Bildschirmfoto 2023 01 11 um 23.42.25Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Januar 2023, Teil 4

Ali Abbasi

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – HOLY SPIDER erzählt die Geschichte eines der berüchtigtsten Serienmörder in der Geschichte des Iran, Saeed Hanaei. In einem größeren Kontext ist der Film eine Kritik der iranischen Gesellschaft, denn der Mörder ist ein sehr religiöser Mann, ein hochgeschätzter Bürger. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebte ich immer noch in Iran, als Saeed Hanaei in der heiligen Stadt Maschhad Prostituierte vom Straßenstrich ermordete. Es gelang ihm, 16 Frauen zu
töten, bevor er gefasst und vor Gericht gestellt wurde. Während des Gerichtsverfahrens wurde mein Interesse an dem Fall erst richtig geweckt. In einer normalen Welt würde kein Zweifel daran bestehen, dass ein Mann, der 16 Morde begangen hat, als schuldig angesehen würde. Aber hier war es anders: Ein Teil der Öffentlichkeit und die konservativen Medien begannen, Hanaei als Helden zu feiern.

Sie unterstützten die Idee, dass Hanaei einfach nur seine religiöse Pflicht erfüllte, die Straßen zu säubern, in dem er diese „schmutzigen“ Frauen beseitigte. Dieser Aspekt löste in mir das Bedürfnis aus, diesen Film zu machen. 

Meine Absicht war es nicht, einen Serienmörderfilm zu drehen. Ich wollte vielmehr einen Film über eine Serienmörder-Gesellschaft machen. Es geht um einen in der iranischen Gesellschaft tief verwurzelten Hass auf Frauen, der nicht unbedingt religiös oder politisch motiviert ist, sondern einen kulturellen Ursprung hat. Überall auf der Welt entsteht Misogynie aus den Gewohnheiten der Menschen. In Iran gibt es eine Tradition des Hasses auf Frauen, und er nimmt oft überaus hässliche Formen an. In der Geschichte von Saeed Hanaei zeigt er sich ungefiltert, in seiner reinsten Form. Das macht es notwendig, verschiedene Perspektiven zu zeigen, die eine Bandbreite von Meinungen in der iranischen Gesellschaft demonstrieren; die auf der Seite des Mörders und die ihn ablehnen.

Saeed Hanaei ist gleichzeitig Opfer und Täter, Verbrecher. Als Soldat an der Front des iranischirakischen Krieges hat er seinem Land seine Jugend gegeben, um es besser zu machen und seinem eigenen Leben eine Bedeutung zu geben. Er muss feststellen, dass er der Gesellschaft egal ist, dass seine Opfer während des Krieges nichts geändert haben. Er existiert in einem existenziellen Vakuum, trotz seines Glaubens an Gott. Saeed besucht die Moschee und weint im Haus Gottes. Er findet eine neue Mission, eine Mission für Allah.

HOLY SPIDER will kein politisches Statement gegen die iranische Regierung abgeben. Der Film ist nicht gedacht als Kritik an den korrupten Gesellschaften im Nahen Osten. Die Dehumanisierung ganzer Gruppen von Menschen, ganz besonders von Frauen, findet nicht nur in Iran statt, sondern findet sich in unterschiedlicher Ausprägung in allen Ecken der Welt. 

Ich sehe den Film als besondere Geschichte über besondere Figuren. Es ist kein Themenfilm über gewisse soziale Übel. Wir wollen nicht, dass Saeeds Geschichte und seine Persönlichkeit den Film überlagern. Anstatt einen weiteren Film zu machen über die verschiedenen Wege, wie ein Mann Frauen ermorden und verstümmeln kann, wollten wir die Komplexität der Thematik und die Sicht beider Seiten – mit einem Augenmerk auf die Opfer – unterstreichen. 

Die Geschichte der Journalistin Rahimi ist für unseren Film ebenso wichtig wie die von Saeed. Ich will ihr nahekommen und verstehen, wie sie selbst, aber auch ihre Familie zu diesen Konflikten steht und wie sie sich in ihrer Gesellschaft sieht, während sie den Fall recherchiert. Hanaeis Opfer waren keine gesichtslosen Straßenfrauen. Jede von ihnen hatte eine eigene Persönlichkeit, ein eigenes Leben. Und wir hoffen, dass es uns gelungen ist, ihnen wenigstens einen Teil ihrer Würde und ihrer Menschlichkeit, die ihnen genommen wurden, zurückzugeben. Sie sind keine Heiligen. Sie sind keine unglückseligen Opfer. Sie sind Menschen, wie Du und ich.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie ALI ABBASI
Drehbuch ALI ABBASI & AFSHIN KAMRAN BAHRAMI



Besetzung
Saeed       MEHDI BAJESTANI
Rahimi      ZAR AMIR EBRAHIMI
Sharifi       ARASH ASHTIANI
Fatima.     FOROUZAN JAMSHIDNEJAD

Abdruck aus dem Presseheft