Berlin (Weltexpresso) - Känguru: Ich soll dich interviewen.
Marc-Uwe: Super gerne. Aber gerade ist es leider schlecht ...
Känguru: Es ist immer schlecht. Setz dich und gib Antwort!
Marc-Uwe Kling setzt sich. Er seufzt.
Känguru: Herr Kling, was hat Sie dazu getrieben, diesmal selbst Regie ...
Marc-Uwe: Ist irgendwie seltsam, wenn du mich Herr Kling nennst.
Känguru: Herr Bullshitski, was hat Sie ...
Marc-Uwe: Herr was?
Känguru: Dieser Name passt dem feinen Herrn auch nicht?
Kling tippt auf seinem Handy. Er hält es sich ans Ohr. Nimmt es wieder weg.
Marc-Uwe: Geht nicht ran.
Känguru: Also, Herr ...
Marc-Uwe: ... Kling ist okay ...
Känguru: ... Kling ... selber Regie geführt ... bla bla bla ... Warum?
Marc-Uwe: Warum nicht?
Känguru: Wow. Nicht zu viele Worte auf einmal bitte!
Marc-Uwe: Einen Film zu machen ist ungefähr so, als wolle man einen großen Felsbrocken von einem Berg runterstürzen. Es ist superschwer, ihn loszutreten. Man schafft es nicht allein. Kommt er auf einem Plateau zum Liegen, muss man eigentlich von vorne anfangen. Aber wenn er erstmal richtig rollt, dann isses schwer, die Richtung zu ändern. Deswegen ist es gut, wenn man beim Lostreten dabei ist. Keinesfalls kriegt man den Fels übrigens zurück auf den Berg. Manchmal wird man vom Fels überrollt. Manchmal überrollt er Andere. Und all das tut man, damit die Leute im Tal, an denen der Fels vorbeirauscht, sagen: »Genial, wie der Fels durchs Dorf gerollt ist.« Und nicht, was die viel näherliegende Reaktion wäre: »Äh, warum zum Teufel haben die einen solchen Aufwand betrieben, um einen Felsen vom Berg hinabzustürzen?«
Känguru: Kennst du das, wenn du so im Gespräch mit jemandem bist und plötzlich läuft dem eine Metapher Amok?
Marc-Uwe: Und man muss den Fels ja nicht nur den Berg hinunterstürzen, sondern auch noch auf dem Weg ins Tal behauen!
Känguru: Was, würdest du sagen, waren die Hauptschwierigkeiten?
Marc-Uwe: Abgesehen von deinem Verhalten am Set?
Känguru: Davon abgesehen.
Marc-Uwe: Das Problem lässt sich in Zahlen darstellen. 24 Bilder pro Sekunde. Die Känguru-Verschwörung besteht aus fast hundertfünfzigtausend Bildern. Und jedes davon sollte stimmen und zu den anderen passen. Total absurd. Ich muss sagen, die ganze Prozedur hat meinen Blick auf Filme an sich verändert. Känguru: Das habe ich schon gemerkt.
Marc-Uwe: Inwiefern?
Känguru: Na, wenn wir ins Kino gehen und der Film enttäuscht irgendwie, und ich meckere wie früher, dann sagst du neuerdings immer: »Aber hast du auch nur eine Ahnung davon, WIE VIEL ARBEIT das gewesen sein muss? Die haben sich bestimmt voll Mühe gegeben!«
Marc-Uwe: Ja! Das kann man doch mal anerkennen!
Känguru: Filmleute sagen übrigens gern und häufig (zu häufig eigentlich), dass ein Film dreimal entsteht.
Marc-Uwe: War das eine Frage? Ich hab‘ irgendwie das Fragezeichen verpasst.
Känguru: Erörtere!
Marc-Uwe: Was? Das mit dem dreimal entstehen?
Känguru: Ja. So mit Einleitung, Hauptteil, Schluss.
Marc-Uwe: Okay. Warte. Lass mich überlegen. Du - das war die Einleitung - kannst mich - Hauptteil - mal - Schluss.
Känguru: Jetzt reiß dich zusammen! Glaubst du, mir macht das Spaß?
Marc-Uwe: Auf eine sadistische Art und Weise, ja.
Känguru: Möglich. Also, ein Film entsteht dreimal.
Marc-Uwe: Ja, so sagen Filmleute häufig.
Känguru: Zu häufig eigentlich.
