Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 20. Februar 2014, Teil 2

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Dies war der dritte Film auf der Berlinale, der dem GRAND HOTEL BUDAPEST und MONUMENTS MEN darin folgte, daß rund tausend Journalisten die Pressekonferenz besuchten wollten, die nur ca. 350 Sitze hat. Aus ganz unterschiedlichen Interessen: hier, was Enfant terrible Regisseur Lars von Trier jetzt wieder anstellt.

 

 

 

NYMPHOMANIAC TEIL 1

 

Gar nichts, konnte man sogleich melden, denn er war gar nicht zur Vorstellung seines neuen Films gekommen, weil er seit dem Eklat in Cannes, wo er sich pubertär und schlimmer aufführte, diese Öffentlichkeit scheut und seine Schauspieler Antwort geben läßt. Da sich wohl jeder gut überlegt, ob und warum er unter dem Regiegenie Lars von Trier arbeiten will, waren die Antworten sachbezogen und vernünftig, wenn man von dem unverständlichen Gebrabbel des Shia LaBeoufs absieht, der dann unvermittelt Leine zog, also das Podium verließ.

 

Der Film hält nicht das, wenn sich ein Sexskandal erhofft wurde. Zwar kommen im Film schon in Teil 1 gehörig viele und sehr unterschiedliche Geschlechtsorgane zusammen, aber mit Begehren und erfüllter Lust hat das sehr wenig zu tun, eher bedauert man diese Sexarbeiter in ihrem freudlosen Tun. Die Geschichte ist eine ganz andere, eine, die unser Mitgefühl provoziert und lange aufrechterhält. Der Anfang ist so poetisch wie abgegriffen, wie eine tausendmal gehörte Schallplatte und tausendmal gelesene Szene: inmitten von zarten Schneeflocken, die in sanften Regen übergehen, liegt in einem dunklen Hinterhof bei Nacht eine zusammengeschlagene blutende Frau, die ein älterer Herr, den wir aus dem Haus kommen, einkaufen und zurückkommen sehen, entdeckt, ihr eine Decke bringt und …

 

Nein, so plump zeichnet Lars von Trier die Situation nicht nach. Wir sehen als nächstes diese Frau, die als Joe Charlotte Gainsbourg ist, duschen und ins Besucherbett des Akademikers Seligman, den Stellan Skarsgård gibt, schlüpfen und so stumm und wortkarg sie erst scheint, dann eine Lebensbeichte ablegen. Deshalb eine Beichte und keine Lebensgeschichte, weil aus jedem Wort ihre Verzweiflung an sich selbst als schlechtem Menschen spricht. Das fängt schon mit der Kindheit an...

 

Inhaltlich sind das harte Geschichten, die wir hören, von der Form her aber sehr zivil, denn es läuft in geordneten Bahnen ab, wie in guten Romanen, wo immer wieder der Bezug zum heute durch Einblenden der jetzigen Situation gewahrt wird, ansonsten Rückblenden das Bild bestimmen. Es geht um das Großwerden und ins Leben Treten der jungen Joe, die sexsüchtig wird. Diese nun wird nun den ganzen ersten Teil gespielt von der sehr jungen Stacey Martin, die wie ein Nymphchen durch den Film gleitet, die Unschuld im Blick, auch wenn sie noch so durchtrieben mit ihrer lasziven Freundin Männer aufreißt. Das hat am Anfang wirklich spielerische Elemente und man gönnt es den alten Säcken im Zug und sonstwo, daß sie von den jungen Dingern so verarscht werden.

 

Aber dann kommt die Liebe. Die deutet sich zwar nicht an, als Joe den Nächstbesten bittet, ihr die Jungfernschaft zu nehmen, was dieser Jerome freudestrahlend und pflichterfüllt tut, aber als sehr viel später im Film dieser Jerome als geschniegelter Aufsteiger (Shia Ablaufe) im Büro erscheint, da ist Joe hin und verliebt. Und wo Liebe ist, ist Leid, fühlen wir mehr als Triersche Grundaussage, als daß wir es jetzt schon wüßten, denn wir kennen wirklich nur Teil 1, der von über 145 Minuten auf 110 kinotauglich heruntergekürzt wurde, und dessen Gesamtumfang einschließlich von Teil 2 vier Stunden sein soll. Wir befürchten bei dem wehen Gesicht der Gainsbourg, daß wir im zweiten Teil eine Tränengeschichte von einer Masochistin hören. Darauf freuen wir uns nicht.

 

Aber diesen Teil 1 haben wir ausgesprochen gerne angeschaut. Der Film zieht uns in eine Existenz hinein, jetzt sprechen wir von dem älteren Mann, der im Leben alles auch in anderen Bereichen gespiegelt sieht. Uns waren diese Exkurse nicht langweilig, sondern die Sache selbst, wenn vom Fliegenfischen die Rede war oder die wunderbaren Ausführungen über Bach, die Orgeln und den Kontrapunkt. Das finden wir nicht hergeholt, sondern die Sache selbst. Hier befindet sich Lars von Trier in der guten Tradition der europäischen Erzähler.

 

Daß man im Film immer wieder lachen muß, einfach, weil es komisch wird, ist eine gute Sache wie auch die ebenfalls wie ein Exkurs zu behandelnde Geschichte der betrogenen Ehefrau, die mitsamt der Kinder ihrem Mann zur jungen Joe folgt und dort eine Eifersuchtsszene vom Stapel läßt, die sich gewaschen hat und die Uma Thurman hinreißend gestaltet. Lesen Sie bitte unsere Besprechung von der Berlinale.

 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/2530-nymphomaniac-volume-i-lange-version