Die Jüdischen Filmtage 2022
Romana Reich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main zeigt von Sonntag, 4., bis Sonntag, 18. September, die Vielfalt des zeitgenössischen jüdischen Filmschaffens. In ihrer nunmehr vierten Auflage tragen die Filmtage jüdisches Leben in die Stadt: 25 Filmscreenings, Lesungen, Konzerte und weitere Formate finden in ausgewählten Programmkinos sowie im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum statt. Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine stehend, legt das Festival unter anderem einen Fokus auf ukrainische, postsowjetische und osteuropäische jüdische Lebenswelten.
Eröffnet werden die Jüdischen Filmtage mit Pola Becks Literaturverfilmung „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ nach Olga Grjasnowas gleichnamigem Debütroman – einer Produktion, die von Flucht und Ankommen, Präsenz und Abwesenheit und dem Gefühl des Dazwischenseins erzählt.
Ukrainische und polnische Produktionen zeigt an zwei Abenden das vom goEast Filmfestival kuratierte Freiluftkino im Herzstück des jüdischen Lebens in Frankfurt, dem Ignatz Bubis-Gemeindezentrum: Paweł Łozińskis Dokumentation „Der Balkonfilm“ fängt zu verschiedenen Tag- und Nachtzeiten die persönlichen Geschichten von Warschauer Passantinnen und Passanten ein, während Antonio Lukichs Roadmovie „My Thoughts Are Silent“ mit viel Situationskomik von einer Reise von Kyjiw nach Uschgorod erzählt.
Der Dokumentarfilm „The War of Raya Sinitsina“ zeigt die Begegnung des jungen israelischen Filmemachers Efim Graboy mit der selbstbewussten Weltkriegsveteranin Raya Sinitsina. Eines der schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts nimmt Sergei Loznitsa mithilfe deutscher und sowjetischer Archivaufnahmen in „Babyn Jar. Kontext“ in den Blick.
Lesungen und Konzerte erweitern das Filmerlebnis
Das Festival macht zudem Film in anderen Facetten erlebbar. In einer musikalisch eingerahmten szenischen Lesung erzählt Alice Brauner die bewegte Lebensgeschichte ihrer Eltern – des legendären Filmproduzenten Artur „Atze“ Brauner und seiner Frau Maria: Sie handelt vom Überleben, großem Kino und der Macht der Liebe.
Der Pianist Itay Dvori widmet sich in einem mit Graphic Novels unterlegten Konzert den Biografien von fünf prägenden deutsch-jüdischen Frauenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: der Philosophin Hannah Arendt, der Rabbinerin Regina Jonas, der Mathematikerin Emmy Noether, der Dichterin Mascha Kaléko und der Schauspielerin Hanna Maron.
Israelische Filme erzählen wahre Geschichten
Auch die Vielseitigkeit des israelischen Films spiegelt sich im diesjährigen Festivalprogramm wider: „April 7, 1980“ lässt die wahre Geschichte einer Nacht kurz vor dem Pessach-Fest, in der Terroristen in einen Kibbuz eindrangen, um Geiseln zu nehmen, aus verschiedenen Perspektiven sichtbar werden. Der Film feiert bei den Jüdischen Filmtagen seine Deutschlandpremiere in Anwesenheit des in Frankfurt am Main lebenden Regisseurs und Trägers des Hessischen Filmpreises Nadav Schirman.
In der Dokumentation „Grossman“ gewährt einer der renommiertesten Schriftsteller Israels, David Grossman, weitreichende Einblicke in sein Leben, Denken und literarisches Schaffen. Das von einer doppelten Tragödie geprägte Leben des 2018 verstorbenen, international angesehenen israelischen Schriftstellers Amos Oz steht im Fokus von Yair Qedars Produktion „The Fourth Window“.
Jiddische Lebenswelten und queere Akzente
Die diesjährigen Filmtage fokussieren auch jiddische Lebenswelten: „Mamele“, eine 1938 in Polen entstandene musikalische Komödie, ist in einer neu-restaurierten Fassung zu sehen. Die strapaziöse Auswanderung der Eltern des Regisseurs Samy Szlingerbaum aus Polen nach Brüssel zwei Jahre nach Kriegsende ist Thema seines Films „Bruxelles-Transit“ aus dem Jahr 1980.
In Kooperation mit dem queerfilmfestival setzt das Festival zudem schwule und lesbische Akzente. Während der 2022 erschienene israelische Spielfilm „Concerned Citizen“ vom wankenden Selbstverständnis eines schwulen Paares in einem gentrifizierten Viertel im Süden Tel Avivs handelt, rekonstruiert die Dokumentation „Nelly & Nadine“ die bemerkenswerte Liebesgeschichte zweier Frauen, die sich 1944 im KZ Ravensbrück kennenlernten.
Bandbreite und Relevanz in Gegenwart und Geschichte
„Die Jüdischen Filmtage öffnen den Blick für gesellschaftspolitische Debatten und Krisen der Gegenwart und gewähren zugleich Einblicke in historische Kontexte jüdischen Lebens. Sie stehen für sichtbare Vielfalt. In ihrer fortwirkenden Relevanz sind die Jüdischen Filmtage zu einer festen Institution in Frankfurts Kulturlandschaft gereift“, sagt Kultur- und Wissenschaftsdezernentin lna Hartwig.
Marc Grünbaum, Mitglied des Vorstands und Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, ergänzt: „Mit unserem diesjährigen Fokus auf ukrainische, postsowjetische und osteuropäische Lebenswelten setzen wir ein Zeichen. Darüber hinaus freuen wir uns auf weitere Programmhöhepunkte – insbesondere darauf, Alice Brauner in Frankfurt begrüßen zu dürfen und damit das Leben ihres Vaters Artur Brauner, eines einzigartigen jüdischen Filmproduzenten der Nachkriegszeit, zu würdigen.“
„Die thematische Bandbreite der Jüdischen Filmtage wäre nicht ohne die Programmkinos, Kooperationspartner und Förderer zu verwirklichen gewesen, für deren Unterstützung wir herzlichst danken“, unterstreicht Grünbaum.
Fotos:
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Info:
Das vollständige Programm der Jüdischen Filmtage und alle weiteren Informationen finden sich unter juedische-filmtage.com und unter jg-ffm.de im Kalender. Mögliche Programmänderungen werden ebenfalls auf diesen Plattformen sowie auf den Facebook- und Instagram-Kanälen kommuniziert unter @juedischegemeindeffm und @juedischegemeindeffm_kultur.
Jüdische Kultur mitten in Frankfurt
Die Jüdischen Kulturwochen, 1980 auf Initiative von Michel Friedman und Hilmar Hoffmann entstanden, sind seit über 40 Jahren ein fester Bestandteil des Kulturprogramms der Jüdischen Gemeinde und der Stadt Frankfurt. Die Jüdischen Kulturwochen finden im jährlichen Wechsel mit den Jüdischen Filmtagen statt.
Fotos
Alice Brauner, Foto: Daniela Incoronato
Ina Hartwig, Copyright: Stadt Frankfurt am Main, Foto: Salome Roessler
Marc Grünbaum, Foto: Jens Ihnken
Itay Dvori, im Hintergrund: Comic von Cyril Pedrosa, Foto: Peter C. Theis
Kontakt für die Medien
Eugen El, Leitung Kommunikation und Digitalisierung, Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K.d.ö.R., Telefon 069/768036141, E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!