Marc-Uwe: Beim Schreiben, beim Drehen und beim Schneiden. Aber das ist noch untertrieben. Unser Film zum Beispiel ist mindestens sechsmal entstanden. Beim Schreiben, beim Storyboarden, beim Drehen, beim Schneiden, durch die Visual Effects, und zu guter Letzt im Ton.
Känguru: Jetzt musst du schnell ranken, sonst werde ich mich langweilen.
Marc-Uwe: Schwierig. Also Schreiben fand ich natürlich gut. Leider werde ich mich nie wieder so frei an ein Drehbuch setzen können wie dieses Mal. Känguru: Zumindest nicht, wenn du den Quatsch danach selber umsetzen musst.
Marc-Uwe: Ja. Kaninchen zum Beispiel. Machen einfach nicht, was man aufgeschrieben hat. Können ihren Text nicht.
Känguru: Haben wahrscheinlich kein einziges Mal ins Drehbuch geguckt.
Marc-Uwe: Von Kängurus will ich gar nicht reden.
Känguru: Besser für dich. Ich hätte sonst auch einiges zu erzählen. Marc-Uwe: Storyboarden ist auch ziemlich nice. Und das Beste an einem Storyboard ist, man wird ja ständig von allen Leuten im Team gefragt, wie man sich dies und das vorstellt, und dann kann man immer antworten: »So wie im Storyboard.« Känguru: Und das geht so lange gut, bis man das zu den Produzenten sagt und die sagen: »Äh, so wie im Storyboard würde die eine Minute Fake-Trailer am Anfang des Films das halbe Budget fressen.«
Marc-Uwe: Ja. Dann muss man improvisieren.
Känguru: Und wie war der Dreh für dich? Ich musste ja feststellen, dass das angeblich so glamouröse Filmgeschäft hauptsächlich aus Warten und Frieren besteht. Da steht man dann im Januar auf einem offenen Bahnsteig und muss so tun als wäre es Sommer.
Marc-Uwe: Ich hatte gehörigen Respekt vor den Dreharbeiten und befürchtet, dass es das Stressigste werden würde, was ich je gemacht habe.
Känguru: Und?
Marc-Uwe: Ja. War so.
Känguru: Aha.
Marc-Uwe: Egal, wie viel Geld und Zeit man hat, beides reicht niemals. Außerdem habe ich mehr als einmal die Autoren verflucht, die sich so unverfilmbares Zeugs ausgedacht haben. Kaninchen! Mehr Drehorte als Drehtage! Die ätzendsten Motive überhaupt: ein Bahnhof, eine Messe, eine Kirche, ein Flughafen, ein Tagebau.
Känguru: Fehlte eigentlich nur das Weiße Haus und der Kreml.
Marc-Uwe: Fun Fact: Als wir bei einem hiesigen Tagebau um eine Drehgenehmigung gebeten haben, hieß es, ja, wir könnten da schon drehen, aber nur, wenn es in unserem Film thematisch NICHT um menschengemachte Umweltzerstörung gehen würde. Das war dann natürlich Pech, weil von allen Myriaden möglicher Themen zufälligerweise genau das unser Thema ist. Darum mussten wir das in Tschechien drehen. Die haben nicht mal gefragt, worum es im Film geht.
Känguru: Jetzt erzähl noch die Geschichte mit dem Flughafen.
Marc-Uwe: Okay. Also wir wollten im Sicherheitsbereich eines Flughafens drehen. Der Beutel muss aufs Band und so. Zum Glück hat Berlin ja stillgelegte Flughäfen im Überfluss. Easy. Schönefeld will sogar ein nicht mehr gebrauchtes Terminal gezielt als Filmkulisse zur Verfügung stellen. Also nix wie hin. Leider hatte der Sicherheitsmann trotz eines beeindruckend großen Schlüsselbunds nicht den Schlüssel zum Sicherheitsbereich. Doch dann kam sein Chef mit einem noch größeren Schlüsselbund, aber ebenfalls ohne den passenden. Dann kam seine Chefin. Noch mehr Schlüssel. Keiner passte.
Känguru: Ein echtes Schlüsselerlebnis.
