bm lovedeutschmarksanddeath RWD MEDIA MODULESerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. September 2022, Teil 6

Eva Mittmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Von den Anfängen türkischer Popkultur in Deutschland handelt dieser Film: „Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“, der gestern in den Kinos angelaufen ist. Eine ausführliche Besprechung des Films findet sich bereits in WELTEXPRESSO: 
                                                                                       https://weltexpresso.de/index.php/kino/26438-taxi-to-germany


Jetzt nun ergänzend dazu ein Interview mit Cem Kaya, dem Regisseur dieses wunderbaren Films.

CK: Das Thema „Musik von türkeistämmigen Migrantinnen und Migranten in Deutschland“ tauchte seinerzeit sehr groß in den Medien auf: Die großen Feuilletons hatten bereits darüber geschrieben Ozan Ata Canani hatte eine zweite Karriere begonnen und dieser „Hype“ um diese Musik hat eine große „Compilation“ (*Zusammenstellung) ausgelöst. Die Schallplatten „Songs of Gastarbeiter“ von Imran Ayata und Bülent Kullukcu waren gerade erschienen.

Diese Musiker haben zum ersten Mal auf dieser „Compilation“ darauf aufmerksam gemacht, dass sich eine unabhängige, eigenständige Musik-Kultur hier in Deutschland entwickelt hat und haben uns einfach ein paar Songs vorgestellt, die ich eigentlich hätte kennen sollen. Aber ich kannte die meisten dieser Lieder nicht, weil das ja die Musik der ersten Generation war – und ich bin ja 76 geboren. Und dies hat bei vielen Menschen der Nachfolgegeneration – also nicht nur bei mir – etwas ausgelöst: Wir haben aus einmal nach Deutschland geschaut, wohingegen wir früher immer in die Türkei geschaut haben – Popkultur oder türkische Popkultur. Und dann gab es zu der Zeit im Zusammenhang mit dem ‚Anwerbeabkommen‘ unheimlich viele Projekte just zu dem oder zu ähnlichen Themen, auch museale Projekte: Es gab Ausstellungen, unterschiedliche Filmprojekte. Viele Leute hatten die gleiche Idee und meine Mitstreiter, meine Co-Autoren Ufuk Cam und Mehmet Akif Büyükatalay, die haben mir irgendwann dann auch angefragt, ob ich nicht Lust habe, diesen Film gemeinsam mit ihnen zu drehen. Warum? Weil ich eben davor schon viel mit Archivmaterial gemacht habe. Auch schon über türkische Popkultur und da meine Erfahrungswerte für so einen Film ganz wichtig waren.

EM: Ja, ich habe damals nur am Rande davon erfahren, weil diese Musik ja meistens unter Türken stattfand, da sie vorwiegend bei türkischen Hochzeiten gespielt wurde. Später haben mir die Kinder auch während des Musikunterrichts davon erzählt und damals auch mal Kassettenaufnahmen vorgestellt. Jahre später war ich dann zur Hochzeit einer Kollegin eingeladen und konnte die Musik erstmalig live genießen. Das bringt mich zur nächsten Frage: Die alternative kulturelle Reise, wie konnte die Dir gelingen und wie hast Du eigentlich deine Schulzeit erlebt?

CK: Ich persönlich hatte damit keine Probleme, weil ich ein aufgeweckter junger Kerl war, aber wir haben ja gesehen, was so in unserem Umfeld passierte. Ich glaube, man kann folgendes sagen: Die zweite Generation hatte es sogar ein bisschen schwieriger als die erste, weil sie es sich ja nicht aussuchen konnten, wo sie leben wollen, wo sie hingeschickt werden als Kinder, weil sie ja in Deutschland geboren wurden. Die ältere Generation hatte ja ein gewisses Ziel vor Augen: Ok, wir gehen dahin, wir arbeiten. Vielleicht gehen wir zurück, vielleicht nicht. Aber für die Kinder in der zweiten Generation war es schon ein bisschen schwieriger. Zum Beispiel waren viele aus der zweiten Generation erstmal bei Oma und Opa in der Türkei noch „geparkt“ sozusagen und irgendwann kamen die dann zur Familie dazu. Da waren die dann aber schon fünf, sieben, zehn, zwölf Jahre alt. Und als sie dann nach Deutschland kamen, hatten die natürlich Sprachprobleme und auch natürlich Anpassungsprobleme – schon allein wegen der Freunde, die sie hatten und die sie auf einmal verlassen mussten. Das war die eine Seite und auf der anderen Seite waren in Deutschland die Strukturen überhaupt noch nicht so weit, um überhaupt diese Kinder einzugliedern. Es gab z.B. das Phänomen der „Türkischen Klassen“, wo die türkischen Kids in die türkische Klasse kamen mit einer türkischen Lehrerin, die eigentlich auch nur schlechtes Deutsch sprechen konnte. Und dann wurde diese Kinder erstmal ein paar Jahre in diesen türkischen Klassen belassen, weil man gedacht hat, man darf die jetzt nicht gleich mit den deutschen Kids gleich vermischen, weil die dann möglicherweise gar nicht mehr mitkommen.

