Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. April 2023, Teil 14
Tarik Saleh
Stockholm (Weltexpresso) - Dieser Film ist ein politischer Thriller, der in Azhar spielt, einer von Mythen umrankten Universität in Kairo. Azhar ist das Epizentrum der Macht im sunnitischen Islam. Es ist auch ein Ort, an dem sich die Vergangenheit und die Zukunft überschneiden. Mein Großvater, der in einem kleinen Dorf namens Fisha Bana im Herzen des Nil-Deltas geboren wurde, wurde an der Azhar-Universität aufgenommen, der damals angesehensten Universität in Afrika und im Nahen Osten. Er war der erste in seinem Dorf, der eine echte Ausbildung erhielt, was zu seiner Zeit nicht üblich war.
Die Azhar wurde im 10. Jahrhundert von den Fatimiden erbaut und war von Anfang an, der wichtigste Ort für islamische Studien. Die Fatimiden waren schiitische Muslime, aber als Salah ad-Din – im Abendland als Saladin bekannt – im 12. Jahrhundert über Ägypten herrschte, war seine erste Entscheidung, die Azhar in eine sunnitische Einrichtung umzuwandeln. Ägypten war immer wieder von Fremden besetzt. Am längsten von den Türken, dann von den Briten, dicht gefolgt von den Franzosen. Trotzdem ist es der Azhar immer gelungen, mit der jeweiligen politischen Macht zu koexistieren, was sich nicht zuletzt dadurch erklären lässt, dass die Universität schon immer hoch angesehen war und als die wichtigste Wissensquelle über den Islam in der Welt galt.
Auch meine Großmutter hat eine Ausbildung genossen, das war für die damalige Zeit bemerkenswert. Meine Großeltern stammten beide aus abgelegenen Dörfern und wagten von dort aus diesen riesigen Sprung von einem quasi mittelalterlichen Ort in die Modernität der Stadt. Ich wollte zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn man ein Dorf verlässt, um zu studieren. Was ist der Preis, den man zahlen muss? Und was hat man davon?
Die Handlung
Vor nicht allzu langer Zeit las ich mal wieder Umberto Ecos in einem Kloster spielenden Mittelalter-Thriller „Der Name der Rose“. Wie so oft spielte ich mit dem Gedanken: „Was wäre, wenn ich eine solche Geschichte erzählen würde, aber in einem muslimischen Kontext? Wäre das möglich? Wäre es mir erlaubt? Ist es gefährlich?“ Das war ein Gefühl ähnlich dem, wenn man als Kind mit dem Feuer spielt. Als ich anfing, diesem Gedanken nachzugehen, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich konnte es nicht nur tun, ich musste es einfach tun.
Ich begann, mir eine Geschichte auszumalen, die in unserer Zeit spielt. Ich stellte mir einen jungen Mann vor, Adam, den Sohn eines Fischers, der ein Stipendium für ein Studium an der Azhar erhält. Er ist überzeugt, dass sein Vater dagegen sein wird, weil der ihn für den täglichen Fischfang braucht. Zu seiner Überraschung willigt sein Vater jedoch schließlich ein, weil er es als den Willen Gottes ansieht, gegen den niemand etwas ausrichten kann, nicht einmal er, sein eigener Vater. Adam verlässt zum ersten Mal sein Dorf und geht zur Azhar, eine Universität mit über 300.000 Studenten und 3.000 Professoren. Der Großimam, das Oberhaupt dieser Institution, ist das Äquivalent des Papstes in der katholischen Kirche: Er ist die
höchste Autorität im sunnitischen Islam. Seine Fatwas – sehr einflussreiche Empfehlungen – sind von größter Bedeutung. Jeder Muslim, selbst ein gemäßigter, wird immer auf das hören, was der Großimam zu sagen hat. Jeder Führer in Ägypten sollte seine Empfehlungen berücksichtigen, wenn er neue Gesetze beschließt.
Adam ist eben erst an der Azhar eingetroffen, als der Großimam stirbt. In dieser Situation tritt ein Rat von 27 Imamen zusammen – der Oberste Rat der Gelehrten – und wählt einen neuen Großimam. Auf der anderen Straßenseite – ich habe mir das nicht ausgedacht! – befindet sich das Hauptquartier der ägyptischen Staatssicherheit. Auf der einen Seite also die religiöse Macht, auf der anderen die staatliche. Der Chef der Staatssicherheit versammelt also alle seine Offiziere und erklärt: „Der Großimam ist tot, deswegen müssen wir sicherstellen, dass die Person, die ihn ersetzen wird, unsere Vorstellungen teilt.“
Ein erfahrener Offizier wird mit dieser Aufgabe betraut. Sie haben niemanden innerhalb der Azhar, keinen Informanten, der aus der Institution berichten könnte. Also muss der Offizier einen finden; jemanden mit möglichst wenigen Kontakten nach außen und der nicht zu ihm zurückverfolgt werden kann. Der alte Offizier rekrutiert Adam, den jungen Studenten. Der widersetzt sich ihm nicht, denn in Ägypten ist die Staatssicherheit von allen gefürchtet. Um es einfach auszudrücken: Wenn sie dich drankriegen, bist du erledigt. Es ist ein bisschen wie das Stasi-System in der ehemaligen DDR. Adam und dieser Offizier, Ibrahim, kommen also in Kontakt und beginnen eine Art Schachspiel. Und Adam fängt an, das System der Macht zu verstehen. Er ist ein außergewöhnlich begabter Mensch, der am falschen Ort geboren wurde. Aufgrund seiner einfachen Herkunft unterschätzt ihn jeder, der ihn trifft.
Ägypten
Es war nicht möglich, DIE KAIRO VERSCHWÖRUNG in Ägypten zu drehen. Ich kann seit 2015 nicht mehr dorthin zurückkehren, seit wir drei Tage vor Beginn der Dreharbeiten zu DIE NILE HILTON AFFÄRE von den ägyptischen Sicherheitsbehörden aufgefordert wurden, das Land zu verlassen. Seitdem stehe ich auf einer Liste von unerwünschten Personen, die sofort verhaftet werden, wenn sie wieder ägyptischen Boden betreten. Die Entscheidung wurde sogar im ägyptischen Fernsehen bekannt gegeben. Das ist bedauerlich, denn ich liebe dieses Land, ich habe viel Zeit dort verbracht und habe Freunde und Familie in Ägypten. Meine Mutter ist Schwedin, mein Vater Ägypter, ich betrachte mich als Ägypter aus Schweden. Ich bin kein Nationalist, aber es ist ein Land, das ich meinen Töchtern gerne zeigen würde – und das meine Liebe nicht erwidert.
Ich habe mehr Freiheit als ägyptische Filmemacher, die Facetten dieses Landes zu beschreiben, das komplex ist und sich, wie alle Länder, nicht auf eine einzige Wahrheit reduzieren lässt. Ich glaube, dass alle Filmemacher eine doppelte Position einnehmen: eine innere und eine äußere zu der Geschichte, die sie erzählen, und der Welt, die sie damit beschreiben. Filmemachen ist wie gemacht als Beruf für Migranten! Viele große Regisseure sind Einwanderer oder die Söhne von Einwanderern, von Martin Scorsese über Milos Forman bis Billy Wilder.
Foto:
©Verleih
Info:
Regie und Drehbuch. Tarik Saleh
Darsteller und Rolle
Tawfeek Barhom (Adam)
Fares Fares (Ibrahim) 12++++
Mohammad Bakri (General Al Sakran) 13
Makram J. Khoury (Sheikh Negm) 13
Sherwan Haji (Soliman) 14
Mehdi Dehbi (Zizo)