Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 27. März 2014, Teil 1
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Christian Schwochow („Der Turm“) drehte einen Film über eine junge Frau, die offiziell mit ihrem Sohn die DDR verlassen und in den Westen ausreisen kann. Wir nahmen den Film zum Anlaß für ein Gespräch mit dem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin Jördies Triebel im folgenden Teil.
WESTEN
„Westen“ beginnt im verschneiten Osten. Nelly (Jördies Triebel) und ihr Sohn Alexej (Tristan Göbel) nehmen Abschied vom russischen Geliebten bzw. Vater, den sie nie wieder sehen werden. Später erfährt man, dass er einen tödlichen Unfall hatte und die Stasi die erfolgreiche Chemikerin ständig drangsalierte. Nach diesem Vorspann ein harter Schnitt: Jahre danach die dramatische Ausreise Nellys aus der DDR. Sie muss sich entwürdigenden Leibesvisitationen unterziehen und beschimpfen lassen, bevor sie endlich in den Westen darf.
Strahlend kommt sie mit ihrem Sohn Alexej im Notaufnahmelager an, aber das Lachen vergeht ihr bald. Viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten sind hier eng zusammengepfercht, es geht laut und aggressiv zu. Von einer Ärztin wird sie erneut nackt befummelt: „Ich muss doch sehen, ob Sie lagertauglich sind.“ Das eingezäunte Lager wirkt wie die DDR auf Nelly, sie braucht 12 Stempel, um endlich wieder arbeiten zu können. Zuvor muss sie lange Verhöre durch die verschiedenen westlichen Geheimdienste über sich ergehen lassen.
„Wissen Sie, warum ich aus der DDR wegwollte? Wegen solcher Fragen“, schreit sie die Ermittler an. Durch die werden in Nelly Zweifel am Unfalltod des Geliebten, einem hochrangigen russischen Physiker, gesät. Um Klarheit zu bekommen, geht sie abenteuerliche Wege… Alexej sammelt leere Cola-Dosen und wird in der Schule als müll sammelnde „Ostpocke“ gemobbt. Aussiedler Hans (Alexander Scheer), der schon zwei Jahre im Lager lebt, kümmert sich liebevoll um ihn. Die anderen Bewohner versuchen Hans umzubringen, weil sie ihn für einen Spitzel halten.
Schwochow baut zeitweilig eine immense Spannung auf - aber „Westen“ wird nicht zum Krimi. Im Gegensatz zur Buchvorlage „Lagerfeuer“ ist es ein Film über Nelly, die starke Frau, die sich von ihrer Vergangenheit befreien will, die sie immer wieder einholt. Nelly trägt den Film und zeigt den Zuschauern eindringlich ihre wechselnden Gefühle. Darin ähnelt „Westen“, der viele Jahre früher spielt, dem erfolgreichen Film „Barbara“ von Christian Petzold.
Fünf Millionen Menschen aus dem Osten sind durch die Lager gegangen, eine Million durch das „Notaufnahmelager“ am Rande Berlins, erzählt Regisseur Schwochow: „Kaum jemand weiß vom damaligen Lagerleben.“ Heute sind dort hoffnungsvolle Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern untergebracht, die wie Nelly ihre Erfahrungen und Ängste auch nicht einfach hinter sich lassen können, die misstrauisch sind und sich in der vermeintlichen Freiheit verfolgt fühlen. Wie einst die Flüchtlinge aus dem Ostblock sind auch sie meist unerwünscht und stehen unter dem Druck, sich anpassen zu müssen.
Schwochows Film ist streckenweise recht düster - aber immer wieder gibt es auch hoffnungsvolle Momente und zum Schluss sogar ein richtiges Happy End. „Westen“ ist ein spannender und doch berührender, sehr empfehlenswerter Film.
INFO:
„Westen“ D 2013, 102 min. Regie Christian Schwochow mit Jördis Triebel, Tristan Göbel, Alexander Scheer u. a. ab 12 Jahre, Filmstart am 27. 3. 2014