EM: Das gab es an unserer Schule noch zu späterer Zeit übrigens auch. Diese Kinder hatten auch zunächst nur eine türkische Lehrerin; man nannte es “Intensivklasse“. Intensivklasse deshalb, um auszudrücken, dass die Kinder intensiv mit der deutschen Sprache vertraut gemacht werden sollten, aber das war im Grunde genommen nicht möglich mit einer nicht muttersprachlich deutschen Lehrerin.

CK: Ja, genau das meine ich ja, denn die türkische Lehrerin spricht halt auch gebrochenes Deutsch.

EM: Es war widersprüchlich.

CK: Ja, genau. Und dann waren die womöglich noch vom Türkischen Kultusministerium eingesetzt. Vielleicht waren die gar nicht so kompetent. Also solche Sachen sind geschehen. Auf jeden Fall die es die Kinder schwer. Und allein wegen der Sprachprobleme haben es die wenigstens aus Gymnasium geschafft. Also das Maximum war die Realschule. Und viele, die darüber hinaus noch Schwierigkeiten hatten- es sind ja psychologische Schwierigkeiten, die diese Kids hatten, die sind dadurch auch auf Sonderschulen gelandet. Einfach deshalb, weil sie die Sprache nicht konnten.

EM: Ja, und da hatte man auch bildungspolitisch nicht vorgesorgt. Im Grunde genommen hätte man da etwas machen müssen; das wäre ja eigentlich Sache der Unternehmer gewesen dies vorzubereiten, aber dies hat nicht stattgefunden und hat es die Kinder eher in eine ausweglose Situation getrieben, würde ich sagen. Denn viele sind dann auf der Straße gelandet – so wie ich mich erinnern kann – oder sind in die Kriminalität abgedriftet.

CK: In die Kriminalität nicht so sehr, sondern in Sucht vor allem. Nicht so sehr Drogensucht, aber die Spielsucht; das war ein großes Problem. Und es hat auch viele Familien zerstört, denn die haben natürlich Geld verloren oder sind kriminell geworden. Aber trotz dieser Schwierigkeiten, die ich so sehe, gibt es ja auch viele Erfolgsgeschichten. Also es gibt viele Geschichten von Kids, die erstmal strukturell benachteiligt waren, denen die Zukunft fast schon systematisch verbaut wurde, die es aber trotzdem irgendwie geschafft haben: Über den zweiten Bildungsweg, über die Gründung einer oder eines Geschäfts meinetwegen.

EM: Oder durch Kunst und Kultur. Wir haben z.B. damals an der Paul-Hindemith-Schule in Zusammenarbeit mit dem Günes-Theater einige multikulturelle Projekte gemacht, z.B. das Projekt „Gallus-Sterne“, um den Kindern Unterstützung zu geben und sie ins Rampenlicht zu stellen. Das war ein gelungenes Projekt ... mit sehr viel Vorarbeit – aber es hat sich gelohnt. Denn die Kinder wurden mit ihren Fähigkeiten (bei Tanz, Theaterspiel und Rezitationen) positiv wahrgenommen und konnten so bestmöglich in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Das führt zurück zu der Frage, ob die Beschäftigung mit Kunst und Kultur aus Kindern „bessere Menschen“ machen kann? Zunächst mal haben sie dann auch ein klares Ziel vor Augen, auf das sie hinarbeiten wollen, oder?

CK: Als ich klein war, gab es z.B. Baglama-Klassen, also Saz-Klassen an türkischen Musikschulen hier und die Kids, die sich dafür begeistert haben und dahin gegangen sind. Und auch diejenigen, die Sport gemacht haben und etwas zu tun hatten in ihrer Freizeit, denen ging es natürlich besser. Besser im Sinne von: sie hatten ein ausgefülltes Leben und sind dementsprechend auf keine anderen Gedanken gekommen. Und die Musik gibt denen ja auch was; die türkische Volksmusik und die türkische klassische Musik, die gibt ja auch der Seele was. Das lässt uns ja nicht kalt. Und das sieht man ja auch an unserem Film...

Ein überaus gut gelungener Dokumentarfilm übrigens, der den damaligen Zeitgeist gekonnt widerspiegelt und die Emotionen der Protagonisten in Reinform nachempfinden lässt. Wie sagte es Adem Altay, Sazspieler der Gruppe "Günülen Dile" erst kürzlich so treffend: „Musik ist wie ein guter Virus... einmal im Körper angekommen bleibt er für immer!“
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Foto: © Berninale.de

Info:
https://www.arthouse-kinos.de/die-kinos/harmonie/
https://www.fbw-filmbewertung.com/film/ask_mark_ve_oeluem_liebe_d_mark_und_tod