30. Oktober: FRANKFURT SCHAUT EINEN FILM, hier im DFF, Teil 1/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hat sich wirklich gelohnt, diese Aktion: 1 Film, 1 Tag, 9 Kinos, 14 Events, die einen begeistert zurückläßt und neugierig sein läßt, welcher Film im nächsten Jahr gemeinsam angeschaut wird. Aus Anhänglichkeit wollte ich den Film im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum (DFF) anschauen, weil ich mit dabei war, als der damalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann erst das Kommunale Kino und dann das Filmmuseum gründete und ich die dortige Arbeit hervorragend finde. Meine gute Absicht war ein Fehler, weil ich das ausführliche und exzellente Programmheft nicht kannte, denn im Anschluß an den Film wurden Gespräche und Diskussionen angeboten, zu unterschiedlichen Themen. Dazu noch mehr.
Als erstes holte ich am Samstag den Roman aus dem Krimikeller der Redaktion! Erstaunen, die eigene alte gebundene Ausgabe (links) aus dem Diogenes Verlag war verschwunden, aber eine neue, Taschenbuch detebe,(rechts) stand da. Natürlich hatte ich 1985 gleich beim Erscheinen den Roman gelesen, war ja ein Frankfurter, der ihn geschrieben hatte, was aber nur Eingeweihte wußten, weil damals Pseudonyme noch ernst genommen wurden und nicht im Klappentext die ‚richtigen‘ Namen standen. So dachte die Welt, ein Ausländer, wohl ein Türke Arjouni schreibt die Krimis über den türkischstämmigen Privatdetektiv Kemal Kayankaya, der auch im Film immer wieder sein schönes Messingschild blank putzt, wenn wieder mal einer KAMEL aus seinem Vornamen gemacht hatte. Das zeigt die kleine feine Ausstellung, die im Filmmuseum zusätzlich zu sehen ist.
Den Film hat Doris Dörrie vor 30 Jahren in die Welt geschickt und – um das gleich zu sagen – er hat sich gut, sehr gut gehalten. Natürlich würde man heute, wie sie selbst sagt, anders erzählen, aber der Film folgt dem 170 Seiten langen Kayankaya-Roman in seiner Lakonie und Deutlichkeit, auch der Gewalt und dem Alkohol. Bekannt ist, daß Arjouni – heute darf man sagen, daß es sich um den 1964 in Frankfurt geborenen Jacob Benjamin Bothe handelt, der schon 2013 in Berlin an Krebs starb, - seinen Frankfurter Privatermittler nicht dezent, sondern sehr offensichtlich an die amerikanischen Vorbilder des Krimis noir von Raymond Chandler und Dashiell Hammett, dem hardboiled detective orientierte und mit 21 auch darauf eine Antwort gab, daß im Jahr zuvor Jörg Fauser, der die Krimis mit Drogen und Ausländern im deutschen Sprachraum verankert hatte, mit 40 Jahren auf der Autobahn überfahren worden war. Man kann sicher sein, daß er Arjouni gelobt hätte, wie es der spanische Großmeister Manuel Vázques Montalbán tat.
Das Drehbuch zum Film haben der Autor und Regisseurin Dörrie zusammen verfaßt und es macht schon Spaß die Abweichungen zu konstatieren und sich selbst zu erklären. Vorneweg die Zusammenfassung des Films: Die Türkin Ilter Hamul (Özay Fecht) erscheint im versifften Büro Kayankayas im Ostend, er soll ihren verschwundenen Mann Ahmed Hamul (Emin Boztepe)suchen. Im Buch ist der Mann gleich tot und er soll den Mörder suchen, im Film wird er erst später ermordet. Beim Familienbesuch erkennt er, daß zwischen Schwiegermutter, deren Sohn und Tochter sowie Ilter mit drei Kindern Irritationen auftreten. Kayankaya, dessen türkische Mutter bei seiner Geburt starb, der Vater ebenso, als das Kind drei Jahre war, wuchs bei deutschen Eltern auf und kann kein Türkisch, was ein running gag im Film ist, wo er sogar Türkisch lernt. Im Buch nicht. Auch die Szene links im Foto ist für den Film gut erfunden. Als der - auch das ist Zeitgeist - im Film dauerrauchende Kemal im Fahrstuhl eine Zigarette rauchen will und die verbiesterte ältere Mitfahrende um Feuer bittet und jeder glaubt, daß die ihn jetzt hängen läßt, zückt sie ihre Uhr, die auf Druck Feuer erzeugt. Hinreißend, weil gegen die Erwartung.
