da kommtSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. September 2022, Teil 13
 
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon der Anfang ist hinreißend. „Fast wia im dem richtigen Leben“ hätte Polt dazu gesagt, als die gut erhaltene Endsechzigerin Helga (Ulrike Willenbacher) beim untauglichen Versuch, auf einem wackeligen Hocker eine dicke Spinne an der Decke am großen Glasfenster zum Garten hin zu entfernen, durch die Holzlamellen der Fußbodenheizung so unglücklich fällt, daß sie zum einen den Fuß bricht und deshalb zum zweiten – eingeklemmt - sich aus der Vertiefung nicht befreien kann.

Das ist ja eigentlich nicht lustig, aber hat wohl eine tiefere Bedeutung. Helga steckt fest. Buchstäblich, aber auch übertragen. Wir bekommen mit, daß sie unzufrieden ist, dabei lebt sie doch in einem durchaus mehr als wohlgediegenen Bungalow? Aha, darin lebt sie nicht alleine, das bekommen wir mit, weil ihr ja niemand hilft, aus dem Loch herauszukommen. Und schon wissen wir, daß ihr Mann, dem sie in seiner Arztpraxis zur Hand ging, sie verlassen hat. Das ist schon schlimm genug, aber was sie wirklich zur Weißglut bringt, ist, daß er sie mit der jungen Arzthelferin betrogen hat, die sie noch eingearbeitet hatte. Wenigstens hat sie bei der Scheidung das Haus behalten. Aber ihr fehlt etwas. Zudem merkt sie, wie allein sie ist, denn sie hat zwar offiziell Freundinnen, aber sie hat sich nie richtig um Nähe und echte Freundschaft gekümmert. Und auch ihre Tochter Miriam (Franziska Machens), die sie aus der Vertiefung befreit, hat anderes zu tun, als sich um ihre Mutter zu kümmern.

Vor dem Unfall hatte ihr noch ihre polnische Putzfrau versichert, daß sie, wenn sie nun in Urlaub geht, auf jeden Fall Ersatz schicken wird, den sie nun mit eingegipsten Fuß erst recht braucht. Und dann klingelt es und der Ersatz steht vor der Tür. Allerdings hätte sie nie mit einem Mann gerechnet. Der Zuschauer auch nicht. Und nach dem drastischen Unfall ist dies das zweite Überraschungsmoment für den Zuschauer, der gelingt. Ryszard heißt er, ist Witwer und weder der deutschen Sprache noch der englischen mächtig. Und Helga kann kein Polnisch.

Also müssen sie sich sehr viel mehr miteinander beschäftigen, als wenn Helga mit Worten die nötigen Arbeiten angewiesen hätten. Aber es geht nicht nur um das Was, sondern extrem auch um das Wie. Denn jede Hausfrau hat ihre eigenen Methoden und wenn der falsche Lappen für die Möbel und erst recht für die Toilette genommen würde, Hilf Himmel! Das alles muß sie ihm radebrechend mit vielen Gesten beibringen und vor allem, daß er nicht einfach ihre Wäsche zu waschen hat. Beeindruckend, wie stoisch dieser Richard (schreibt sich besser) das alles über sich ergehen läßt, denn, seien wir ehrlich, zickig ist die Dame schon. Irgendwie das Beispiel einer frustrierten, vom Leben enttäuschten Alten. Naja, Fast-Alten. Richard nun wieder ist keine Schönheit, aber irgendwie kuschelig.

Leider erfahren wir über ihn wenig, außer daß er Witwer ist und für Helga eindeutig Gefühle entwickelt. Als Zuschauer denkt man, daß er deshalb ihr gegenüber zärtlich wird, weil er ihr Feststecken in einer leeren Existenz fühlt, merkt, daß ihr ständiges Besserwissen Ausdruck ihrer Frustration ist. Helga kann das erst nicht fassen, daß sie für ihren Putzmann Gefühle entwickelt, aber das macht sie gleichzeitig freier, die Hohlheit ihrer angeblichen Freundinnen zu erkennen.

Es läuft also was zwischen den Zweien, aber wie soll das weitergehen? Und schon kommt es zum Bruch, als sie ihn ihren eher mondänen Freundinnen vorstellt und deren Reaktionen erlebt, und dann nach zeitlichem Abstand kommt es wieder zur Gemeinsamkeit. Aber das führt nicht weiter. So anrührend der Beginn mit den beiden war, läuft der Film irgendwie ins Leere, bzw. steht auf der Stelle, ach ja, steckt fest. Schade. Trotzdem habe ich ihn gerne gesehen, weil das Thema gebildete Dame in einer Beziehung zum Proletariat gute Vorbilder (Fassbinder u.a.) hat. Aber der Vergleich stimmt nicht, denn in Polen wäre Richard kein Putzmann. Es kommt also die Unterwertigkeit polnischer Abschlüsse hinzu. Das alles wird aber nicht wirklich zum Thema in einem Film, der auf einmal kein Thema mehr hat.

Ach so, sie zieht aus dem Haus aus in eine Wohnung, wobei ihr Richard hilft, aber auch das hilft nicht weiter. Oder tröstet uns die Regisseurin mit dem Titel, daß im Leben von Helga mit Richard doch noch was kommt?

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Helga.        Ulrike Willenbacher
Ryszard     Zbigniew Zamachowski
Brigitte.      Imogen Kogge
Miriam       Franziska Machens
Franz        Ueli Jäggi
Isabella.    Gabriela Muskala
Renate.     Ulli Maier
Barbara.    Suly Röthlisberger
Peter.        Michael Wittenborn
Gerd.        Gottfried Breitfuss
Gudrun     Oda Thormeyer
Rita.          Doris Buchrucker

STAB
Regie
Mareille Klein
Drehbuch
Mareille Klein

DA KOMMT NOCH WAS
Ein Film von MAREILLE KLEIN
Ausgezeichnet mit dem Kritikerpreis der internationalen FIPRESCI-Jury
Eine deutsch/schweizerische Produktion von BerghausWöbke Filmproduktion und Vega Film in Koproduktion mit Rat Pack Filmproduktion und Bayerischer Rundfunk in Zusammenarbeit mit arte Gefördert wurde das Projekt vom FFF Bayern, DFFF, FFA, BAK und Zürcher Filmstiftung