Markus Keuschnigg
Wien (Weltexpresso) - Ihren Dreharbeiten geht immer eine lange Recherchephase voraus. Was war diesbezüglich die größte Herausforderung bei RIMINI?
Dass meine Wahl auf Rimini gefallen ist, hat damit zu tun, dass wir Kinder mit unseren Eltern in den Fünfzigerjahren dorthin auf Badeurlaub gefahren sind. Ich sehe mich und meinen Bruder noch heute mit unseren schwarzen Glatthosen am Strand spielen. Zum anderen haben wir in Rimini Schauplätze vorgefunden, die für meine visuellen und atmosphärischen Vorstellungen der Geschichte geradezu ideal und äußerst inspirierend gewesen sind. Dazu kam allerdings ein entscheidender Faktor, der sich später auch als ziemliche Herausforderung in produktionstechnischer wie auch finanzieller Hinsicht herausstellte. Der Film sollte im Winter spielen, zu einer Zeit, wo die Strände, das Meer, die Badehütten und Strandbars im Nebel verschwinden. Wir, das Filmteam, die Schauspieler, die Komparserie, sind also Ende November 2017 in Rimini für den Dreh bereitgestanden. Alles war geplant, alles gebucht. Doch der Nebel ist nicht und nicht aufgezogen. Jeder Tag ein strahlender Sonnentag. Also habe ich das gesamte Team wieder zurück nach Hause geschickt, gewartet und gewartet. Erst Anfang des darauffolgenden Jahres ist dann der Nebel gekommen. Und nicht nur das. Rimini hat noch nie so viel Schnee gesehen wie in diesem Winter. Das hat uns beflügelt. Unsere Freude war groß.
Was stößt Ihre Arbeit an einem neuen Filmprojekt an? Sind es die Figuren/Menschen und ihre Geschichten oder steht am Anfang ein übergeordnetes Thema, ein Bündel an Motiven, aus denen sich die Erzählung entwickelt? Oder etwas ganz anderes?
Richie Bravo, einst ein gefeierter Schlagerstar, jagt im winterlichen Rimini seinem verblichenen Ruhm hinterher. Mit Auftritten vor Bustouristen und Liebesdiensten an weiblichen Fans finanziert er seinen ausschweifenden Lebensstil zwischen Dauerrausch und Spielsucht. Als eines Tages seine erwachsene Tochter vor ihm steht und das Geld einfordert, das er ihr nie gegeben hat, beginnt seine Welt zu kollabieren. Währenddessen zieht sein greiser, an Demenz erkrankter Vater in einem österreichischen Pflegeheim die immer gleichen Kreise.
Im Gegensatz zu einem Dokumentarfilm, wo die Idee für einen Film meist ein übergeordnetes Thema ist, wie zum Beispiel bei IM KELLER oder SAFARI verhält es sich bei Spielfilmen anders. Ich habe anfangs kein Thema in diesem Sinn bzw. auch keine fertig gedachte Geschichte im Kopf, sondern schöpfe aus mehreren Ideen und Vorstellungen, die ich entweder irgendwann abgespeichert hatte, oder auch schon länger mit mir herumtrage. Das können halbfertige Geschichten sein, die ich einmal aufgeschrieben habe, Bilder, die mir nicht aus dem Kopf gehen oder wahre Begebenheiten, die ich gehört oder gelesen habe. Eigene Erlebnisse und Beobachtungen fließen genauso in den kreativen Fundus ein wie auch Orte oder Landschaften, die Inspirationen für Szenen oder Geschichten sind. Es gibt noch eine weitere Inspirationsquelle für mich, nämlich bestimmte Schauspieler mit denen man gerne arbeiten möchte und für die man mitunter schon eine vage Geschichte im Kopf mit sich herumträgt. Das war mit Maria Hofstätter so in PARADIES GLAUBE, denn ich hätte mir keine andere Schauspielerin für diesen Film vorstellen können. Das war mit Georg Friedrich so, der als Bruder von Richie Bravo im Film SPARTA, der auf RIMINI folgen wird, die Hauptrolle spielt. Und das trifft ganz besonders auf Michael Thomas zu, der die Figur des Richie Bravo in RIMINI maßgeblich mitgestaltet hat.