Kemal kommt bald drauf, daß da alles mögliche vorn und hinten nicht stimmt: Da ist eine Verbindung des vor zwei Jahren mit dem Auto tödlich verunglückten Schwiegervaters Vasif Ergün und Ahmed, das stracks in die Drogenszene führt, die von der abhängigen Hanna Hecht (Meret Becker) repräsentiert wird, die im Roman Ahmed, im Film Ergün liebt. Insgesamt spielt das Rotlichtmilieu eine Rolle, wo dann wiederum Susi (Nina Petri) für den Detektiv zu seiner Margarete wird. Aber die größte Rolle spielt die Polizei selbst und dies in verschiedenen Funktionen. Der pensionierte Kriminalbeamte Theobald Löff (Stefan Wigger) hilft, sein Nachfolger Paul Futt (Lambert Hamel), der den Mord ermitteln soll, zeigt zusammen mit Assistent Harry Eiler (Ulrich Wesselmann), welche Manipulationen man mit Macht und Wissen zustandebringen kann, die zu Mord und Totschlag führen, erst recht, wenn man dem dummen Beamten Georg Hosch einreden kann, daß er das von der Polizei beschlagnahmte Heroin Kommissar Futt zu Ermittlungszwecken heimlich übergeben soll.
Es gibt im Film einen überwältigenden Countdown, der ein Film für sich ist, wo sich im Wohnzimmer der Futts dessen von ihm vernachlässigte Frau, ihr Liebhaber, ein Staatsanwalt, Eiler, Hosch und Kemal versammeln und gemeinsam auf Paul Futt warten. Und als der kommt und sich herauszureden versucht, ...aber nein, das wird nicht verraten.
Es ist immer spannend, literarische Vorlagen und Filmdrehbücher zu vergleichen, hier glaubt man, die Entscheidungen der Drehbuchschreiber zu verstehen. Manches ist zusammengeballt, manches vereinfacht, die Abfolge verändert. Was ich jedoch am Interessantesten fand, ist die Aufwertung der Frauen, die im Film stattfinden. Auch im Roman spielen sie die bessere Rolle, aber im Film wird auf einmal Melike Ergün (Emine Sevgi Özdamar), die Schwiegermutter der Kemal beauftragenden Ilter, zu einer eigenständigen Figur, die eine eigene Meinung hat und zwischen den Interessen der anderen ihren eigenen Weg findet. Überhaupt mögen Buch und Film die Frauen.
Vier Dinge, die mir auffielen. Im Buch reagiert Kemal auf die Auskunft, daß Bruder Yılmaz Ergün (Ömer Simsek) beim Hessischen Rundfunk (hr) als Hilfskoch arbeitet, mit: „Schlechtes Radio und schlechtes Schnitzel waren das einzige, was mir dazu einfiel.“ (22), was natürlich ein lokaler Seitenhieb ist, was im Film entfällt.
Das übergriffige Verhalten von vorwiegend Beamten gegenüber aus dem Ausland Gekommenen, die heute ziemlich gesichtslos Migranten genannt werden, wo doch die Motive sehr unterschiedlich sein können, solches abfällige, auf die Herkunft zielendes Verhalten, was heute generalisierend rassistisch genannt wird, spielt im Film eine viel größere Rolle als im Buch. Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht und denke, es liegt eben auch an der Funktion eines solchen hardboiled detective-Krimi noir, der nicht Inländer-Ausländer, Deutsche-andere Nationen zum Wichtigsten erklärt, sondern an ihnen gesellschaftliche Veränderungen aufzeigt. Also keine moralische, sondern eher eine aufklärerische Position.
Den Unterschied zwischen Roman und Film hinsichtlich Ausländerfeindlichkeit, sieht man besonders deutlich an der im Film erfundenen Figur des Hausmeisters, der einerseits zu Recht dem schlampigen und Kippen auf den Boden werfenden Ermittler auf seine Umweltsünden hinweist, dies andererseits in einer Form und einer Übertriebenheit tut, die dann schon wieder nicht normal sind und Verfolgungsqualitäten gewinnen.
Schauen Sie sich einmal die obigen Fotos des Hauptdarstellers (rechts) und die des Autors (links) an. Erstaunlich.
Fotos:
©Verleih
Info:
Originaltitel Happy Birthday, Türke!
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1992
Länge 109 Minuten
Altersfreigabe FSK 16
Stab
Regie Doris Dörrie
Drehbuch Doris Dörrie,
Jakob Arjouni (Roman)
Darsteller
Hansa Czypionka: Kemal Kayankaya
Özay Fecht: Ilter Hamul
Lambert Hamel: Paul Futt
Ulrich Wesselmann: Assistent Harry Eiler
Meret Becker: Hanna Hecht
Emin Boztepe: Ahmed Hamul
Şiir Eloğlu: Ayşe Ergün
Emine Sevgi Özdamar: Melike Ergün
Ömer Simsek: Yılmaz Ergün
Michael Hanemann: Staatsanwalt Schneider
Doris Kunstmann: Frau Futt
Manuela Riva: Madame Obelix
Eckart Rühl: Nöli
Stefan Wigger: Theobald Löff
Helen Vita: Frau Löff
Richard Beek: Lagerverwalter
Nina Petri: Susi
Thomas Heeg: Sesselträger