Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. September 2022, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich weiß gar nicht, was die Leute haben. Mit Leute meine ich meine Kollegen Filmkritiker, denn „die Leute“ werden diesen Film mögen, den die Kritiker gerade in der Luft zerreißen. Dabei hat Regisseur Bully Herbig genau das gemacht, was dem echten Relotius seine Preise eingebracht hat: er hat eine stimmige Geschichte erzählt, viel Persönliches reingegeben, ein Klischee nach dem anderen, und alles aus der Sicht des Opfers auf die Leinwand gebracht. Wie dieser Journalist des Spiegel, der in seinen Beiträgen die tollsten Geschichten erzählte – mit einem Unterschied: dessen Geschichten waren erfunden, diese TAUSEND ZEILEN waren und sind wahr!
Zudem hat Herbig das Buch verfilmt, das der echte Reporter des Spiegel, Juan Moreno, der im Film Juan Romero (Elyas M’Barak) heißt, über den Relotius-Skandal, den er zum Kochen brachte, geschrieben hat. Denn er war besonders betroffen, hat unter dem Aufstieg des Kollegen, der im Film Lars Bogenius (Jonas Nay) heißt, gelitten, weil er rausgemobbt wurde, hatte aber längst etwas gemerkt und als echter Journalist nicht aufgegeben, die Relotiusgeschichten auf ihre Wahrheit zu überprüfen, hatmrecherchiert, bis er die Wahrheit ans Licht brachte, daß der preisüberschüttete Claas Relotius kein wahrer Journalist, sondern ein Erfinder von guten Geschichten war, also ein Literat, was ja was Gutes ist, wenn man gleich zugibt, fiktiv zu schreiben. Für Journalismus aber der Abgrund.
Das soll nur heißen, dieser Film ist prima, erklärt die Verhältnisse, wie so jemand wie dieser Fälscher alle hinters Licht führen kann, klärt also nicht nur über das Geschehen auf, sondern auch über die Strukturen von „Qualitätsmedien“. Aber es ist kein Film über Relotius, kein Psychogramm über einen, der die ganze gebildete Welt täusche konnte. Sicher, das wäre ein sehr sehr interessanter Film und sicher wird es ihn noch geben, das Kino liebt die Halbseidenen, nur hat Herbig eben die Autobiographie dessen verfilmt, der vom aufgestiegenen Helden den Schutt abbekam und sich aufmachte, die Wahrheit herauszufinden. Was viel Arbeit war, weshalb er dies alles in seinem Buch veröffentlicht hat. Nichts dagegen einzuwenden. Und all das Gejammere in den Feuilletons, daß doch grundsätzlicher und tiefer, tiefer, tiefer in solchen Verhältnissen gegraben werden müßte, als es dieser flotte Film mit einem vom Zeitungsmanagement degradierten Moreno täte, den publikumssicher Liebling Elyas M’Barek als Wiederaufstehmännchen stilsicher auf die Leinwand bringt, all dies Gejammere, was soll es, wenn das Feuilleton über fehlenden Anspruch jammert, wenn doch durch Herbigs Film nun auch die vielen Menschen vom Desaster unserer Zeitungsverhältnisse erfahren, die nicht die Feuilleton lesen und vom Relotiusskandal noch nie gehört haben.
Mit einem Wort, dieser Film ist aufklärerisch und natürlich an vielen Stellen – vor allem den Familienszenen – romantisiert und erreicht ein Publikum, das weit über Feuilletonkreise hinausgeht. Und das finde ich gut!
Falsch ist eh nichts geschildert und daß die Szenen der oberen Etagen im genannten Blatt wie aus dem Kino wirken, daß man das Strickmuster deutlich sieht und die Absicht merkt, daß kann man einem Film, der sich so eindeutig ins skandalöse Komödienfach verortet, doch nicht übel nehmen.
Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung, gehen Sie ins Kino. In diesen Film.
P.S. Die unterschiedlichen Rollen sind glänzend besetzt. Jonas Nay ist unsicher, undurchsichtig und rotzfrech; Michael Ostrowski ist als hilfreicher Fotograf einfach eine wunderbar schräge Type, Marie Burchard eine emanzipierte Ehefrau und liebevolle Mutter und die Herren in den Chefetagen des