Man könnte behaupten, mit Richie Bravo verkörpert Michael Thomas die Rolle seines Lebens.
Was interessiert Sie als Regisseur an Michael Thomas besonders und wie wurde Ihnen bewusst, dass er eine Hauptrolle braucht?
Die Rolle des Richie Bravo wurde einzig und allein für ihn erfunden. Sie ist ihm sozusagen auf den Leib geschrieben. Die ursprüngliche Idee liegt lange zurück. Als ich vor etwa 17 Jahren im Zuge der Vorbereitungen für die Dreharbeiten zu IMPORT EXPORT mit ihm in der Ukraine unterwegs war, habe ich ihn erstmals als Sänger erlebt. Eines Abends in einem Restaurant, in dem eine Band den Saal mit Barmusik berieselte, stand er plötzlich auf, nahm sich das Mikrofon und begann „My Way“ von Frank Sinatra zu singen. Ich war völlig fasziniert, wie er mit seiner Ausstrahlung und seiner Stimme im Handumdrehen das Publikum gefesselt hat. Dieses Erlebnis hat mich nicht mehr losgelassen.
Was interessiert Sie als Regisseur an Michael Thomas besonders und wie wurde Ihnen bewusst, dass er eine Hauptrolle braucht?
Die Rolle des Richie Bravo wurde einzig und allein für ihn erfunden. Sie ist ihm sozusagen auf den Leib geschrieben. Die ursprüngliche Idee liegt lange zurück. Als ich vor etwa 17 Jahren im Zuge der Vorbereitungen für die Dreharbeiten zu IMPORT EXPORT mit ihm in der Ukraine unterwegs war, habe ich ihn erstmals als Sänger erlebt. Eines Abends in einem Restaurant, in dem eine Band den Saal mit Barmusik berieselte, stand er plötzlich auf, nahm sich das Mikrofon und begann „My Way“ von Frank Sinatra zu singen. Ich war völlig fasziniert, wie er mit seiner Ausstrahlung und seiner Stimme im Handumdrehen das Publikum gefesselt hat. Dieses Erlebnis hat mich nicht mehr losgelassen.
Jahre später haben Veronika Franz und ich eine erste Fassung der Richie Bravo-Geschichte für einen aus mehreren Episoden bestehenden Film über Massen-Tourismus geschrieben. Michael Thomas alias Richie Bravo als Sänger und Entertainer, als Charmeur der alten Schule, als Casanova und Witwentröster in einer all All-inclusive-Ferienclub. Das war der Plot.
Und wiederum zu einem viel späteren Zeitpunkt, als ich mich mit der wahren Geschichte eines aus Deutschland stammenden Mannes beschäftigte, der im Gefängnis gelandet war, weil er in einem ärmlichen und gottverlassenen Landstrich in Rumänien Nacktaufnahmen von Buben gemacht und diese ins Internet gestellt hat, ist mir die Richie Bravo-Geschichte wieder eingefallen. Letztendlich sind aus diesen zwei Geschichten zwei Filme über zwei Brüder geworden. Richie Bravo, der in RIMINI an der italienischen Adria seinem vergangenen Ruhm hinterher hetzt und Ewald, sein jüngerer Bruder, der sich in SPARTA, dem zweiten Film dieses Diptychons, in Rumänien ein neues Leben in der Fremde aufzubauen versucht. Schließlich ist dann auch der Vater der Brüder dazugekommen, der, an Demenz erkrankt, in einem Heim in Österreich seine Tage fristet. Alle drei Männer werden von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Der Schauspieler Hans-Michael Rehberg, der in RIMINI den Vater von Richie Bravo spielt, ist im November 2017 verstorben. Können Sie skizzieren, wie es zur Zusammenarbeit mit Herrn Rehberg gekommen ist?
