Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2022, Teil
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am 13. November 2015 will Hélène Leiris (Camélia Jordana) zusammen mit ihrem Freund Bruno (Yannuk Choirat) das Rock-Konzert der Band Eagles Of Death Metal im Musikclub Le Bataclan in Paris besuchen. Ihr Mann Antoine (Pierre Deladonchamps), der als Kulturredakteur bei Radiosendern arbeitet, passt in dieser Zeit auf den 17 Monate alten Sohn Melvil (Zoé Iorio) auf. Er verspricht seiner Frau, wach zu bleiben und auf ihre Rückkehr zu warten.
Nachdem Antoine Melvil vorgelesen und ihn ins Bett gebracht hat, liest er selbst ein bisschen und wartet auf die Rückkehr seiner Frau. Dann erhält Antoine eine SMS, in der angefragt wird, ob es ihm gut gehe. Er wundert sich und ignoriert sie. Später erreicht ihn noch eine zweite Mail, die sich nach seiner Sicherheit erkundigt. Jetzt schaltet Antoine den Fernseher ein. Dort erfährt er von den Anschlägen, dass vor dem Stade de France, wo gerade ein Fußball-Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfindet, im Bataclan, auf Cafés und Restaurants in der Nachbarschaft von islamistische Terroristen eine Reihe brutaler Terroranschläge verübt worden sind.
Antoine und seine Freunde versuchen, etwas über Hélènes Zustand und Aufenthaltsort herauszufinden. So sucht er zusammen mit einem Freund die umliegenden Krankenhäuser ab und sieht dort die verletzten Menschen. Doch erst am nächsten Tag erfährt er schließlich, dass seine Frau zu den Todesopfern gehört. Bei den Anschlägen werden insgesamt 130 Menschen ihr Leben verlieren. Allein im Bataclan gibt es 89 Opfer, darunter ist auch Hélène Leiris, während ihr Begleiter Bruno verletzt überlebt hat.
Für Antoine bricht seine ganze Welt zusammen. Doch während die Welt geschockt ist, setzt sich der Journalist an seinen Computer und postet auf seinem Facebook-Account einen offenen Brief an die Täter:
″Am Freitagabend habt ihr das Leben eines ganz besonderen Menschen gestohlen. Die Liebe meines Lebens. Die Mutter meines Sohnes. Aber meinen Hass bekommt ihr nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid, und ich will es auch nicht wissen. Ihr seid tote Seelen. Wenn der Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild erschaffen hat, dann hat jede Kugel, im Körper meiner Frau, auch ihn ins Herz getroffen. Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn es das ist, was ihr wollt. Auf den Hass mit Wut zu antworten, hieße, der gleichen Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.″
Die Botschaft wird innerhalb kürzester Zeit von mehreren hunderttausend Menschen gelesen und positiv beantwortet. Daraufhin druckt die Tageszeitung Le Monde den Brief auf ihrer Titelseite ab. Das führt dazu, dass Leiris auch im Fernsehen Rede und Antwort stehen muss.
Aber während Antoine zum Symbol einer ungebrochenen, offenen und liebevollen Gesellschaft wird, dessen Text weit über die Grenzen Frankreichs hinaus Symbolkraft entwickelt, muss er einen Weg finden, mit seinem Verlust umzugehen. Denn gleichzeitig soll sein normales Leben weitergehen, denn er muss sich zusammen mit Angehörigen und Freunden um Hélènes Beerdigung kümmern, die üblichen Routinen mit seinen Sohn unternehmen und den kleinen Jungen trösten, der immer wieder nach seiner Mutter fragt und dem sehr schwer zu vermitteln ist, warum sie plötzlich nicht mehr nach Hause kommt.
Dabei wird Antoine lernen, auch seinem Sohn zuliebe gegen seinen eigenen Hass anzukämpfen. Denn als er begreift, wie sehr Melvil ihn braucht, kann er sich der neuen Realität stellen. Er muss lernen, den Verlust zu akzeptieren und einen Neubeginn wagen. Denn das ist er seiner verstorbenen Frau und seinem Sohn schuldig...
Regisseur von ″Meinen Hass bekommt ihr nicht″ ist Kilian Riedhof. Das Drehbuch von Jan Braren, Marc Blöbaum, Kilian Riedhof und Stéphanie Kalfon beruht auf dem Sachbuch gleichen Namens von Antoine Leiris, das 2016 nicht nur in Frankreich erschienen ist.
Allerdings ist der hier besprochene Film nicht der einzige, der sich mit den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris beschäftigt und in den letzten drei Monaten 2022 im Kino erschienen ist oder gezeigt werden wird.
Bereits am 20.10.2022 kam der französische Film ″November″ in die Kinos, in dem die geheime Anti-Terror-Einheit (SDAT) unter der Leitung von Fred (Jean Dujardin) unter Druck gerät, weil sie die Täter so schnell wie möglich ausfindig machen müssen.
Für dem 15.12. 2022 ist die deutsche Aufführung des spanisch-französischen Films ″Frieden, Liebe und Death Metal″ (2022) nach dem gleichnamigen Buch von Ramón González geplant, in dem er beschreibt, wie er und seine Freundin Céline, die beide das Attentat im Bataclan überlebt haben, versuchen wieder zurück ins Leben zu finden.
Weitere französische Filme zu dem Thema der Bewältigung von Terroranschlägen sind z.B. ″Mein Leben mit Amanda″ (2018) und ″Paris Memories″ (2022), der noch keinen deutschen Starttermin hat.
