stillepostjpegSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Mittwoch 14. Dezember 2022, Teil 2

Redaktion

Bern (Weltexpresso) - Wieso war es Ihnen wichtig, diese Geschichte zu erzählen?


Ich bin in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, was damals ein mehrheitlich türkisch-kurdisch geprägter Bezirk war. Die KlassenraumSzenen in Stille Post, in denen der türkisch-kurdische Konflikt im Schulalltag zwischen den Kindern verhandelt wird, sind beispielsweise Momente, die ich aus meiner eigenen Schulzeit erinnere. Da meine Eltern zudem als Dokumentarfilmer jedes Jahr längere Zeit im Ausland verbrachten, lebte ich immer wieder zeitweise in einer kurdischen Familie auf.

Als 2015 in Cizre die Situation eskalierte und eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt wurde, habe ich direkt mitverfolgt, wie dieses Ereignis meine türkischen und kurdischen Freunde über Nacht entzweite. Da das türkische Militär aktiv verhinderte, dass direkte Informationen aus Cizre zugänglich waren, kursierten in der Diaspora
allerlei Gerüchte und Fake-News. Es ließ sich beobachten wie dieser Krieg, der eigentlich weit entfernt stattfand, in meiner unmittelbaren Nähe Beziehungen zerrüttete und Menschen (re)traumatisierte.


Wie und wie lange haben Sie für den Film recherchiert?

Ich habe mich schließlich entschlossen, gemeinsam mit einer Gruppe von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten selbst nach Cizre zu reisen. Nach Tagen des Wartens wurde die Ausgangssperre kurzzeitig aufgehoben und wir konnten für ein paar Stunden die Stadt gelangen. Die Bürger Cizres haben uns Videos anvertraut, die sie mit ihren Handys heimlich gefilmt hatten. Videos, die die gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung beweisen – ein Umstand, den die türkische Regierung bis heute dementiert. Als ich zurück nach Deutschland kam, war ich irritiert wie gering das Interesse der Medienanstalten für dieses Material, ja den Konflikt generell war. Ich begann eine zweite Recherche in verschiedenen europäischen Medienhäusern. Ich wollte rausfinden, wonach wird entschieden, über welche Kriege berichtet
wird und welche einfach vergessen. Oder anders: was müssen Kriegsbilder heutzutage leisten, damit sie unsere Empathie wecken?


Wie war Ihre eigene Erfahrung mit den Medien? Welche Rolle messen Sie ihnen bei?

Die Videoaktivisten in Cizre standen unter Druck, immer brutalere Bilder zu liefern, die am besten mit einer persönlichen Tragödie verknüpft sind, um das Interesse der Medienhäuser zu wecken. Das führte dazu, dass eine Vielzahl an Videoaktivisten im Versuch noch eindrücklichere Kriegsbilder für uns Zuschauer zu generieren getötet
wurden. Aber es wäre zu einfach, die Schuld für diese gefährliche Dynamik allein bei den Medienanstalten zu suchen. Ich glaube, es handelt sich hier um ein Dilemma: Die meisten von uns Zuschauern haben keine eigene Kriegserfahrung. Dementsprechend ist unsere Vorstellung von Krieg mehrheitlich durch die Brutalität und künstliche Nähe von Hollywood-Filmen geprägt. Die Nachrichtenmacher versuchen nun mit authentischem Bildmaterial unsere Empathie für bestimmte Kriege zu gewinnen, zugleich sind unsere Erwartungen an ein Kriegsbild aber fern der Realität. Eine Perversion dieser Dynamik sind die Facebook-Livestreams aus Kriegszonen.

Ich erinnere mich an den ersten Livestream, der damals aus Aleppo, Syrien geschaltet wurde. Während sich ein Videoaktivist vor meinen Augen in Gefahr gebracht hat, um mich näher an den Krieg zu bringen, war das einzige, was ich auf der anderen Seite tun konnte, Emoticons über den Bildschirm zu schicken.


Wie sind sie bei der Entwicklung der Figur von Khalil vorgegangen? Wie fand die Besetzung statt?

Hadi Khanjanpour, der die Hauptrolle spielt, ist nicht Kurde, sondern ursprünglich Iraner. In der Casting-Endrunde hatte letztlich Hadi die meisten Anknüpfungspunkte mit unserer Figur Khalil. Mehr als manch anderer Schauspieler, bei dem aber die Herkunft passte. Denn auch Hadi war als Junge nach Deutschland geflüchtet und hatte sich von seiner Heimat abgewandt - bis ihn die Bilder von den Protesten der Grünen Bewegung im Iran erreichten. Diese Bilder aus der Heimat, dieser Konflikt in der Ferne brachte in ihm Erinnerungen und Emotionen an die Oberfläche, die sein geordnetes Leben in Deutschland schlagartig veränderten. Unter anderem aufgrund dieser Erfahrung war Hadi für mich ein wichtiger Partner im Entstehungsprozess dieses Films. Er konnte die Figur Khalil, im Gegensatz zu mir, mit seinen persönlichen Erfahrungen ausfüllen.


Was war bei der Besetzung der anderen Rollen wichtig?

Für unsere türkischen und kurdischen Schauspieler war die Entscheidung an Stille Post mitzuwirken auch ein politisches Signal. Schon in der Vorbereitung für diesen Film war allen Schauspieler:innen klar, dass sie nach Veröffentlichung dieses Films in ihrer türkischen Heimat Repressalien erwarten müssen. Aus dem selben Grund haben wir die Namen vieler türkischer und kurdischer Unterstützer, die an diesem Film maßgeblich beteiligt waren, im Abspann geschwärzt. Es versetzt mir jedes Mal einen Stich, wenn ich auf dem Plakat meinen Namen lese und zugleich so viele Namen vermisse ohne die dieser Film nie entstanden wäre.


Sie sind ursprünglich Dokumentarfilmer. Stille Post vermischt dokumentarische und fiktive Form. Wie haben Sie das Konzept entwickelt?

Es war relativ schnell klar, dass ich die Interviews, die ich mit den Bewohnern:innen in Cizre führte, nicht veröffentlichen konnte, weil ich sie damit gefährden würde. Also entschied ich mich, mein dokumentarisches Filmen als Recherchearbeit anzusehen und die Ergebnisse später in einem Drehbuch zu konzentrieren. An der Drehbucharbeit gefiel mir, dass ich die Momente aus der Recherche konzentrieren, nuancieren konnte und auch zwischenmenschliche Schlüsselmomente sichtbar machen konnte, die ich dokumentarisch nie hätte einfangen können. Die Szenen in der Nachrichtenagentur sind fast eins zu eins aus der Recherche übernommen – da wirkte die Realität schon fast wie ein Überhöhung.

Trotzdem war es mir wichtig, einige dokumentarische Anteile beizubehalten. Wie beispielsweise die Handyvideos der Bewohner:innen Cizres, die dem Zuschauer einen realen Krieg spürbar machen. Es ist der Versuch, den Zuschauer:innen durch direkte Bezüge in ihre Lebensrealität - wie auch durch den echten Tagesschau-Bericht von damals oder die Claudia Roth-Rede im Film - aktiv einzubeziehen und sie als Medienkonsumenten und Teil dieser (Film-)Welt anzusprechen.