Es war kein leichtes Unterfangen eine geeignete Besetzung zu finden. Als ich Hans-Michael Rehberg kennenlernte, war er bereits schwer erkrankt und hat mein Angebot abgelehnt. Doch nach ein paar Tagen hat seine Frau angerufen, dass er doch an der Rolle interessiert wäre. Daraufhin haben wir mit ihm ein
Casting gemacht und das Ergebnis hat mich nicht überzeugt. Ich war in einem Dilemma. Wie sollte ich einem schwerkranken Mann seinen Wunsch, diese Rolle zu spielen, abschlagen? Als ich nach zwei Wochen endlich den Mut aufgebracht hatte um ihm abzusagen, ist das Telefonat anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt hatte. Seine Frau hat mehr oder weniger darauf bestanden, weitere Probeaufnahmen zu machen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass er meinen Anforderungen nicht gerecht werden würde. Und sie hat recht behalten.
Einige Wochen vor Beginn der Dreharbeiten, also in unserer heißen Vorbereitungszeit, musste Rehberg immer wieder ganze Tage an unserem Drehort, einem Pflegeheim in Niederösterreich, in seinem Zimmer verbringen, musste sich unter die dort lebenden Patienten mischen, musste dort seine Mahlzeiten einnehmen und das Beschäftigungsprogramm mitmachen. Er war zu dieser Zeit bereits sehr geschwächt und schnell erschöpft, sodass ich große Befürchtungen hatte. Ein normaler Drehablauf mit ihm erschien mir unmöglich zu sein.
Meine Bedenken haben sich aber mit dem ersten Drehtag zerschlagen. Kaum war die erste Klappe gefallen, war dieser großartige Schauspieler wie ausgewechselt. Von Müdigkeit und Erschöpfung keine Spur. Er hat seinen Part äußert diszipliniert und mit großer Empathie gespielt. Wissend, dass dies seine letzte Rolle sein wird, hat er alles gegeben. Ein großes Geschenk an mich und den Film.
Sie arbeiten nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera immer wieder mit denselben Menschen zusammen. Man bekommt den Eindruck einer Seidl-Familie oder Seidl-Company. Welche Vorteile erkennen Sie in dieser Arbeitsweise, welche Nachteile ergeben sich womöglich daraus?
Wenn man jeden Film und jedes Projekt als eine neue Herausforderung begreift, weil ja alles auch wieder neu zu denken, zu planen und umzusetzen ist, dann gibt es für ein über die Jahrzehnte zusammengeschweißtes Team nur Vorteile. Lassen Sie mich drei Beispiele geben.
Ich arbeite seit 25 Jahren mit Veronika Franz zusammen. Wir haben seit HUNDSTAGE alle Drehbücher gemeinsam geschrieben und sämtliche Konzepte für Filme gemeinsam entworfen. In künstlerischen Belangen ist sie meine erste Ansprechpartnerin und so etwas wie eine Kontrollinstanz. Sie versteht es, meine Ideen zu relativieren und in ihrer Bedeutung zu hinterfragen.
Ebenso lange besteht meine Zusammenarbeit mit dem Kameramann Wolfgang Thaler, der für meine Methode Filme zu machen ein idealer Partner ist. Er arbeitet mit möglichst geringem licht- und kameratechnischem Aufwand, weil Flexibilität im Drehablauf für mich eine Maxime ist. Man muss zu jeder Zeit den Drehplan ändern können und bereit sein, sich auf neue und spontane Ideen einzulassen und diese sofort umzusetzen. Zudem ist bei meinen Filmen das Filmset ein von uns so genanntes „lebendes“ Set, womit gemeint ist, dass mitunter vor der Kamera „echte“ Menschen agieren, die nicht per Vertrag verpflichtet sind ihr Handwerk abzuliefern, sondern sich mit ihrem ganzen Selbst auf die Rolle einlassen müssen. Dafür braucht es ein großes Vertrauensverhältnis, im Besonderen zwischen dem Kameramann und den Protagonisten.
