Markus Keuschnigg
Wien (Weltexpresso) -Was macht ein Lied zu einem Schlager?
Herwig: Schlager ist Volksmusik ohne geografische Heimat. Liebe, Sehnsucht, Schmerz, Verlust und Freude verpackt in die schönste, unumwundenste Melodie, so direkt und einfach wie möglich. Das ist ein Schlagerlied.
Was waren eure ersten Gedanken und Gefühle, als ihr angefragt wurdet, Schlagermusik für einen Film von Ulrich Seidl zu komponieren?
Herwig: Ich habe mich sehr gefreut!
Fritz: Freude und Angst, denn die „Qualität” eines Schlagers bemisst sich zuerst an seiner Funktionstauglichkeit und nicht an den sophistischen Kriterien der Musikkritik. Ein Schlager, der nicht beim ersten Hören „reinfährt”, verfehlt leider seinen Zweck. Nicht zufällig besitzen sowohl der Schlager als auch der „Hit” dieselbe etymologische Wurzel: das (Ein)schlagen, das sofort Zündende. In Ulrich Seidls wunderbarem Angebot, Schlager zu produzieren, steckt also schon auch die leicht angstmachende Aufgabe, etwas per definitionem „kommerziell Erfolgreiches” abliefern zu müssen. Die Lieder wurden ja für den Mann, Künstler, Darsteller geschrieben und komponiert, der sie dann im Film zu singen hatte: Michael Thomas.
Ab was für einem Stadium eurer Arbeit seid ihr mit ihm zusammengetroffen und hat diese und die folgenden Begegnungen mit ihm eure Arbeit in eine andere Richtung getrieben?
Herwig: Wir haben Michael Thomas lange vor den Dreharbeiten getroffen, denn der Auftrag und Plan war, ihm vorab eine musikalische Identität und Geschichte zu schreiben. Die Lieder sollten im Film ja auch nicht aus der Konserve kommen, sondern in Rimini live von ihm gesungen werden. Es war also ein sehr langer Weg, vom Kennenlernen, über das Schreiben, bis zum eigentlichen Auftritt.
Fritz: Kurios auch, dass Michael anfangs von der Idee, einen Schlagersänger zu spielen, nicht sehr angetan war. Lieber wäre ihm als Freund des Musicals gewesen, „anspruchsvolleres” Liedgut singen zu dürfen. In Richtung Frank Sinatra oder Engelbert Humperdinck. Umgekehrt kann man Herwig und mich mit Musicals in die Flucht schlagen, wir bleiben lieber unten im tiefen Tal der Schlager-Melancholie.
Die Schlagermusik im Film wird ja „durch” die Figur von Michael Thomas geführt. Dadurch erhält selbst der ärgste Schmalz eine zutiefst menschliche, fast gebrochene Dimension. Was Kitsch war, kommt als Verzweiflung wieder raus. Das hört sich nach einer ziemlichen Herausforderung an hinsichtlich dem Schreiben und Komponieren der Lieder.
Herwig: Ja, es war natürlich eine Herausforderung, aber es ist letztendlich genau das, worum es im Schlager geht: Kitsch und Verzweiflung zu verbinden.
Fritz: Pathos und Kläglichkeit! Da Schlager ja kollektive Wachträume sind, gehorchen sie, wie alle Träume, nicht der Logik und Vernunft, sondern Wünschen und Ängsten. Und Michael lebt diese Sehnsüchte und Unsicherheiten grandios aus, im echten Leben wie in seiner Filmrolle. Auch deshalb ist unsere Symbiose geglückt, wie wir meinen.
Michael Thomas singt im Film neben euren Originalkompositionen noch andere Lieder, darunter Udo Jürgens’ „Immer wieder geht die Sonne auf”. Seid ihr nervös, ob eure Stücke neben so einem Jahrhundertschlager bestehen können?
Herwig: Nein, denn ich trage diese Art von Wettkampf nicht in mir. Außerdem singt Michael Thomas jedes Lied mit so einer Hingabe, dass sie alle zu seinen eigenen werden. Er verkörpert ja auch einen Suchenden, der nicht immer ins Schwarze trifft, und obwohl Richie Bravo in seiner Karriere ein paar Hits hatte, ist auch das Scheitern und Verrennen ein wichtiger Bestandteil seines Lebens.
Fritz: Irgendwann habe ich für mich beschlossen „Pale Blue Eyes” von Velvet Underground als schönsten Schlager aller Zeiten zu denken. Danach lässt es sich befreit und reinen Herzens am abgesunkenen Kulturgut Schlager herumwerkeln. Ulrich Seidl sei Dank.
