Hanswerner Kruse
Hamburg (Weltexpresso) - Viele Kommissare in den Tatortfilmen der ARD sind in die Jahre gekommen, eigentlich könnten sie in Rente gehen. Mit bald 69 Jahren ist derzeit wohl Miroslav Nemec aus München der älteste Ermittler. Axel Milberg alias Kriminalist Klaus Borowski aus Kiel, wird demnächst 67 und hat vor einiger Zeit erklärt, nun müssten mal die die Jüngeren ran.
Im seinem 38. Tatort am kommenden Sonntag (7. Mai), „Borowski und die große Wut“, wird der Kommissar schwer verletzt. Man fürchtet, jetzt wird er sterben, denn so könnte der NDR ihn loswerden. Doch der Schauspieler überlebt, später erfährt man, dass sein Tatort-Vertrag noch bis 2025 läuft… Verstört überlässt Borowski Kollegin Mila Sahin den Fall, in dem es um den Tod einer zweifachen Mutter geht, die von jemandem vor einen LKW gestoßen wurde.
Milberg wünschte sich in seinem Interview auch mal einen schwulen oder schwarzen Ermittler - und man glaubt es kaum: Im Thriller „Meine Freundin Volker“ am 17. Mai zeigt er sich am FilmMittwoch in der ARD als schwule Dragqueen Vivian Bernaise. Mutig gibt er in diesem - gleich nach dem aktuellen Tatort - gedrehten Film eine etwas dickliche und völlig manierierte Schwuchtel.
Diese Darbietung ist nicht Milbergs genderfluides oder homosexuelles Coming Out. Im Presseheft betont er, Dragqueen sei heutzutage eine Kunstform und sage nichts über sexuelle Orientierungen aus. Doch seine Figur Volker Weinreich ist ein Schwuler, den Milberg übertrieben tuntig und offenbar recht lustvoll spielt. Fabelhaft sind seine mehrfachen Verwandlungen von der extrovertierten Vivian zum verletzlichen, sensiblen Volker und zurück. Wir spoilern hier nichts, denn bereits nach fünf Filmminuten wird deutlich, wer in der Dragqueen Vivian steckt.
Dann beginnt ein spannender Thriller, weil die Queen nach einem Auftritt den Mord am Förderer ihres Travestie-Klubs „Donauwelle“ beobachtete. Nun muss sie sich vor den Killern in eine „triste Hausfrauenidylle“ (Vivian) flüchten. Ihr Agent bringt sie - zurückverwandelt zum normalen Hetero-Mann Volker - in eine schleswig-holsteinische Kleinstadt. Dort kommt er in einem freigewordenen Zimmer bei der spießigen Lehrerin Katja unter, deren Ehemann und Chef als Schulleiter, sich gerade mit einer Jüngeren davonmachte. Ihr sanfter zwölfjähriger Sohn himmelt Volker als Identifikationsfigur an, sie selbst entdeckt durch ihn ihre laszive Seite… aber mehr wird jetzt nicht verraten!
Man ahnt bereits die hysterischen Aufschreie der Genderpolizei, schließlich dürfen Homosexuelle nur von Homosexuellen gespielt werden. Und die Dragqueen, auch noch schwuchtelig von einem Normalo dargestellt? Das geht nun gar nicht! Aber gemach, gemach - die echte Travestieszene in St. Pauli war von Milbergs extravagantem Auftritt in ihrem Club begeistert. Viele engagierte Mitspielende aus der Szene - wie Wella Klitorax Bambi oder Xtra Vaganza - waren dabei, ohne sie wäre der Film nicht entstanden. Und Schauspielende sind nun mal dazu da, andere Gestalten als sich selbst darzustellen, der Unsinn „kultureller Aneignung“ soll hier nicht diskutiert werden.
Stattdessen ist der Redaktion und Milberg für den Mut zu danken, so krass die gesellschaftliche Vielfalt auf dem Hamburger Kiez in unterhaltsamer Form abzubilden, ohne in schlüpfrigem Klamauk zu versacken.
Fotos:
© NDR | Georges Pauly
Info:
Tatort „Borowski und die große Wut“ in der ARD um 20.15 Uhr am 7. Mai anschließend in der Mediathek
FilmMittwoch „Meine Freundin Volker“ in der ARD um 20.15 Uhr am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie / bereits ab 10. Mai in der Mediathek