben und Zusammenarbeiten im Massagezentrum, brisant auch die filmische Lösung. Alles wird im Team gelöst. Es war sehr schwierig, diesen Film zu produzieren. Die Atmosphäre im Film kam zustande, weil echte Blinde Blinde spielen, dann aber auch Schauspieler diese darstellen. Grundlage ist ein bekannter Roman, diesen Roman umzusetzen, ist auf der Bühne so schwierig wie im Film.

 

Was bedeutet die Welt der Blinden für den Regisseur und was bedeutet der Ort für Nanjing. Als Guo Xiaodong von der Rolle des Dr. Wang hörte, lehnte er erste einmal ab, weil er vor den Blinden in ihrer Ehrlichkeit und Authentizität eher Angst hatte. Beim Drehen hat er festgestellt, wie toll es war. Die Verkörperung des Ma hat als Vorbereitung lange in einer Blindenschule mit verbundenen Augen geweilt. Mit dem Regisseur zusammen hat er die Rolle festgelegt und die Verhaltensweisen des Ma trainiert.“Ich fühle mich sehr glücklich, daß wir diese Möglichkeit der Zusammenarbeit hatten und bedanke mich.“ Qin Hao wurde von Lou Ye direkt aufgefordert, der auch erst zögerte und jetzt froh über seine Mitarbeit ist.

 

Die Blinde namens Zhang, die erstmals schauspielerte: „Diesen Film zu drehen, war etwas Außerordentliches. Schon der Normale dreht sonst keinen Film, wir Blinde noch weniger. Unglaublich. Der Dreh. Wir hatten gar nicht das Gefühl, einen Film zu drehen, es war wie unser Leben.“ Auch Mu Huipeng ist ein blinder Nichtschauspieler – ein eher dicker, unansehnlicher Mann, der die Augen zusammengekniffen hat, im Film, hat dort eine unglaubliche warmherzige Ausstrahlung. Hier trägt er eine dunkle Brille und erzählt „von der Ausnahmesituation, daß man zusammen ist mit Leuten, die man nur aus dem Kino kennt oder dem Fernsehen oder dem Radio, das ist Wahnsinn. Es war nicht nur interessant, sondern eine Chance für mich und Glück.“

 

Als Ma auf einmal wieder sieht, ist dies im Film nicht weiter wichtig. Ein plötzliches Erlebnis, die Dinge, die man nicht sieht, gibt es. „Nach dem Dreh, hat sich ihre Einstellung verändert, sie sich selbst verändert?“, ist eine Frage. „Nach dem Dreh habe ich viel Dankbarkeit verspürt, daß ich sehen kann, aber auch, daß Blinde nicht anderes sind als ich“, sagt Huang Xuan. Mu Huaipeng erzählt von seinen Emotionen, die dadurch ausgelöst wurden, daß diese Sehenden und noch dazu Berühmtheiten ganz normal mit ihnen waren. Das Filmen war so wie die Zusammenarbeit im Massagesalon, einfach intim, aber gleichberechtigkeit.

 

Huang Lu, die die Prostituierte Mann spielt, war nicht so viel mit den Blinden zusammen, hat sich als Vorbereitung auf ihre Rolle aber im Rotlichtmilieu umgetan, um diese Szene kennenzulernen.