Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 20. März 2014, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kaum glaublich, was man in diesem Film sieht, dem Unmögliches gelingt. Er macht aus der Wirklichkeit Theater, läßt auf der Bühne drei politische Prozesse nachspielen, wobei die Urteile neu gesprochen werden können und wir eine Mixtur von Wirklichkeit und Fiktion durchleben, die uns wirklicher scheint als das Leben.

 

 

DIE MOSKAUER PROZESSE

 

Die Idee hatte der Schweizer Milo Rau. Der 1977 Geborene ist für Reportagereisen. Theaterinszenierungen und Filme als anspruchsvoller Kulturkritiker bekannt. Aus der Idee entwickelte er das Buch und führte Regie. Das Besondere ist das Konzept. Zum einen will er einen russischen Urkonflikt, die Auseinandersetzung zwischen Kunst und Religion analysieren, zum anderen will er das durch eine Wirklichkeitsverdichtung erreichen, in dem er drei historische Prozesse, die mit der Verurteilung der Angeklagten endete, neu verhandeln läßt. Dazu nutzt er zwar die Bühne, einen hergerichteten Gerichtssaal,mit sieben Geschworenen, Ankläger und Verteidigerin, die Rollen spielen jedoch keine Schauspieler, sondern entweder die damaligen Akteure selber oder ihre Anhänger von heute.

 

Die historische Aufarbeitung von insgesamt drei Gerichtsprozessen dient also der Selbstvergewisserung, wo die von der Politik beschützte Religion und wo die Kunst, die sich Freiheiten nimmt, in ihrem Antagonismus heute in Rußland stehen. Die drei Prozesse, das lernen wir dann im Film, sind der, der auf die Zerstörung der religionskritischen Ausstellung „Vorsicht! Religion!“ im Jahr 2003 folgende Prozeß, der nicht die Kunstzerstörer auf die Anklagebank brachte, sondern die Kuratoren der Ausstellung, die in einem Schauprozeß verurteilt wurden.Auch „Verbotene Kunst“ bekam damals den Prozeß gemacht und der dritte Prozeß, der in die MOSKAUER PROZESSE hineingehört, ist uns allen im Gedächtnis: der Auftritt von PUSSY RIOT in der Moskauer Erlöserkirche, der Prozeß und die Verurteilung von zwei der drei Aktivistinnen zu zwei Jahren Haft. Als Verurteilungsgründe wurden die Verletzung der Gefühle Gläubiger, Gotteslästerung, insgesamt Agitation gegen die russische Nation angeführt.

 

Der Film führt unmittelbar in das Geschehen ein, wo im Moskau von heute – der Film ist wirklich in Moskau gedreht worden, erst danach bekam der Regisseur Einreiseverbot! -an abgelegener Stelle in einem Gerichtssaal die Prozesse nachgespielt werden, mit den Argumenten von damals und auch mit den jeweiligen Personen, so möglich, ansonsten mit Professionellen, d.h. richtigen Anwälten sowie Zeugen und Experten aus dem jeweiligen gesellschaftlichen Lager, die hier zweigeteilt die Orthodoxe Religion sowie ihren Bündnispartner die Politik darstellen und die Künstler und die sie unterstützenden Oppositionellen. Das sind starke Szenen, weil die Dringlichkeit, mit der die Akteure ihre Positionen verbal und nonverbal vorbringen, intellektuell und moralisch unter die Haut gehen. Sie schenken sich beide nichts und der Autor und Regisseur läßt alle Beteiligten zu Wort kommen und ihre Überzeugung vortragen; wir lauschen einem innerrussischen Diskurs.

 

Dabei lernen wir, die wir in der russischen Geschichte nur die großen Bewegungen kennen, auch Details der Kirchenverfolgung durch Stalin kennen, die in den Augen heutiger Orthodoxer die Grundlage für die Angst von Gläubigen vor ihrer Verfolgung begründet, weswegen sie auch religonskritische Kunst als Schändung empfänden. Ein besonderer interessanter Aspekt kommt zum Tragen in den Plädoyers für die Kunstschänder, also diejenigen, die damals die Kunstwerke der Ausstellung völlig zerstörten, die von Orthodoxen vorgebracht werden, die von sich sagen, daß sie die Kirche in ihren Schoß aufgenommen hat, als sie als Nationale und Nationalisten keine Heimat mehr in Rußland hatten. Schon von den Äußerlichkeiten her, Kleidung,Tätowierung etc. erscheinen sie als Rechtsradikale, säuseln aber als orthodoxe Gläubige, die vehement ihr Recht auf Unversehrtheit ihrer religiösen Gefühle einklagen.

 

Hier kommt auch Putin ins Spiel und man begreift durch diesen Film und seine Akteure sehr viel mehr, worauf sich seine persönliche Macht stützen kann. Er hatte nach Machtübernahme diese mit dem Klerus geteilt, nicht halbiert, aber der in UdSSR-Zeiten dümpelnden orthodoxen Kirche Macht gegeben, in dem er sie als Garant für Väterchen Rußland aufs Podest stellte. Schulterschluß heißt dann auch, das der Patriarch und alle anderen kirchlichen Würdenträger mit ihm die nationale Politik Putins und damit seine Person unterstützen. Wie gut geschnürt dies Paket ist, macht jede der Aussagen der Orthodoxen klar.

 

Die Verteidigerin der Künstler, Anna Stvickaja, gibt sich souverän und agiert zum einen überzeugend mit Beweismaterial, das sie gesammelt hat, und womit sie klarstellen kann, daß die Übergriffe auf die Kunst gesteuerte Aktionen waren. Zum anderen ist sie die einzige, die auch mal von der Freiheit der Kunst spricht, was die Argumentation im Westen wäre – vergleiche Mohammedkarikaturen - , denn im allgemeinen gesellschaftlichen Klima Rußlands liegt den Künstlern und Oppositionellen – vielleicht unbewußt - eine entschuldigende Argumentation näher, daß nämlich die als Schmähung gefühlten Religionsbeleidigungen nicht so massiv gewesen seien. Es geht letzten Endes auch um Verharmlosung der künstlerischen Religionskritik, die ja nicht so sehr eine Kritik an der Religion, als an ihren Befürwortern ist.

 

Wir fanden Form und Inhalt des Filmes eindringlich und lernten enorm dazu.