Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sie können es einfach die Franzosen. Sie können solche Filme drehen, die eigentlich vom Plot her schon abgelutscht wären, von daher auch arg vorhersehbar sind, wenn nicht in allen Details, so doch im Ende, wo zwei Personen, hier Männer - stimmt, eigentlich sind es immer Männer! - sich am Anfang ncht leiden können, aus zwei völlig unterschiedlichen Welten kommen, über Höhen und Tiefen - hier einer Autorfahrt - auf einmal im anderen sich selbst entdecken und darum am Schluß die "Besten Freunde" werden. Wobei wir beim Muster wären, das aber im französischen Kino schon sehr viel früher anfängt.
Ich war verblüfft, wie gerne ich in diesem Film die Entwicklung der beiden Figuren verfolgt: hier ein im Laufe seines Arbeitslebens als Besitzer eines veritablen Bestattungsinstituts emotional abgeschliffener, extrem sachlicher und extrem zuverlässiger arbeitswütiger Louis (Bernard Campan), dort ein sich das Leben als eine Reihe von emotionalen Höhepunkten zusammensuchender Fahrrad-Kurierfahrer Igor (Alexandre Jollien), bei dem sofort auffällt, daß er eine Behinderung hat, die ihn einerseits mitteilungsfreudig macht, andererseits körperliche Einbußen bedeuten. Der Film funktioniert auch ohne das zusätzliche Wissen, daß der Darsteller des Igor mit einer zerebralen Lähmung geboren wurde, der sehr früh mit Hilfe der Philosophie sich mit sich und seiner Krankheit zu beschäftigen begann, sein Schicksal mit Hilfe vieler Denker und spiritueller Gedanken als Quelle von Leid ad acta legte, stattdessen sich daraus Kraft holte und eine Energie, die Körper, Seele und Herz durchlebt. Wie sich das ausdrückt? Im Film als ständige Reflektion des Tagesablaufs von Igors, der in jedem Geschehen ein mögliches Lebensmotiv dahinter wittert und deshalb auch nicht zerknirscht und wütend ist, als Louis in seinem eleganten Wagen mitten in sein Fahrrad und seine von Kunden erwartende Waren fährt.
Was für Louis ein ärgerlicher Unfall ist - wie hatten miterlebt, wie das boomende Bestattungsinstitut eine Leiche Paris-Lascaux zu überführen hatte, aber das Personal voll ausgelastet war und deshalb der Chef persönlich den Leichenwagen fährt - , den er mit Geld und guten Worten erledigen will, wird für Igor sofort eine schicksalhafte Begegnung, nein besser: zur Möglichkeit einer schicksalshaften Begegnung. Igor ist nämlich genau der mit dem Möglichkeitssinn, den eigentlich ein anderer erfunden hatte, der aber als Begriff hier wunderbar paßt. Igor hat nämlich für jede Lebenslage den passenden Spruch eines passenden Philosophen bereit - und wenn er einmal daneben liegt, fallen seine Kenntnisse um so mehr auf. Und auch darum ist dieser Film bei ähnlichem Schema doch etwas ganz Besonderes und Eigenes. Zwar ist Igor im 'richtigen Leben' kein Kurierfahrer, aber mit der Behinderung der zerebralen Lähmung geboren, er ist ein Menschenvermittler, der mit seiner Kenntnis der Philosophie auch im eigenen Leben das lebt, was hier Igor an permanenter Kommentierung durch Sprüche zu Lebensweisheiten abliefert. Das nervt nicht, ist aber komisch. Lesen Sie die Beschreibung der Protagonisten und das Interview in den vorangegangenen Artikeln durch. Wie gesagt, der Film funktioniert auch ohne das Wissen über die Verbundenheit der beiden Hauptdarsteller, aber das Glücksgefühl diese Autofahrt hindurch durchläuft sie intensiver, wenn sie darum wissen, daß diese beiden Männer auch im wirklichen Leben Freunde sind und diesen Film zusammen konzipiert und gedreht haben und ihn gemeinsam spielen.
