jeliSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2022, Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Der Film macht Lust, die Texte zu lesen.“, meint der Interviewer, wobei ich sogar der Meinung bin, allein, daß es einen Film über sie gibt, weckt das Interesse, ihre Romane (wieder) zu lesen und sich mit den Stücken zu beschäftigen. Wer den Haß noch mitbekommen hat, mit dem sie übergossen wurde, wird für immer an ihr und ihren Werken interessiert bleiben.

Das Schönste am Film ist für mich die Natürlichkeit, mit der Elfriede Jelinek über die wichtigsten und auch die nebensächlichen Dinge spricht. Das ist völlig im Gegensatz zu dem, wie sie öffentlich vorgeführt wurde, aber auch im Gegensatz dazu, wie sie sich selbst oft – vielleicht aus Schutzbedürfnis – ‚stilisiert‘ hat. Vielleicht hat das auch damit zu tun, daß sie eigentlich aus der öffentlichen Diskussion verschwunden ist, was einerseits die Neugierde von denen, die sie nicht kannten, auf eine Literatur-Nobelpreisträgerin aus Österreich steigern kann, andererseits ihre lautstarken Gegner von damals im Rentneralter oder darüberhinaus schweigen läßt, was zu ihrer sichtbaren Entspanntheit beiträgt. Vielleicht resultiert das aber auch die Art und Weise, wie die Filmemacherin Claudia Müller ihr gegenübertrat. Und vielleicht kommt beides zusammen.

So überzeugt der Film schon im Zusammenspiel von Biographie und Werk, für jemanden, der das Werk gut kennt, spielen sogar die biographischen Angaben die wichtigere Rolle. Ihre Kindheit spiegelt eine erfolgsbesessene Mutter, die man heute als Helikoptermutter bezeichnen täte, die ihren Kindern alles zu bieten glaubt, aber vorwiegend alles verlangt: Musikinstrumente spielen genauso wie Tanz, überall muß das Kind Bestleistungen bringen, darauf wird sie geeicht. Das wird zu einem schwierigen Kind-Mutter-Verhältnis führen, denn das Abnabeln und damit das Eingestehen, daß die Mutter das Kind funktionalisiert hat, tut weh. Ihre Eigenanalyse lautet, daß sie sich in die Sprache gerettet habe, weil diese die einzige Kunstform war, die ihre Mutter nicht gefördert hat.

Geboren wurde sie in der Steiermark, der grünen, wo vor allem in den ländlichen Bereichen bis heute eine fremdenfeindliche Grundhaltung vorherrscht, aufgewachsen ist sie erst in Wien, wo ihr Vater lebte, der erst psychisch labil, dann schwer krank früh starb, während sie in einer Klosterschule gedrillt wurde.

Ob das und was es mit dem als Angststörung bezeichneten Rückzug aus der Öffentlichkeit zu tun hat oder ob diese aus dem Umgang dieser Öffentlichkeit mit ihr kommt oder nichts mit beidem zu tun hat, kann man nicht entscheiden. Wieviele Aufnahmen es von ihr als Kind gibt, ist unglaublich. Das war ja lange vor der Hochzeit der Video 8-Kameras der 80er Jahre und für die 50er Jahre einfach sensationell.

Im Nachhinein weiß man gar nicht genau, wie sie das gemacht hat, die Regisseurin, wie sie diese Melange hinbekommen hat, aus eigenen Aussagen der Elfriede Jelinek, ihren Stücken, ihren Gedichten, ihren vielfachen literarische Preisen seit der Jugend , ihren Romanen, den Aussagen der Literaturkritik, der Leserinnen, den Filmaufnahmen und Interviews, die Preisübergaben und das Verlesen ihrer Texte. Dabei spielt auch eine Rolle, mit welcher Häme ihr Mutterland Österreich mit ihr umgegangen ist. Man sieht Wahlplakate der österreichischen Freiheitlichen (welche Frechheit, sich so zu nennen, wenn man politisch das Gegenteil verkörpert), die sie verunglimpfen, von der Häme wurde schon gesprochen. Sie war als freie Frau, noch dazu sprachmächtig und dann auch noch erfolgreich und im Ausland hoch angesehen, das ideale Opfer für diese Heinis, die so gerne Täter sind.

Welche wichtige Funktion Elfriede Jelinek für alle die in Österreich hatte, die mit der Lebenslüge dieser Nation, sie seien mit Waffengewalt von den Deutschen okkupiert worden, während sie lauthals Heil, Heil schrieen und sich gerne dem Deutschen Reich anschlossen, genauso aufräumte wie der damals ebenfalls in Österreich verhaßte Thomas Bernhard im HELDENPLATZ von 1988 zeigte, das vom deutschen Burgtheaterintendanten Claus Peymann aufgeführt wurde, der auch Jelineks SPORTSTÜCK auf der Bühne möglich machte. Nein, die Filmaufnahmen können nicht wiedergeben, welche Sogwirkung dieses Stück im Zuschauerraum auslöste, wo der Zusammenhang von soldatischem Sport und Faschismus auf der Bühne sichtbar wurde. Wie schön, daß die Autorin Peymann rühmte, der für die Geschmähten in Österreich eine Lichtgestalt wurde.

Aufhören mit dem Lob und den Film ein zweites Mal ansehen, denn er steckt so voller kleiner Sprengsätze, deren Explosion man gerne wiederholt sehen möchte.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie: Claudia Müller
Drehbuch: Claudia Müller
MIT DEN STIMMEN VON
Sandra Hüller, Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Ilse Ritter, Martin Wuttke, Maren Kroymann