abigailSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. September 2022, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ganz schön deutlich und ein Heidenspaß ist das, was wir auf der Leinwand sehen, und was man als satirischen Abgesang auf den menschenentzweienden Kapitalismus ansehen kann, ansehen muß, aber das Problem liegt ja gerade darin, daß zum Laufen der Maschinerie immer auch solche Filme gehören, die bittere Wahrheiten aussprechen, dann aber in einer Form, daß man darüber lachen kann, ja muß.

Natürlich sollen Sie hineingehen in diesen Film, denn er ist nicht nur gut gemeint, er ist auch gut gemacht und hat einerseits witzige Pointen, andererseits Schauspielerleistungen, die man gerne ansieht. Traurig ist er trotzdem, weil er unsere ungerechte Welt widerspiegelt und vielleicht ist das seine größte Leistung, daß er mit dem Spaß auch sein Gegenteil mittransportiert. Der Film gehört auch zu den Filmen, über die man noch nach dem Anschauen nachdenkt, weil manche Figuren und Situationen einen weiterhin beschäftigen.

Grundsätzlich gibt es zwei Szenarien. Die erste Szene spielt auf einem Luxusdampfer, wo nur die Superreichen und diejenigen, die auf dem Weg dazu sind, mitfahren. Wir sind dicht dabei, wenn sich die einzelnen Personen als die zeigen, die sie insgeheim sind. Das junge Paar, sie Yaya (Charlbi Dean) ein Model auf dem Weg nach oben und erfolgreiche Influencerin, er, Carl (Harris Dickinson), ist auch in der Modewelt zu Hause, aber seine Karriere stagniert und er kann froh sein, daß Yaya auf die Yacht eingeladen wird und ihn mitnimmt. Er hat übrigens die sogenannte Triangle of Sadness, auf Deutsch die Sorgenfalte über der Stirn, die Botex beseitigt. Die Sorgen nicht. Die beiden spielen gewissermaßen neben den anderen Personen doch eine Hauptrolle und ihr Auftritt im Prolog am Tisch im Restaurant, als es darum geht, wer die Rechnung bezahlt, können viele Paare nachspielen, bzw. vorspielen.

dddÜberhaupt, das merkt man bald, geht es hier nicht um die individuellen Personen, sondern um Charaktermasken, also um Mensch gewordene soziologische Gegebenheiten, die allerdings herrlich individuell ausgespielt werden. So muß man einfach an dem Oligarchenpaar seinen Spaß haben, da Vera (Sunnyi Melles) und Dimitry (Zlatko Burić ) lassen keine Peinlichkeit aus. Therese (Iris Berben) dagegen leidet an fortgeschrittener Demenz, weilt ständig in den Wolken, weil sie diesen Begriff ständig mit unterschiedlicher Betonung wiederholt.

Inmitten der geltungssüchtigen Passagiere kommen einem das freundliche englische Ehepaar besonders nett vor, bis man mitbekommt, daß er das Geld mit Kriegswaffen gemacht hatte, wobei sich der Regisseur als es zum Crash kommt, einen kleinen Spaß macht, in dem er die beiden durch eine Explosion ums Leben kommen läßt. Denn darauf steuern die Freß- und Sauforgien an Bord hin. Erst werden beim Kapitätsdinner der aufkommende Sturm Anlaß für ein ausgiebiges Kotzen. Das ist so ekelhaft wie sinnhaft, denn die, die jetzt kotzen, sind in der Regel selber zum Kotzen. Da lernen wir auch den Kapitän (Woody Harrelson) selber besser kennen, der seine Starstunde hat, als er den fortschrittlich Betrunkenen über das Mikrophon das Kapital von Karl Marx vorliest, nachdem er schon zuvor den Superkapitalisten Dimitri mit Worten klein gemacht hat.

Alles steuert auf die Katastrophe zu, die Luxusyacht sinkt, die meisten ertrinken. Einige können sich an Land retten. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte, um die es dem Regisseur, der sein eigenes Drehbuch verfilmt, geht. Die Verhältnisse haben sich geändert und mit ihnen die Wertschätzung der einzelnen Personen.Den jetzt zählt nur noch, wer das Überleben der kleinen Gruppe organisieren kann. Das wird die zuvor als Toilettenfrau überhaupt nicht wahrgenommene Abigail (Dolly De Leon). Denn sie ist die einzige, die weiß, wie man ohne Feuerzeug und Streichhölzer Feuer macht oder wie man einen gefangenen Fisch auch ausnimmt.

Diese Umkehrung der sozialen Verhältnisse ist der Witz an der Geschichte, der richtig zündet, weil er so einsichtig ist und weil er diese Abigail genauso machtgierig und ausnutzerisch zeigt, wie es vorher die Kapitalisten machten. Die dreht den Spieß um. Sie weiß um ihre Wichtigkeit und wird die Tyrannin der kleinen Gruppe, die sich erst mal das einzige zeltähnliche Ding zum Übernachten aussucht und als Bettgefährten den schmucken Carl. Da lernen wir aber auf einmal auch Yaya besser kennen, die sich souverän zeigt. Einige bleiben auf der Strecke, doch es wird auch die klug gewordene Yaya sein, die den Ausweg aus der Misere findet. Die Personen bleiben also nicht statisch, sondern wachsen mit ihren Aufgaben oder scheitern daran.

Doch, wirklich gut ausgedacht und umgesetzt. Und ein Spaß auch, der einem allerdings leicht im Halse stecken bleibt, weil es der Luxusyachten, die unterwegs sind, viele gibt, aber nur wenige untergehen.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung
Carl               Harris Dickinson
Yaya              Charlbi Dean
Abigail           Dolly De Leon
Dimitry           Zlatko Burić
Therese         Iris Berben
Paula.            Vicki Berlin
Jarmo.           Henrik Dorsin
Nelson.         Jean-Christophe Folly
Clementine    Amanda Walker
Winston         Oliver Ford Davies
Vera               Sunnyi Melles
Der Kapitän   Woody Harrelson

Stab
Regie          Ruben Östlund
Drehbuch   Ruben Östlund