Andreas Donhauser und Renate Martin, die das Szenenbild verantworten, sind auch schon so lange an Bord. Mit ihnen verbindet mich eine Vorliebe zu bestimmten Schauplätzen und Motiven, egal ob diese in Rumänien, in Kenia oder an der Adria zu finden sind und die Vision, wie Orte auszustatten sind. Schauplätze, die von ihnen vorgeschlagen werden, sind für mich so gut wie immer Schauplätze, die meinem ästhetischen Geschmack entsprechen und mich für die Umsetzung der jeweiligen Geschichte inspirieren. Wir sind uns jedenfalls so gut wie immer darüber einig, was wir in künstlerischer Hinsicht nicht wollen, auch wenn wir manchmal noch nicht das Ideale, nach dem wir suchen, gefunden haben.
Ich bin ein Mensch, der selten zufrieden zu stellen ist. Damit, mit dieser Unzufriedenheit, haben alle Menschen, die mit mir zusammenarbeiten, zu tun. Das mag manchmal frustrierend und auch demotivierend sein, ist aber im gemeinsamen Streben nach dem bestmöglichen Film, den es zu machen gilt, unausweichlich.
Ihre Filme RIMINI und SPARTA erzählen von zwei Brüdern, die in der Ferne ihr Glück suchen. Sehen Sie eine Verwandtschaft zwischen den beiden Projekten und Ihrer PARADIES-Trilogie?
Mit RIMINI und SPARTA ist mir am Ende des Tages ähnliches „passiert“ wie mit der PARADIES-Trilogie. Beide Projekte wurden ursprünglich als ein Film geschrieben und die einzelnen Handlungsebenen sollten parallel, also vernetzt und abwechselnd erzählt werden. Erst im Schnittprozess, in dem man alle nur denkbaren Möglichkeiten durchspielt, hat sich herausgestellt, dass die Geschichten einzeln erzählt werden müssen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.
Die drei Filme der PARADIES-Trilogie erzählen Geschichten über drei Frauen und deren unerfüllte Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Sexualität. Die Orte der Handlung, ein Urlaubsresort am Meeresstrand in Kenia, ein Diätcamp für Jugendliche in der österreichischen Provinz und eine Einfamilienhaussiedlung am Rande von Wien, wie auch die einzelnen Geschichten sind sehr unterschiedlich, wobei die Protagonistinnen verwandtschaftlich miteinander verbunden sind.
Mit RIMINI und SPARTA sind zwei Filme entstanden, deren Protagonisten Männer sind. Auch sie sind verwandtschaftlich miteinander verbunden. Zwei Brüder und ihr Vater. Obwohl auch diese Filme sehr unterschiedliche Geschichten erzählen, sehr unterschiedliche Lebenssituationen beschreiben und auch an jeweils anderen Orten spielen, ist hier das verbindende Element die Suche nach dem Glück und der Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch sie holt einen ein, das ist die bittere oder befreiende Wahrheit, der sich die Protagonisten am Ende stellen müssen.
Also ja, es gibt zur PARADIES-Trilogie so etwas wie eine übergeordnete Affinität. Auch in diesen Filmen, in RIMINI und in SPARTA, geht es um die Sehnsucht nach Liebe, um sexuelle Erfüllung und das Scheitern daran und um die Einsamkeit, die bleibt.
Und wiederum zu einem viel späteren Zeitpunkt, als ich mich mit der wahren Geschichte eines aus Deutschland stammenden Mannes beschäftigte, der im Gefängnis gelandet war, weil er in einem ärmlichen und gottverlassenen Landstrich in Rumänien Nacktaufnahmen von Buben gemacht und diese ins Internet gestellt hat, ist mir die Richie Bravo-Geschichte wieder eingefallen. Letztendlich sind aus diesen zwei Geschichten zwei Filme über zwei Brüder geworden. Richie Bravo, der in RIMINI an der italienischen Adria seinem vergangenen Ruhm hinterher hetzt und Ewald, sein jüngerer Bruder, der sich in SPARTA, dem zweiten Film dieses Diptychons, in Rumänien ein neues Leben in der Fremde aufzubauen versucht. Schließlich ist dann auch der Vater der Brüder dazugekommen, der, an Demenz erkrankt, in einem Heim in Österreich seine Tage fristet. Alle drei Männer werden von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Der Schauspieler Hans-Michael Rehberg, der in RIMINI den Vater von Richie Bravo spielt, ist im November 2017 verstorben. Können Sie skizzieren, wie es zur Zusammenarbeit mit Herrn Rehberg gekommen ist?
