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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. März 2023, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gibt es eine Statistik, über welche Persönlichkeit der Geschichte es die meisten Artikel, wissenschaftliche Arbeiten, die meisten Bücher, die meisten Fotos, die meisten Filme etc. gibt? Sicher gehört inzwischen Elisabeth von Österreich und Ungarn, die Wittelsbacherin aus Bayern, dazu, wobei es Phasen des anschwellenden Interesses und auch Täler gibt. Abgesehen davon, daß sie zu ihren Lebzeiten eine öffentliche Figur von sehr großen Interesse war, wurde sie durch die Sissi-Filme mit Romy Schneider als verliebte, für ihre kaiserliche Repräsentanz zu bändigende junge Frau Kult und wurde in den Zeiten eines ernstzunehmenden Feminismus in wiederum völlig anderer Richtung als eigenständige, emanzipierte, schon damals Leibesertüchtigung und Diät extrem wichtig nehmende Frau, die damit gegen das Altern ankämpfte, wahrgenommen.

 

Wie gut, daß dieser Film aber kein Sisi Film ist, sondern SISI & ICH heißt. Das Ich ist Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller), deren Auswahl für den kaiserliche Hofstaat wir miterleben, denn von ihrer Vorgängerin Gräfin Festetics (Johanna Wokalek) wird ihr in den Hintern gekniffen, die Röcke gehoben, um ihre Beine zu begutachten, das Dekolleté begutachtet, die Taille gemessen, wie es halt auf dem Fleischmarkt so zugeht. Interessieren täte mich, warum die Drehbuchschreiber Frauke Finsterwalder und Christian Kracht ausgerechnet diese Gräfin als Figur genommen hatten, es standen nämlich als Hofdamen der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn zur Verfügung Gräfin Pauline Bellegarde, Gräfin Irma Sztáray, Gräfin Ida Ferenczy, Gräfin Marie Festetics (1839–1923), Gräfin Karoline von Hunyady (1836–1907), Gräfin Charlotte von Majláth (1856–1928).

Die 42jährige Irma ist schon zuvor männerabstinent gewesen, als Hofdame für die Kaiserin ausgewählt zu werden, ist ihr Lebensglück, erst recht, als sie die sehr unkonventionelle und sehr eigene Elisabeth näher kennenlernt: sie ist restlos von ihr hingerissen und wird und will alles zu ihrem Glück machen, nimmt aber bei aller Dominanz der Kaiserin auch eine selbstverständliche Haltung einer Gleichgesinnten ein. Keine Untertänigkeit. Elisabeth ( Susanne Wolff) lebt auf ihrer Residenz auf der Insel Korfu und stellt die nach langer Reise halbtote Irma erst einmal auf die Probe, veräppelt sie, weist sie an, spielt mit den vielen Möglichkeiten einer Herrscherin.

Elisabeth ist sowohl wissenschaftlich interessiert, reitet, läuft, hungert, ist ständig in Bewegung, immer wieder überdreht, aber auch traurig und freut sich, ihre Hofdame an ihrer Seite zu haben, scheucht sie ganz schön herum. Susanne Wolff macht das köstlich und Sandra Hüller bringt das mit, was ihre Rollen immer auszeichnet, daß sie ein Flirren, eine Doppeldeutigkeit, eine Präsenz ausstrahlt, funkelnd und vieldeutig. Die beiden unternehmen viel, aber es kommt auch Besuch: Schwager Erzherzog Viktor von Österreich (Georg Friedrich), der jüngste Bruder des Kaisers. Der war wirklich so überspannt und schwul, wie er im Film rüberkommt, allerdings war Elisabeth, für die er lange eine Stütze war, in ihren Altersjahren von ihm total abgerückt und verspottete ihn nachdrücklich. Aber was soll’s! Wir haben hier keinen historische Geschichte vor uns, sondern eine Reflexion vom Heute aus auf damals. Das Heute zeigt die Musik mit vielen heutigen Songs, das zeigen die Kostüme, die teils wunderschön aussehen.

Was das Ende angeht, weiß man aus der Geschichte von dem jungen italienischen Anarchisten, der, die spitze Feile in der Hand, der Kaiserin am 10. September 1898 in Anwesenheit ihrer Hofdame Irma beim Flanieren mitten ins Herz stach, was diese gar nicht gemerkt haben soll, aber daran starb. Im Film wird eine interessante Variante angedeutet, die stark mit Eifersucht zu tun hat. Spielerisch. Amüsant. Irrittierend.

Foto:
©Verleih


Info:
Stab

Regie Frauke Finsterwalder
Drehbuch Frauke Finsterwalder, Christian Kracht

Besetzung
Irma Gräfin von Sztáray Sandra Hüller
Elisabeth von Österreich-Ungarn Susanne Wolff
Graf von Berzeviczy Stefan Kurt
Erzherzog Viktor von Österreich Georg Friedrich
Fritzi Sophie Hutter
Marie Maresi Riegner
Gräfin Festetics Johanna Wokalek