was man von hierSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Dezember 2022, Teil 6

Annie Halle

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Also gleich vorweg - ich hatte wirklich Angst, den Film zu sehen. Denn nichts schmerzt mehr als enttäuschte Liebe. Und ich bin in das gleichnamige Buch, die Vorlage für diesen Film, einfach so wahnsinnig verliebt. Diese Geschichte hat mich verzaubert, berührt, zum Lachen gebracht, zu Tränen gerührt. Ich bin total eingetaucht in den magischen Kosmos eines kleinen Dorfes im Westerwald, war von Tonalität, Sprache und Poesie, den klugen, komischen und pointierten Beschreibungen, den herrlich skurrilen Figuren so hingerissen, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, wie dieses Juwel, das ohne jegliches Marketing, einzig durch Mundpropaganda und Buchhändler Empfehlung zum Bestseller avancierte, wie dieser Zauber also sich auf der Filmleinwand entfalten könne.


Und wer sollte eigentlich Selma, die Großmutter der Protagonistin spielen, die im Buch als Rudi Carell Double mit Perücke beschrieben wird. WER?  Aber der Reihe nach. Worum geht es überhaupt? Einfach gesagt,  es geht um Liebe und Tod. Also die ganz großen Themen. Weil die aber hier in einem ganz kleinen Dorf spielen, und so unglaublich warmherzig mit Magie und Humor abgefedert werden, können sie uns so herzerwärmend nah kommen. Genau das machte ja den Erfolg des Buches aus. Und ich kann jetzt auch meine Bedenken erleichtert zur Seite stellen. Denn ja - die Verfilmung von Aron Lehmann hat es geschafft, den Kern, die Atmosphäre, sagen wir das Herz der Geschichte zu bewahren, und in einer anderen Kunstform zu erzählen. Applaus.

 

Und jetzt aber mal zur Geschichte. Da ist Selma (Corinna Harfouch), die Großmutter der Protagonistin Luise (Luna Wedler), die eine ganz besondere Gabe hat. Jedesmal, wenn sie von einem Okapi träumt, kommt der Tod ins Dorf, und es stirbt jemand. Da ist Luise, die mit ihrem Schulfreund Martin so sehr verbunden ist, dass sie einander blind vertrauen. Und der auf ihre Bemerkung: Du weisst schon, dass ich dich mal heiraten werde? eine ganz lapidare Antwort hat: Wen denn sonst! 

 

Da ist die mürrische Marlies (Rosalie Thomas), die immer unfassbar schlecht gelaunt ist, aber trotzdem von der Dorfgemeinschaft akzeptiert und getragen wird. Genau wie die abergläubische Elsbeth (Hansi Jochmann) und sogar Palm (Peter Schneider), Martins Vater, der seinen Kummer und Zorn in Alkohol ertränkt, und seinem Sohn kein guter Vater ist. In seinem Fall funktioniert die schräge Dorfgemeinschaft als schützendes Korrektiv für Martin. Die wunderbarste Figur aber ist der Optiker, der seit Anbeginn in Selma verliebt ist, ihr seine Liebe aber nie gestanden hat, weil seine strengen Stimmen im Kopf ihm das immer ausreden. Allein um Karl Markovics als namenlosen Optiker, zu erleben, der sein Herz nicht nur an Selma, sondern auch an die Kinder Luise (Ava Petsch) und Martin (Cosmo Taut) verschenkt hat, würde den Besuch des Films schon lohnen. Aber jede Figur überzeugt, hat ihre Eigenheiten und Merkwürdigkeiten - ist also total liebenswert. Und ja, ich bin sogar mit Corinna Harfouch als Selma versöhnt. Nach anfänglichem fremdeln, weil die Schauspielerin ja nun so garnicht als Rudi Carell Double durchgeht, hab ich mich ihrer Selma getrost und getröstet überlassen können. 

 

Der Film wird bereits mit ‚Die wunderbare Welt der Amelie‘ verglichen. Vermutlich zeigt das eher das Bedürfnis der KritikerInnen nach Einordnung und Kategorisierung. Und weil die Erzählform vergleichbar ist.  Ja, magische Welten gibt es im Westerwald wie in Paris. Aber bei Amelie kommen sie doch sehr  elegant verspielter daher,
während sie im Westerwald gerade durch ihre Bodenhaftung so wahr und tief berühren können. Denn es ist ja so - Natürlich ist das Okapi ein sehr sehr merkwürdiges Tier, bei dem einfach nichts zusammenzupassen scheint. Aber wenn man genau hinschaut, sind doch die meisten Menschen, und das Leben überhaupt, auch sehr sehr merkwürdig. Und dieser Film lässt uns auf eine wunderbare Art damit sehr einverstanden sein. (Annie Halle)

 

Foto:
©Verleih

Info:
DARSTELLER
Corinna Harfouch
Luna Wedler
Karl Markovics
Rosalie Thomass
Benjamin Radjaipour
Hansi Jochmann
Peter Schneider
u.v.va.

STAB
Regie: Aron Lehmann
Drehbuch: Aron Lehmann / nach dem gleichnamigen Roman von Mariana Leky

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN
Genre: Drama
Produktionsjahr: 2022
Produktionsland: Deutschland
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Lauflänge: 109 Minuten
Kinostart: 29.12.2022