Claudia Schulmerich
Wien (Weltexpresso) – Wenn es Gerechtigkeit gäbe, Gerechtigkeit im Filmgeschäft, noch besser: in der Filmkunst, dann würde Ulrich Seidl für RIMINI den Oscar erhalten und sein Star Michael Thomas den für den besten Hauptdarsteller. RIMINI ist ein filmisches Kunstwerk, eine tiefbewegende Charakterstudie und eine urkomisches Persiflage auf die Funktion gemütsbewegender Schlager, zwischen echter Rührung und tiefem Kitsch.
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, mit seiner Begeisterung – nach dem Schauen. Denn eigentlich hätte mich das Ganze vom Thema her überhaupt nicht interessiert. Sie waren mir mein ganzes Leben lang lästig, diese Männer – denn Catarina Valente und Helene Fischer sind eher weibliche Ausnahmen - , die als Schnulzenheinis angeblich Frauenträume verwirklichten. Angeblich, weil unsereiner sich in diese Welt nicht einfinden wollte, lange gebraucht hat, beispielsweise Udo Jürgens zu akzeptieren, und leider auch mit dem doch sympathischen Roland Kaiser so gar nichts anfangen kann.
Aber so ist es ja oft im Leben, daß das, was man negiert hatte , auf einmal ins Gegenteil kippt, da bin ich also ein echter Renegat, was diese Schlager angeht. Mit Einschränkung: nur, wenn Ulrich Seidl einen Film darüber macht. Sonst nicht.
Die Geschichte selbst ist kurz erzählt, denn es geht in diesem Film eindeutig um das Wie, was Seidl auf die Leinwand zaubert.
Im Hintergrund gibt es einen alten, längst dementen, sterbenskranken Vater (Hans-Michael Rehberg), der die Liebe zum Volkslied mit übelstem Nazitum vereint. Das „Sieg Heil“ weiß er noch und singt im Altenchor auch noch die alten, von den Nazis mißbrauchten Lieder.
Einer seiner zwei Söhne singt auch. Der mit dem Künstlernamen Richie Bravo (Michael Thomas) ist nach Rimini gezogen, weil er dort auch im Winter – den ganze Film über herrscht kalter, schneereicher Winter und korrespondiert so mit der Verfassung der meisten Protagonisten – seine Vergangenheit als populärer Sänger, teils auch mit eigenen Texten und Vertonung, zum Überleben brauchen kann. Sein Haus, das sein Sängerleben in Form von Postern und überlebensgroßen Pappfiguren dokumentiert und damit glorifiziert, vermietet er für Gruppies im Rentenalter, deren weibliche Teile er dann gerne gegen Entgelt noch zusätzlich beglückt, für diese Körperübungen darf er ein Zimmer in einem stillgelegten Hotel nutzen.
Doch seine Haupteinnahme sind seine Auftritte vor Reisegruppen, die in Riminis Hotels nächtigen, die sowieso mehrheitlich aus Frauen bestehen, aus älteren und alten Frauen, für die es ein Höhepunkt der Pauschalreise ist, daß sie Richie persönlich auf der Hotelbühne erleben dürfen – so nah! Und auch bei denen wird er zum Gelegenheitsliebhaber. Für Geld. Aber im Notfall auch aus Gefälligkeit. Er will es allen Recht machen und überall gut durchkommen, dieser Richie Bravo.
Diese Überlebensstrategie wird gefährdet, als seine, ihm persönlich unbekannte Tochter mit Emigrantenfreund und dessen Anhang auftaucht und von ihm all die nie gezahlten Alimente auf einen Schlag ausgezahlt haben will. Sie verschärft sein finanzielles Problem, gleichzeitig ruft sie durchaus wehmütig seine Vergangenheit in ihm wach, eine psychisch und real angespannte Situation.
