Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Oktober 2022, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer erinnert sich nicht an diese schreckliche Entführung, die uns alle wochenlang in Angst und Schrecken hielt, auch wenn wir nicht die Angehörigen waren. Aber der Entführte Jan Philipp Reemtsma war durch seine publizistische Arbeit nicht nur wohlbekannt, sondern auch wohlgelitten, denn er setzte sein Geld, das er geerbt hatte, ganz im Sinne Goethes ein.
Das ist natürlich ungerecht, aber damals diskutierten wir wirklich in der Richtung: „Warum ausgerechnet er, der mit dem Geld viel Gutes anfängt, warum nicht einer, der da rumpraßt...“. Das nur vorneweg, um zu schildern, mit welchem großen Interesse, aber auch mit welchem Unbehagen ich mir den Film anschaute, der ja die Lähmung ob der langen Entführungszeit, unmittelbar wiedergibt, wo man nie wußte, ob Jan Philipp Reemtsma wirklich am Leben bleiben darf oder umgebracht wird. Und immer, wenn etwas gut ausgeht – daß das enorme Lösegeld nie gefunden wurde, bzw. die Täter, aber nicht das Geld, ist schon eine eigene Geschichte wert - , will man nicht unbedingt den Schauer von gestern noch einmal erleben. Welcher Hasenfuß, buchstäblich, ich bin, konnte ich hier konstatieren: die härtesten Horrorfilme machen mir nichts aus, kann ich alles sehen, aber bei diesem Film hatte ich dauernd Frösteln und noch etwas, über das ich hier nicht schreiben werden, weil der Film mir einfach zu stark unter die Haut geht. Ist das ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Das kann ich nicht entscheiden, wußte nur, daß ich meine Probleme damit habe, daß der Film aus den Augen des Sohnes, des damals 13jährigen Johann gedreht ist.
Kein Wunder,, denn es ist die Verfilmung des Buches von Johann Scheerer, der nach seiner Mutter heißt, das 2018 veröffentlicht wurde. Es geht also nicht um den Kriminalfall, nicht um die Tat, nicht um die Täter, nicht einmal um das Opfer, sondern es geht darum, wie ‚die Angehörigen‘, also seine Mutter und er die Entführungsfolgen, das Hin und Her mit Polizei und Tätern erlebt haben, was man auch nur deshalb niederschreiben und verfilmen kann, weil es ‚gut‘ ausging, was heißt, daß Jan Philipp Reemtsma am Leben blieb und nachdem die Lösegeldübergabe endlich geklappt hatte, freigelassen wurde. Der Film geht nicht darauf ein, was eine solche Entführung mit einem Menschen macht,, denn zu überleben ist zwar das Wichtigste, aber wegstecken kann man eine solche Zeit der Demütigung, der nackten Angst kaum.
Deshalb war ich während des Films immer wieder in Gedanken bei dem Entführten und das mich sein Schicksal so viel mehr interessiert, als das eines 13jährigen, dessen Vater entführt wird und der in eine Gemengelage von emsigen Erwachsenen gerät, die das Durcheinander und unprofessionelles Handeln zum Prinzip machen.
Von vorne. Der Film beginnt ganz harmlos, der Vater (Philipp Hauß) gibt dem Sohn (Claude Heinrich) Nachhilfe in Latein,, weil dieser am nächsten Tag eine Klassenarbeit schreiben muß und geht dem Sohn dann dadurch auf den Wecker, daß er ihm das Lesen eines Buches von Vergil aufdrückt. Die Nachhilfe findet im Haus des Vaters statt, denn auf dem großen Grundstück gibt es ein Familienhaus und ein Haus mit den Büchern, die sein Vater zum Arbeiten braucht. Und am Morgen ist er weg der Vater, weg aus seinem Haus, die Spuren zeigen die Entführung an, die Polizei rückt an. Die Polizei gibt es nicht, es sind immer die Personen, die sie repräsentiert.. .Da ist Kommissar Osthoff (Fabian Hinrichs), der als Einsatzleiter für alles verantwortlich ist. Doch die Mutter Ann Kathrin (Adina Vetter), die außerordentlich gefaßt die Zeit durchleidet, befürchtet, daß die Polizei vielleicht auch die Entführung verschärft, weshalb sie Rechtsanwalt Schwenn ( Justus von Dohnányi) bittet zu kommen wie einen weiteren Freund der Familie (Hans Löw), der sich vor allem um den Jungen kümmern soll.
Die Polizei hat das Haus verwanzt, aber es passiert nichts, bis der Brief kommt, der Brief vom Entführten, der Hinweise enthält, die man nicht entschlüsseln kann, vielleicht waren sie gar keine. Und die Telefongespräche mit den Entführern, die Schwenn als Vertrauensmann der Familie führen will, sind ob der technischen Unzulänglichkeiten ein einziger Witz, will sagen, nicht zielführend. Und so klappt dann auch die erste Geldübergabe nicht, als schließlich eine Übergabe verabredet war.
Für mich wird dieses Durcheinander, das Falschverstehen, buchstäblich kann man nichts richtig hören, weil die Täter mit Stimmverzerrung das Gesagte undeutlich werden lassen, für mich sind das die überzeugendsten Passagen. Auch das nicht eindeutige Verhalten von Schwenn. Großartige macht das Dohnányi, der den völlig überforderten Schwenn in seiner Zerrissenheit und dem Überfordertsein sehr menschlich darstellt. Daß man ihn besser draußen läßt, wissen dann alle und zunehmend wird Ann Kathrin ärgerlich über die vielen Patzer der Männer, sowohl Schwenns wie auch die der Polizei. Sie will ihren Mann retten und das alleine durchziehen. Das geschieht zwar nicht, aber ein Pfarrer ist nun willig und mit den 30 Millionen klappt die Übergabe nach fünf Wochen Gefangenschaft und den eingeschränktesten Bedingungen: ... Geld weg, Mann lebt.
Ob einen die gefaßte Haltung der Mutter deshalb so auffällt, weil sie aus der Sicht des Sohnes seine Stütze ist? Immer wieder war mir die Sicht des Sohnes aus den Augen, denn natürlich kann sich ein 13jähriger an vieles erinnern, aber das Erzählte danach überstrahlt auch die eigene Erinnerung. Aber da muß man nicht beckmessern. Er darf das, der Sohn. Nur wäre mir eine fiktive Entführung mit allem Drumherum interessanter gewesen, als die Perspektive des Jungen, die ja nicht mehr herstellbar ist, wie sie damals war, sondern mit all den Erzählungen der anderen und den festgestellten Fakten umgehen muß.
Hans-Christian Schmid hat einen sauberen Recherchefilm über eine spektakuläre Entführung und ein desolates Handeln von Polizei und Freunden des Entführten aus den Augen des Sohnes angereichert mit Fakten gezeigt.
Foto:
©Verleih
Info:
STAB
Regie. Hans-Christian Schmid
Drehbuch Michael Gutmann und Hans-Christian Schmid nach dem gleichnamigen Buch von Johann Scheerer
Darsteller
Johann Scheerer Claude Heinrich
Ann Kathrin Scheerer Adina Vetter
Johann Schwenn Justus von Dohnányi
Christian Schneider Hans Löw
Vera Yorck Dippe
Nickel Enno Trebs
Rainer Osthoff Fabian Hinrichs
Jan Philipp Reemtsma Philipp Hauß