Es war kein leichtes Unterfangen eine geeignete Besetzung zu finden. Als ich Hans-Michael Rehberg kennenlernte, war er bereits schwer erkrankt und hat mein Angebot abgelehnt. Doch nach ein paar Tagen hat seine Frau angerufen, dass er doch an der Rolle interessiert wäre. Daraufhin haben wir mit ihm ein
Casting gemacht und das Ergebnis hat mich nicht überzeugt. Ich war in einem Dilemma. Wie sollte ich einem schwerkranken Mann seinen Wunsch, diese Rolle zu spielen, abschlagen? Als ich nach zwei Wochen endlich den Mut aufgebracht hatte um ihm abzusagen, ist das Telefonat anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt hatte. Seine Frau hat mehr oder weniger darauf bestanden, weitere Probeaufnahmen zu machen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass er meinen Anforderungen nicht gerecht werden würde. Und sie hat recht behalten.
Einige Wochen vor Beginn der Dreharbeiten, also in unserer heißen Vorbereitungszeit, musste Rehberg immer wieder ganze Tage an unserem Drehort, einem Pflegeheim in Niederösterreich, in seinem Zimmer verbringen, musste sich unter die dort lebenden Patienten mischen, musste dort seine Mahlzeiten einnehmen und das Beschäftigungsprogramm mitmachen. Er war zu dieser Zeit bereits sehr geschwächt und schnell erschöpft, sodass ich große Befürchtungen hatte. Ein normaler Drehablauf mit ihm erschien mir unmöglich zu sein.
Meine Bedenken haben sich aber mit dem ersten Drehtag zerschlagen. Kaum war die erste Klappe gefallen, war dieser großartige Schauspieler wie ausgewechselt. Von Müdigkeit und Erschöpfung keine Spur. Er hat seinen Part äußert diszipliniert und mit großer Empathie gespielt. Wissend, dass dies seine letzte Rolle sein wird, hat er alles gegeben. Ein großes Geschenk an mich und den Film.
Sie arbeiten nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera immer wieder mit denselben Menschen zusammen. Man bekommt den Eindruck einer Seidl-Familie oder Seidl-Company. Welche Vorteile erkennen Sie in dieser Arbeitsweise, welche Nachteile ergeben sich womöglich daraus?
Wenn man jeden Film und jedes Projekt als eine neue Herausforderung begreift, weil ja alles auch wieder neu zu denken, zu planen und umzusetzen ist, dann gibt es für ein über die Jahrzehnte zusammengeschweißtes Team nur Vorteile. Lassen Sie mich drei Beispiele geben.
Ich arbeite seit 25 Jahren mit Veronika Franz zusammen. Wir haben seit HUNDSTAGE alle Drehbücher gemeinsam geschrieben und sämtliche Konzepte für Filme gemeinsam entworfen. In künstlerischen Belangen ist sie meine erste Ansprechpartnerin und so etwas wie eine Kontrollinstanz. Sie versteht es, meine Ideen zu relativieren und in ihrer Bedeutung zu hinterfragen.