Filme leben von den Bildern, die sie auf der Leinwand ablaufen lassen und für mich bleibt das sich ständig wiederholende Stapfen im Schnee des abgehalfterten Schlagersängers in seinem abgetragenen Pelz – „Den Säufer und den Hurenbock, friert’s selbst im dicksten Winterrock“- an der Küste der Adria, wenn er von Auftritt zu Auftritt tingelt, das allerstärkste Bild( Titelfoto). Erst wenn man ihn so stapfen sieht, bei Wind und Wetter, ahnt man auf einmal, daß hinter dieser jämmerlichen Existenz einer mit einem Durchhaltevermögen gesegnet sein muß, physisch und psychisch, das einem Respekt abnötigt. Das ist harte Arbeit, was dieser Schlagerfuzzi dort tut. Und auf einmal kommt einem das kalte, im Winterwetter verkommen erscheinende Rimini, voller Nebel, Regen und Schnee wie die Verkörperung des alternden singenden Gigolo vor. Melancholisch, tief traurig macht einen das.
Darum genießt dann ab irgendwann auch die Zuschauerin das Schnulzen bei Richie Bravos Auftritten vor seinem Publikum. Da ist dann die Saat des Regisseurs aufgegangen, wenn man die ewig gleichen Schlager, die Richie so schön sentimental von Liebe und dem Guten im Leben gurrend schmettert, auf einmal als Trost empfindet, für seine alt gewordenen Zuhörerinnen und für ihn selber, dem noch einmal - und das immer wieder - das Gefühl überkommt, gemocht zu werden und nicht der alte Absahner und Nichtnutz zu sein, der er ja eigentlich geworden ist.
P.S.
I. Zusätzlich ist der Film aktuell geworden durch den inzwischen verstorbenen Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle und durch die Aufgeregtheiten, die der zweite Teil des Filmdiptychons SPARTA wegen angeblicher Nichtinformation für die Eltern von Jugendlichen und potentiell pädophilen Szenen hervorgerufen hat: seinen Hauptdarsteller Georg Friedrich hat man als Sohn des alten Nazi schon zu Beginn in RIMINI gesehen. Tut mir leid, verehrter Georg Friedrich, aber solche schauspielerischer Glanzleistung, wie sie Michael Thomas vollzieht, der einfach auf ewig Richie Bravo bleibt, die kann man kaum übertreffen. Das gilt für den ganzen Film. Schau’n wir mal.
II. Noch eine andere Korrespondenz liegt nahe. In der letzten Woche lief der Film von Rosa von Praunheim über REX GILDO an, in dem Dokumentarmaterial über den Sänger sowie heutige Aussagen über ihn von seinen weiblichen Fans mit Filmszenen gekoppelt sind, die das echte Leben vom Schlagerstar Rex Gildo nachempfinden. Ich fand den Film gut, wenngleich ich – sie oben – nie mit dem Sänger in seiner Jungmännerzeit und danach etwas anfangen konnte. Zwei Schlagersängerfilme, ein echter und ein fiktiver, das ist doch mal interessant.
Als erstes gilt: Fiktion übertrifft Dokumentation. Und zwar mit Abstand. Seidl Film ist so viel reichhaltiger, lebendiger, ja authentischer als es der Film über den echten Gildo sein kann. Beide sind Schlagerstars, die im Alter dasselbe Problem hatten: ihre Zielgruppe ist mit ihnen gealtert, die Jungen interessieren sich nicht für so Zeug. Aber Gildo hatte zwei weitere Probleme, er mußte sein Schwulsein verbergen und er mußte jung bleiben, ein alternder Gildo schien nicht möglich, zumal er als Typ immer der Berufsjugendliche blieb, was zunehmend peinlich wirkte. Der fiktive Richie darf alt werden, zudem eine Wampe haben, der echte Rex durfte beides nicht.
Film über Rex Gildo: https://weltexpresso.de/index.php/kino/26582-rex-gildo-der-letzte-tanz
Foto:
©Verleih
Info:
RIMINI
Österreich / Frankreich / Deutschland / 2022,
114 min
Stab
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:
Richie Barvo Michael Thomas
©Verleih
Info:
RIMINI
Österreich / Frankreich / Deutschland / 2022,
114 min
Stab
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:
Richie Barvo Michael Thomas