Foto:
©Verleih
Info:
RIMINI
Österreich / Frankreich / Deutschland / 2022,
114 min
Stab
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:
Richie Barvo Michael Thomas
Abdruck aus dem Presseheft
Was waren eure ersten Gedanken und Gefühle, als ihr angefragt wurdet, Schlagermusik für einen Film von Ulrich Seidl zu komponieren?
Herwig: Ich habe mich sehr gefreut!
Fritz: Freude und Angst, denn die „Qualität” eines Schlagers bemisst sich zuerst an seiner Funktionstauglichkeit und nicht an den sophistischen Kriterien der Musikkritik. Ein Schlager, der nicht beim ersten Hören „reinfährt”, verfehlt leider seinen Zweck. Nicht zufällig besitzen sowohl der Schlager als auch der „Hit” dieselbe etymologische Wurzel: das (Ein)schlagen, das sofort Zündende. In Ulrich Seidls wunderbarem Angebot, Schlager zu produzieren, steckt also schon auch die leicht angstmachende Aufgabe, etwas per definitionem „kommerziell Erfolgreiches” abliefern zu müssen. Die Lieder wurden ja für den Mann, Künstler, Darsteller geschrieben und komponiert, der sie dann im Film zu singen hatte: Michael Thomas.
Ab was für einem Stadium eurer Arbeit seid ihr mit ihm zusammengetroffen und hat diese und die folgenden Begegnungen mit ihm eure Arbeit in eine andere Richtung getrieben?
Herwig: Wir haben Michael Thomas lange vor den Dreharbeiten getroffen, denn der Auftrag und Plan war, ihm vorab eine musikalische Identität und Geschichte zu schreiben. Die Lieder sollten im Film ja auch nicht aus der Konserve kommen, sondern in Rimini live von ihm gesungen werden. Es war also ein sehr langer Weg, vom Kennenlernen, über das Schreiben, bis zum eigentlichen Auftritt.
Fritz: Kurios auch, dass Michael anfangs von der Idee, einen Schlagersänger zu spielen, nicht sehr angetan war. Lieber wäre ihm als Freund des Musicals gewesen, „anspruchsvolleres” Liedgut singen zu dürfen. In Richtung Frank Sinatra oder Engelbert Humperdinck. Umgekehrt kann man Herwig und mich mit Musicals in die Flucht schlagen, wir bleiben lieber unten im tiefen Tal der Schlager-Melancholie.
Die Schlagermusik im Film wird ja „durch” die Figur von Michael Thomas geführt. Dadurch erhält selbst der ärgste Schmalz eine zutiefst menschliche, fast gebrochene Dimension. Was Kitsch war, kommt als Verzweiflung wieder raus. Das hört sich nach einer ziemlichen Herausforderung an hinsichtlich dem Schreiben und Komponieren der Lieder.
Herwig: Ja, es war natürlich eine Herausforderung, aber es ist letztendlich genau das, worum es im Schlager geht: Kitsch und Verzweiflung zu verbinden.
Fritz: Pathos und Kläglichkeit! Da Schlager ja kollektive Wachträume sind, gehorchen sie, wie alle Träume, nicht der Logik und Vernunft, sondern Wünschen und Ängsten. Und Michael lebt diese Sehnsüchte und Unsicherheiten grandios aus, im echten Leben wie in seiner Filmrolle. Auch deshalb ist unsere Symbiose geglückt, wie wir meinen.
Michael Thomas singt im Film neben euren Originalkompositionen noch andere Lieder, darunter Udo Jürgens’ „Immer wieder geht die Sonne auf”. Seid ihr nervös, ob eure Stücke neben so einem Jahrhundertschlager bestehen können?
Herwig: Nein, denn ich trage diese Art von Wettkampf nicht in mir. Außerdem singt Michael Thomas jedes Lied mit so einer Hingabe, dass sie alle zu seinen eigenen werden. Er verkörpert ja auch einen Suchenden, der nicht immer ins Schwarze trifft, und obwohl Richie Bravo in seiner Karriere ein paar Hits hatte, ist auch das Scheitern und Verrennen ein wichtiger Bestandteil seines Lebens.
Fritz: Irgendwann habe ich für mich beschlossen „Pale Blue Eyes” von Velvet Underground als schönsten Schlager aller Zeiten zu denken. Danach lässt es sich befreit und reinen Herzens am abgesunkenen Kulturgut Schlager herumwerkeln. Ulrich Seidl sei Dank.
Foto:
©Verleih
Info:
RIMINI
Österreich / Frankreich / Deutschland / 2022,
114 min
Stab
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:
Richie Barvo Michael Thomas
Abdruck aus dem Presseheft