Marc-Uwe: So fuhren wir nach zwei Stunden wieder ab, ohne unseren Drehort gesehen zu haben, was mich zu der Vermutung brachte, dass der BER tatsächlich schon seit 2006 fertig war. Es hat nur leider keiner den Schlüssel dafür gefunden. War im Endeffekt aber auch egal, dass wir den Sicherheitsbereich nicht angucken konnten, denn obwohl wir die Erlaubnis vom Flughafen Schönefeld hatten, hat uns die Bundespolizei, der die Durchleuchtemaschinen gehören, das Drehen im ehemaligen Sicherheitsbereich untersagt, und zwar mit der Begründung, »dass Tiere so nicht prozessiert werden würden.« Und so kam es, dass wir den Flughafen im Flughafen nachbauen mussten. Also den Sicherheitsbereich im Empfangsbereich. Und zwar am Morgen des Drehtags, weil wir am Abend zuvor mitgeteilt bekommen haben, dass wir die Kulissen aus Brandschutzgründen nicht über Nacht stehen lassen dürfen.
Känguru: Witzig.
Marc-Uwe: Im Nachhinein schon. Aber ich will nicht zu viel meckern. Natürlich gibt es auch die anderen Tage, an denen man sich einfach freut, dass man so tolle Schauspielerinnen und Schauspieler hat, die überdies sogar das Drehbuch gelesen haben – im Gegensatz zu den Kaninchen.
Känguru: Wahrscheinlich bist du vertraglich verpflichtet so etwas zu sagen, aber es langweilt mich hart.
Marc-Uwe: Du wolltest mich doch interviewen.
Känguru: Okay. Bla, bla, bla. Erzähl was übers Schneiden.
Marc-Uwe: Einen Film zu schneiden ist wie ein 10.000-Teile-Puzzle zu machen, man hat aber 100.000 Teile. Und die Teile sind doppelseitig. Und man kann unterschiedliche Bilder daraus puzzeln.
Känguru: Oh nein! Ich habe wieder eine dieser Metaphern getriggert.
Marc-Uwe: Und man kann sich auch Teile selber malen, man kann Teile doppelt benutzen, man kann Teile auseinanderschneiden und mit anderen zusammenkleben. Merkwürdigerweise hasse ich puzzlen, aber das Schneiden hat mir sehr viel Spaß gemacht. Außerdem kann man beim Schneiden schön über den Regisseur schimpfen und den Murks, den er gedreht hat (»Was machen denn die Kaninchen da? Die fressen ja einfach Gras! Die sollten doch über den Bahnsteig hoppeln!«), und dann freut man sich, wenn man eine Idee hat, wie man dem Drehteam mal wieder den Arsch retten kann, denn was Filmleute auch gerne und häufig sagen ist ja: »Das fixen wir in der Post.«
Känguru: Das heißt, dass die Probleme so groß sind, dass sie sich in der nächstbesten, inzwischen leerstehenden Filiale eines ehemaligen Versanddienstleistungsmonopolisten intravenös Heroin spritzen wollen?
Marc-Uwe: Könnte man meinen. Es bedeutet aber nur, dass man ein am Set unerwartet auftauchendes Problem, sagen wir, ein plötzlich vorhandener Covid-TestContainer mitten auf dem Parkplatz, wo man eigentlich drehen wollte ...
Känguru: ... oder ein Kaninchen, das das Drehbuch nicht gelesen hat ...
Marc-Uwe: ... den Leuten überhilft, die am Ende die hundertfünfzigtausend Bilder am Computer bearbeiten.
Känguru: Die, die Spezialeffekte machen...
Marc-Uwe: Nee. Das sind keine Spezialeffekte (SFX), sondern Visuelle Effekte (VFX). Um diesen Anfängerfehler nicht ständig zu wiederholen, habe ich mir einen Reim drauf gemacht: »SFX nennt man es, wenn’s am Set kracht! VFX heißt’s, wenn’s der Computer macht.«
Känguru: Hui. Da ist aber mal wieder der Kleinkünstler mit dir durchgegangen.
Marc-Uwe: Leider kostet ein VFX-Shot gerne mal so viel wie ein Kleinwagen. Ist also keine Lösung, die man überstrapazieren sollte.
Känguru: Was denn für ein Kleinwagen?
Marc-Uwe: Weiß nicht, aber der Kleinwagen ist eine von Filmleuten gerne und häufig (zu häufig eigentlich) benutzte Geldeinheit. Ein deutscher Drehtag kostet zum Beispiel durchschnittlich drei Kleinwagen. Ein amerikanischer eher dreißig bis dreihundert.
Känguru: Deswegen sind deren Filme oft besser?
Marc-Uwe: Könnte damit zu tun haben. Oder sagen wir mal, wenn das Kaninchen aus dem Computer ein paar Kleinwagen kosten würde, aber der Produktionsparkplatz schon leer ist, dann muss man dem Regisseur halt doch wieder im Schnitt den Arsch retten ...