Die genannten Filme zeigen die Terrornacht am 13.11.2015 aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven und wie sich die Überlebenden mit den Nachwirkungen beschäftigen müssen. Regisseur Kilian Riedhof hat in ″Meinen Hass bekommt ihr nicht″ den Ansatz gewählt, das persönliche Schicksal eines Mannes zu zeigen, der auf den Schrecken des Terrors eine zutiefst menschliche Antwort gibt und dessen kurzer Facebook-Artikel global für riesige Aufmerksamkeit und Anteilnahme gesorgt hat.
Dabei werden während des gesamten Films eigentlich keine Szenen zur Zerstörung, die durch die Attentate angerichtet wurden, gezeigt. Es gibt nur eine kurze Szene, wenn das ausgebrannte Bataclan von außen zu sehen ist, während Antoine nach dem Auto sucht, das Hélène in der Nähe abgestellt hat. Der ganze Film bleibt immer in der Perspektive des Hinterbliebenen, dadurch macht er die Ohnmacht und Trauer Antoines spürbar. Er zeigt aber auch, dass sich Antoine nicht immer fair seinen Verwandten - vor allem der Mutter und Schwester seiner Frau - gegenüber verhält, in dem er ihnen einen großen Teil der Vorbereitung zur Beerdigung überlässt.
Der Film zeigt aber auch, wie Antoine lernt, seinen Alltag neu zu ordnen, um nach und nach in seine Rolle als alleinstehender Vater und Witwer hinein zu wachsen und allein für seinen Sohn Melvil zu sorgen. Dabei gibt es auch einige lustige Szenen, wenn die Mütter in Melvils Kindergarten, Antoine mit Essen helfen wollen und Melvil das kategorisch ablehnt und hinterher freudig erzählt, dass sie es ins Klo geschüttet hätten.
Der Darsteller von Antoine, Pierre Deladonchamps, spielt die Trauer Antoines ausgesprochen überzeugend und hält dabei immer die Balance zwischen Verzweiflung und Pragmatismus. Die Kamera ist häufig nahe an Pierre Deladonchamps Gesicht, wenn immer wieder Erinnerungen an das Leben vor der Schreckensnacht aufblitzen oder wenn Antoine durch Gegenstände und Gerüche an seine Frau erinnert wird.
Von den übrigen Schauspielern bleibt vor allem die 2017 geborene deutsch-französischen Kinderdarstellerin Zoé Iorio als Antoines Söhnchen Melvil in Erinnerung, denn auch der kleine Junge muss mit dem Verlust der Mutter und den veränderten Bedingungen klar kommen. Dabei macht er manchmal doch recht ″nervig″ auf sich aufmerksam, wenn er z.B. auf dem Schlagzeug spielt, während sich die Erwachsenen unterhalten. Zoé Iorio schafft es, ihre Darstellung ausgesprochen echt wirken zu lassen.
Die ganz normalen Tagesabläufe zwischen Vater und Sohn zeigen aber auch, wie das Leben nach der Tragödie weitergehen muss. Besonders ergreifend sind dann die Szenen, wenn Antoine seinem Sohn am Grab von Hélène erklärt, wo seine Mutter ist.
Von der Deutschen Film- und Medienbewertung FBW erhielt ″Meinen Hass bekommt ihr nicht″ das Prädikat ″besonders wertvoll″. Die Jury meinte, dass das von Antoine Leiris veröffentlichte Facebook-Statement gegen Hass und Angstmache durch den Terror der dramatisch-berührende Höhepunkt sein mag, doch der emotionale Anker der Geschichte ist Antoines rührende Beziehung mit seinem Sohn Melvil, die selbst im Angesicht des Schreckens eine hoffnungsvolle Note setzt.
Insgesamt hat Regisseur Kilian Riedhof mit ″Meinen Hass bekommt ihr nicht″ nach dem gleichnamigen autobiografischen Buch von Antoine Leiris einen Film gedreht, der ohne Sensationslust und mit viel Feingefühl auf eine individuelle Tragödie hinter den Nachrichten schaut. Das macht den Film unbedingt sehenswert.
Zusatz 1: Das Bataclan wurde am 12. November 2016 mit einem Konzert von Sting wieder eröffnet.
Zusatz 2: Antoine Leiris hat außer Meinen Hass bekommt ihr nicht (2016) auch noch ein weiteres Buch namens Danach, das Leben (2020) veröffentlicht, in dem er das Loslassen und die vielen Schritte zurück ins Leben beschreibt.
Foto 1: Zoé Iorio (Melvil) und Pierre Deladonchamps (Antoine Leiris) © Tobis Film GmbH
Foto 2: Pierre Deladonchamps (Antoine Leiris) © Tobis Film GmbH
Foto 3: Camélia Jordana (Hélène) und Pierre Deladonchamps (Antoine Leiris) © Tobis Film GmbH
Info:
Meinen Hass bekommt ihr nicht (Deutschland, Frankreich, Belgien 2022)
Originaltitel: Vous n'aurez pas ma haine
Genre: Drama, Literaturadaption
Filmlänge: 102 Min.
Regie: Kilian Riedhof
Drehbuch: Jan Braren, Marc Blöbaum, Kilian Riedhof und Stéphanie Kalfon
Nach dem Buch Meinen Hass bekommt ihr nicht von Antoine Leiris (2016)
Darsteller: Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana, Thomas Mustin, Christelle Cornil, Anne Azoulay, Farida Rahouadj, Yannuk Choirat u.a.
Verleih: Tobis Film GmbH
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 10.11.2022