Ebenso lange besteht meine Zusammenarbeit mit dem Kameramann Wolfgang Thaler, der für meine Methode Filme zu machen ein idealer Partner ist. Er arbeitet mit möglichst geringem licht- und kameratechnischem Aufwand, weil Flexibilität im Drehablauf für mich eine Maxime ist. Man muss zu jeder Zeit den Drehplan ändern können und bereit sein, sich auf neue und spontane Ideen einzulassen und diese sofort umzusetzen. Zudem ist bei meinen Filmen das Filmset ein von uns so genanntes „lebendes“ Set, womit gemeint ist, dass mitunter vor der Kamera „echte“ Menschen agieren, die nicht per Vertrag verpflichtet sind ihr Handwerk abzuliefern, sondern sich mit ihrem ganzen Selbst auf die Rolle einlassen müssen. Dafür braucht es ein großes Vertrauensverhältnis, im Besonderen zwischen dem Kameramann und den Protagonisten.
Andreas Donhauser und Renate Martin, die das Szenenbild verantworten, sind auch schon so lange an Bord. Mit ihnen verbindet mich eine Vorliebe zu bestimmten Schauplätzen und Motiven, egal ob diese in Rumänien, in Kenia oder an der Adria zu finden sind und die Vision, wie Orte auszustatten sind. Schauplätze, die von ihnen vorgeschlagen werden, sind für mich so gut wie immer Schauplätze, die meinem ästhetischen Geschmack entsprechen und mich für die Umsetzung der jeweiligen Geschichte inspirieren. Wir sind uns jedenfalls so gut wie immer darüber einig, was wir in künstlerischer Hinsicht nicht wollen, auch wenn wir manchmal noch nicht das Ideale, nach dem wir suchen, gefunden haben.
Ich bin ein Mensch, der selten zufrieden zu stellen ist. Damit, mit dieser Unzufriedenheit, haben alle Menschen, die mit mir zusammenarbeiten, zu tun. Das mag manchmal frustrierend und auch demotivierend sein, ist aber im gemeinsamen Streben nach dem bestmöglichen Film, den es zu machen gilt, unausweichlich.
Ihre Filme RIMINI und SPARTA erzählen von zwei Brüdern, die in der Ferne ihr Glück suchen. Sehen Sie eine Verwandtschaft zwischen den beiden Projekten und Ihrer PARADIES-Trilogie?
Mit RIMINI und SPARTA ist mir am Ende des Tages ähnliches „passiert“ wie mit der PARADIES-Trilogie. Beide Projekte wurden ursprünglich als ein Film geschrieben und die einzelnen Handlungsebenen sollten parallel, also vernetzt und abwechselnd erzählt werden. Erst im Schnittprozess, in dem man alle nur denkbaren Möglichkeiten durchspielt, hat sich herausgestellt, dass die Geschichten einzeln erzählt werden müssen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.
Die drei Filme der PARADIES-Trilogie erzählen Geschichten über drei Frauen und deren unerfüllte Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Sexualität. Die Orte der Handlung, ein Urlaubsresort am Meeresstrand in Kenia, ein Diätcamp für Jugendliche in der österreichischen Provinz und eine Einfamilienhaussiedlung am Rande von Wien, wie auch die einzelnen Geschichten sind sehr unterschiedlich, wobei die Protagonistinnen verwandtschaftlich miteinander verbunden sind.
Mit RIMINI und SPARTA sind zwei Filme entstanden, deren Protagonisten Männer sind. Auch sie sind verwandtschaftlich miteinander verbunden. Zwei Brüder und ihr Vater. Obwohl auch diese Filme sehr unterschiedliche Geschichten erzählen, sehr unterschiedliche Lebenssituationen beschreiben und auch an jeweils anderen Orten spielen, ist hier das verbindende Element die Suche nach dem Glück und der Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch sie holt einen ein, das ist die bittere oder befreiende Wahrheit, der sich die Protagonisten am Ende stellen müssen.
Also ja, es gibt zur PARADIES-Trilogie so etwas wie eine übergeordnete Affinität. Auch in diesen Filmen, in RIMINI und in SPARTA, geht es um die Sehnsucht nach Liebe, um sexuelle Erfüllung und das Scheitern daran und um die Einsamkeit, die bleibt.
Foto:
©Verleih
Info:
RIMINI
Österreich / Frankreich / Deutschland / 2022,
114 min
Stab
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:
Richie Barvo Michael Thomas
Abdruck aus dem Presseheft