Känguru: Noch ein Fun Fact zum Ton?
Marc-Uwe: Okay. Ich habe gelernt, dass der natürliche Feind des Sound Designers der ... rate mal ...
Känguru: Keine Ahnung.
Marc-Uwe: ... Ornithologe ist. Da setzt man nämlich, ohne sich was Böses dabei zu denken, ein nettes Vogelpfeifen in ein Tonloch und dann kannst du dir sicher sein, dass sich irgendwann ein Ornithologe bei dir meldet und sagt: »Der Brunftschrei des Distelfinks im April in Kreuzberg? Ich glaube kaum.«
Känguru: Zu guter Letzt möchte ich noch ein heikles Thema ansprechen. Es gibt ja diese Verschwörungstheorie, wie soll ich es sagen, es gibt Leute, die behaupten, es gäbe dich gar nicht.
Marc-Uwe: Wie bitte?
Känguru: Diese Leute behaupten, ich hätte mir meinen Kleinkünstler-Mitbewohner nur ausgedacht.
Marc-Uwe: Da fällt mir nichts mehr dazu ein.
Känguru: Aha. Irgendwelche letzten Worte?
Marc-Uwe: Äh ... ja. Natürlich hoffe ich, dass deinen Fans der Storyboard-Comic und natürlich auch der Film gefällt. Wir haben uns auf jeden Fall voll Mühe gegeben.
Känguru: Herr Bullshitski, ich danke Ihnen für dieses viel zu lange Gespräch.
Marc-Uwe: Du mich auch.
Foto:
©Verleih
Infos:
Die Känguru-Verschwörung, D 2022, 103 Minuten, FSK 6 Jahre, Regie Marc-Uwe Kling / Alexander Berner mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Michael Ostrowski und anderen
Abdruck aus dem Presseheft
Marc-Uwe: Leider kostet ein VFX-Shot gerne mal so viel wie ein Kleinwagen. Ist also keine Lösung, die man überstrapazieren sollte.
Känguru: Was denn für ein Kleinwagen?
Marc-Uwe: Weiß nicht, aber der Kleinwagen ist eine von Filmleuten gerne und häufig (zu häufig eigentlich) benutzte Geldeinheit. Ein deutscher Drehtag kostet zum Beispiel durchschnittlich drei Kleinwagen. Ein amerikanischer eher dreißig bis dreihundert.
Känguru: Deswegen sind deren Filme oft besser?
Marc-Uwe: Könnte damit zu tun haben. Oder sagen wir mal, wenn das Kaninchen aus dem Computer ein paar Kleinwagen kosten würde, aber der Produktionsparkplatz schon leer ist, dann muss man dem Regisseur halt doch wieder im Schnitt den Arsch retten ...
Känguru: Noch ein Fun Fact zum Ton?
Marc-Uwe: Okay. Ich habe gelernt, dass der natürliche Feind des Sound Designers der ... rate mal ...
Känguru: Keine Ahnung.
Marc-Uwe: ... Ornithologe ist. Da setzt man nämlich, ohne sich was Böses dabei zu denken, ein nettes Vogelpfeifen in ein Tonloch und dann kannst du dir sicher sein, dass sich irgendwann ein Ornithologe bei dir meldet und sagt: »Der Brunftschrei des Distelfinks im April in Kreuzberg? Ich glaube kaum.«
Känguru: Zu guter Letzt möchte ich noch ein heikles Thema ansprechen. Es gibt ja diese Verschwörungstheorie, wie soll ich es sagen, es gibt Leute, die behaupten, es gäbe dich gar nicht.
Marc-Uwe: Wie bitte?
Känguru: Diese Leute behaupten, ich hätte mir meinen Kleinkünstler-Mitbewohner nur ausgedacht.
Marc-Uwe: Da fällt mir nichts mehr dazu ein.
Känguru: Aha. Irgendwelche letzten Worte?
Marc-Uwe: Äh ... ja. Natürlich hoffe ich, dass deinen Fans der Storyboard-Comic und natürlich auch der Film gefällt. Wir haben uns auf jeden Fall voll Mühe gegeben.
Känguru: Herr Bullshitski, ich danke Ihnen für dieses viel zu lange Gespräch.
Marc-Uwe: Du mich auch.
Foto:
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Die Känguru-Verschwörung, D 2022, 103 Minuten, FSK 6 Jahre, Regie Marc-Uwe Kling / Alexander Berner mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Michael Ostrowski und anderen
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