Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie ein Häufchen Elend hockt sie auf dem Boden eines kargen Raumes. Die schwarzen Haare hängen ihr im Gesicht, ihr Oberkörper steckt in einer Zwangsjacke, ihre nackten Beine kann sie ungehindert bewegen. Es scheint, dass man sie erfolgreich ruhig gestellt hat. Doch draußen leuchtet der große Vollmond in dunkler Nacht, und die düstere Musik kündet von drohendem Ungemach.
Wir brauchen nicht lange zu warten, denn eine unsympathische Pflegerin/Wärterin wird erscheinen, dieses Mädchen beschimpfen und versuchen, ihm die Fußnägel zu schneiden. Sie kommt nicht bis zum letzten Zeh, sondern sticht sich die Nagelschere, wie von Zauberhand geführt, mehrmals in den eigenen Oberschenkel. Bei dem kargen Raum handelt es sich um eine Zelle in einem Hochsicherheitstrakt, den das Mädchen nach einer nicht ganz so blutigen Attacke auf den Wachposten am Eingang verlässt.
Von der Vorgeschichte dieser Mona Lisa (Jun Jong Seo) mit dem Nachnamen Lee, der auf ihre asiatische Herkunft hindeutet, erfahren wir nichts. Wir wissen nur, dass sie übersinnliche Kräfte besitzt, mit denen sie anderen Menschen den Willen nehmen und sie zu Taten zwingen kann. Sie ist also ein Superheld oder vielleicht auch ein Superbösewicht. Auf jeden Fall hat sie etwas Unheimliches an sich, und es kommt darauf an, wie sie ihre Fähigkeiten einsetzten wird.
Wer wird ihr Opfer, und wer gewinnt ihr Zutrauen oder profitiert gar von ihr? In den nächtlichen Straßen von New Orleans trifft sie zunächst auf ein paar Jungs, die ihr erstaunlicherweise ein Paar Schuhe schenken. In einem 24Stunden-Shop bezahlt der Dealer Fuzz (Ed Skrein) die Chipstüte und die Getränkedose, die sie sich ausgesucht hat. In einem Diner spendiert ihr schließlich die Stripperin Bonnie Hunt (Kate Hudson) ein Abendessen.
Gesellschaftliche Randexistenzen, die in gängigen Superhelden-Filmen die Bösen sind, zeigen ihre sympathische Seite, und die Polizei, die Mona Lisa natürlich wieder einfangen will, hat des öfteren das Nachsehen. Officer Harold (Craig Robinson) schießt sich bei einem Festnahmeversuch ins Knie und findet als Erklärung, dass er wohl hypnotisiert wurde. Es entwickelt sich ein Räuber- und Gendarmspiel der besonderen Art.
Für einen an Action reichen Genrefilm zeichnet »Mona Lisa and the Blood Moon« erstaunlich vielschichtige Figuren. So ist Officer Harold eher eine traurige Gestalt, wenn er mit steifem Bein durch den Film hinkt (bei einer Verfolgungsjagd nicht immer ganz echt), als eine ernsthafte Bedrohung für die Heldin. Vieles ist neu für sie, vieles muss ihr erklärt werden. Die besten Welterklärungen liefern ihr Bonnie Hunt und ihr elfjähriger Sohn Charlie (Evan Hunt), der seine selbstsüchtige Mutter durchschaut hat.
Bonnie gibt Mona Lisa zwar eine Unterkunft, nutzt aber deren Fähigkeit in dem Nachtclub aus, wo die Männer in Trance ihre letzten Dollarnoten hergeben. Bonnies nächste Idee sind Geldautomaten, an denen die Männer willenlos 500 Dollar abheben und diese den beiden Damen aushändigen. So gelingt dem Film eine wunderschöne Metapher über weibliche Macht.
Mona Lisa ist schon deswegen eine interessante Superheldin, weil sie mit den großspurigen Marvel-Figuren nichts gemein hat. Sie ist hilfsbedürftig, zögerlich und äußerst introvertiert; eher ein Wolfskind, das sich bisweilen schlafwandlerisch durch die moderne Welt bewegt.
Dem nach »The Bad Batch« und »A Girl Walks Home Alone at Night« dritten Spielfilm der gebürtigen Südkoreanerin liegt ein antiautoritäres Weltbild zugrunde. Das System, das zu einem bestimmten Verhalten zwinge und letztlich beeinflusse, wie wir andere Menschen sehen und wo wir uns zugehörig fühlen, sei der größte Feind in ihren Filmen, sagt die Regisseurin. Und sie fühle sich nach wie vor in den USA als Außenseiterin.
Aus dieser Einstellung heraus ist ihr eine spannender, optisch durchgestylter Actionthriller mit vorwärts drängendem Techno-Beat gelungen, in dem auch versöhnliche Momente nicht fehlen.
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Info:
MONA LISA AND THE BLOOD MOON
von Ana Lily Amirpour, USA 2021, 106 Min.
mit Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Craig Robinson, Ed Skrein, Evan Whitten
Actionthriller / Start: 06.10.2022