Kein Sozialschmonzette? Drei Fragen an die Regisseurin
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Friederike Jehn (45), die Regisseurin des kommenden Tatorts „Borowski und die große Wut“, stammt aus Fulda. Nach seiner Premiere auf dem „Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen 2022, erhielt der Streifen zwei Preise: Für das „Beste Drehbuch“ und Jehn die Auszeichnung für die „Beste Regie“ des Festivals.
Borowski wird gleich zu Beginn des Tatorts so schwer verletzt, dass er seiner Kollegin Mila Sahin den Fall überlassen muss. Es geht um den Tod einer zweifachen Mutter, die vor einen LKW gestoßen wurde. Das Schicksal der jungen Hauptverdächtigen sich setzt erst nach und nach durch viele kleine Informationen – wie ihre Stimme am Telefon, Fahndungsfotos, Videoschnipsel - zusammen. „Durch diese indirekte Erzählung können wir ihr emotional sehr nahekommen – wir umstellen sie quasi mit unserem Interesse“, meint die Filmemacherin dazu. Dafür verzichtet sie weitgehend auf typische Ermittlungen wie Spurensicherung oder Alibiabfragen.
Waren Sie erleichtert, auf diese forensischen Vorgänge verzichten zu können?
Ja, ich war froh, dass diese klassischen, zehntausendmal gesehenen Krimistandards, die sonst Sinn ergeben, hier nicht funktionieren. Da Borowski gleich am Anfang des Films eine schwere Kopfverletzung erleidet, die ihn ans Krankenbett fesselt, muss er andere Wege der Ermittlung finden. Es war natürlich eine Herausforderung, genau dieses Statische zu bedienen, ohne eine statische Erzählung zu haben.
Spannend war für mich, dass Borowski nicht nur auf der Suche nach dem Tathergang des Kriminalfalls ist, sondern auch auf der Suche nach der Erinnerung, wie es zu seiner Verletzung gekommen ist. Dass er sich nicht sicher ist, inwiefern er sich selbst trauen kann.
Der „Tatort“ erzählt vor allem vom großen menschlichen Drama der verdächtigen Celina?
Mich hat die Geschichte dieser jungen Frau enorm berührt. Ich fand es besonders, dass sich hier eine 18-jährige Frau nicht nur in der Opferrolle befindet, wie es ganz oft bei Krimis im deutschen Fernsehen der Fall ist, sondern dass sie sich in eine, wenn auch gefährliche, Selbstermächtigung begibt. Wir zeigen sie nicht nur als schwache, verletzte Person, sondern auch als starke, beunruhigende Person. Das hat mich sofort am Drehbuch fasziniert.
Also stehen die Probleme der jungen Frau im Mittelpunkt?
Vor einiger Zeit habe ich einen Bericht von einer Psychologin gelesen, die über Menschen schrieb, die in ihrer Kindheit schlimme Erlebnisse hatten. Sie sagte, diejenigen, die es geschafft haben, sich aus der Spirale von Missbrauch und Gewalt zu befreien, hatten zumindest eine Person gefunden, die für sie da war, der sie vertrauen konnten (...).
Das war für mich der Schlüssel zum Verhältnis von Celina und Borowski. Ich dachte, für Celina ist Borowski dieser wichtige Mensch, der ihr zuhört und der ihr glaubt, soweit er das kann. Er gibt ihr das Gefühl, wertvoll zu sein, egal was sie getan hat oder nicht. Das ist der erste Schritt aus ihrer Gewaltspirale, indem sie beginnt, ihr Misstrauen abzulegen und wieder an sich selbst zu glauben.
Foto:
Axel Milberg (oben) © ARD /
Frederike Jehn (unten) © agentur-schlag-image-duplicate
Quelle:
ARD-Presseheft / hwk