Also der Unfall, Louis will schnell weiter auf seiner Reise nach Lascaux, aber Igor mit dem Hang zum Höheren, sieht hierin eine Chance, endlich einmal wegzukommen und vor allem auch den Fängen seiner besitzergreifenden Mutter zu entkommen. Dies Verhältnis wird liebevoll, aber deutlich geschildert und wir alle kennen solche überversorgenden Mütter, deren Motive wir gerade bei einer zerebralen Lähmung besonders verstehen. Sie will dem Jungen, der doch längst ein Mann ist, helfen, aber sie hindert ihn durch ständige Anrufe permanent am eigenen Leben. Wie nun Igor dem phantasielosen Louis vermittelt, daß es besser sei, wenn er mit ihm führe, geschieht scheibchenweise. So kann ab einem gewissen Punkt Louis gar nicht mehr anders, als sich darauf einzulassen und es beginnt der eigentliche Film, der die Erlebnisse der beiden auf dieser Fahrt schildert, die bestimmt sind durch Igors Behinderung. Denn Louis ist nicht gerne Mittelpunkt des Geschehens, was wiederum Igor liebt. Er weiß um die Irritationen, die seine Behinderung im öffentlichen Raum, in den Restaurants und anderen Plätzen hervorruft und nutzt sie. Er redet mit allen Leuten, ist freundlich zugewandt, spricht Fremde einfach an - und hat wie gesagt, jederzeit einen Philosophenspruch auf den Lippen.
Wir sehen fast im Millimetertempo dabei zu, wie der sachlich-fachliche Bestatter seine freundlich distanzierte Miene und ebensolche Haltung verliert und zu einem Menschen wird. Das hat wie gesagt nichts Plakatives, sondern kommt mit Wahrhaftigkeit daher. Was allerdings die beiden unterwegs erleben, ist wirklich komisch und viele gute Lacher wert, weshalb wir die eigentlichen Höhepunkte, die das Lachen der Zuschauer herausfordern gar nicht weitergeben wollen, sondern nur versprechen können, sie lachen, fühlen sich gut und gehen aus derm Kino mit der Erkenntnis, die Sie eigentlich sowieso hatten, die man aber selten auf der Leinwand so gelungen vorfindet: daß man aus seinem Leben etwas machen kann, etwas machen muß. Das Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied, ist zwar nicht immer richtig, aber in vielen Fällen eben doch. Jeder ist stärker, als es seine Situation eigentlich erlaubt. Man muß sich nur trauen. Trauen, sich selbst zu lieben, sich selbst anzunehmen. Dann tun es die anderen auch.
Wir sehen fast im Millimetertempo dabei zu, wie der sachlich-fachliche Bestatter seine freundlich distanzierte Miene und ebensolche Haltung verliert und zu einem Menschen wird. Das hat wie gesagt nichts Plakatives, sondern kommt mit Wahrhaftigkeit daher. Was allerdings die beiden unterwegs erleben, ist wirklich komisch und viele gute Lacher wert, weshalb wir die eigentlichen Höhepunkte, die das Lachen der Zuschauer herausfordern gar nicht weitergeben wollen, sondern nur versprechen können, sie lachen, fühlen sich gut und gehen aus derm Kino mit der Erkenntnis, die Sie eigentlich sowieso hatten, die man aber selten auf der Leinwand so gelungen vorfindet: daß man aus seinem Leben etwas machen kann, etwas machen muß. Das Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied, ist zwar nicht immer richtig, aber in vielen Fällen eben doch. Jeder ist stärker, als es seine Situation eigentlich erlaubt. Man muß sich nur trauen. Trauen, sich selbst zu lieben, sich selbst anzunehmen. Dann tun es die anderen auch.
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung
LOUIS BERNARD CAMPAN
IGOR ALEXANDRE JOLLIEN
CATHY TIPHAINE DAVIOT
NICOLE JULIE-ANNE ROTH
IGOR'S MUM LA CASTOU
THE PROSTITUTE MARIE BENATI JUDITH MARILYNE CANTO
CAROLINE ANNE-VALÉRIE PAYET
u.v.a.
Stab
DREHBUCH: HELENE GREMILLON, ALEXANDRE JOLLIEN, BERNARD CAMPAN
REGIE: ALEXANDRE JOLLIEN