schuleSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Mai 2023, Teil 4

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) –  Mit DAS LEHRERZIMMER legt Filmemacher İlker Çatak seinen vierten Kinospielfilm vor und den zweiten, den er mit Produzent Ingo Fliess von der Münchner if… Productions realisiert. Die kreative Partnerschaft begann mit dem hochgelobten ES GILT DAS GESPROCHENE WORT aus dem Jahr 2019, der beim Filmfest München Weltpremiere feierte, wo er den Förderpreis Neues Deutsches Kino sowohl für das Drehbuch als auch für die schauspielerische Leistung von Ogulcan Arman Uslu erhielt. Nach dieser guten und erfolgreichen Erfahrung wollten sich sowohl Çatak als auch Fliess in ein neues gemeinsames Abenteuer stürzen.

Bei seinen Produktionen geht es Ingo Fliess darum, dass die kreativen Talente etwas Besonderes schaffen können, sich nicht auf ein Schema zurückziehen und einfach nur Konventionen bedienen. Als Produzent versucht er die Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Parameter zu gewährleisten, wobei das wichtigste Fundament die Einigkeit über das Projekt ist. „Man muss sich in die Augen schauen und sagen können: Ja, das ist der Stoff, den wir gemeinsam anpacken wollen, von dem wir überzeugt sind“, sagt Fliess. Mit İlker Çatak diskutierte er über mehrere potenzielle Nachfolgeprojekte. Geeinigt haben sie sich auf DAS LEHRERZIMMER, weil der Stoff einen Nerv trifft und sehr in die heutige Zeit passt. 


Eine Gesellschaft unterm Brennglas

Bei der Geschichte von DAS LEHRERZIMMER arbeitete İlker Çatak mit seinem Schulfreund und langjährigen Kreativpartner Johannes Duncker zusammen. Bereits der erste gemeinsame
Drehbuchentwurf war in den Augen des Produzenten „sehr stark“. Für Rückenwind bei der Drehbuchentwicklung sorgte das frühe Commitment von ZDF und Arte, die bereits bei Çataks
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT an Bord waren. „Wenn man spürt, dass auch andere für einen neuen Stoff brennen, der ein starkes Konzept hat, sehr zeitgemäß ist, uns eine
Gesellschaft durch ein Brennglas zeigt, und wenn man die Chance hat, eine schnelle Finanzierung auf die Beine zu stellen, treibt das unheimlich an“, erzählt Fliess.


Mit Çataks Gabe, was Figuren, Differenziertheit, Ambivalenz und Genauigkeit in der Beschreibung angeht, beleuchtet DAS LEHRERZIMMER ein immer aktuelles Thema, unseren
Bildungsapparat. „Wir haben das Gefühl, dass sich die Schule, wie wir sie selbst erlebt haben – und ich bin noch mal 20 Jahre älter als İlker –, im Vergleich zu heute nicht kategorisch
verändert hat. Es herrscht das gleiche Prinzip von Wissensvermittlung, von Hierarchien. Das ist eine so unerträgliche Vorstellung, dass man dringend darüber sprechen muss“, sagt Ingo
Fliess. Nicht im Sinne eines Themenfilms, der die Schule an den Pranger stellt, sondern im Sinne eines Films, der die Nöte und Zwänge beschreibt, mit denen auch Lehrerinnen und
Lehrer konfrontiert sind. „Wir hinterfragen dieses System zwar seit 50 Jahren, aber getan wird nichts“, so der Produzent. Diese ernüchternde Feststellung liegt im Kern von DAS
LEHRERZIMMER, der zwar in einer Schule spielt, vom Produzenten aber durchaus als Abbild unserer Gesellschaft angesehen wird. 


Echte Cineasten

İlker Çatak wird von Fliess als Künstler beschrieben, der voller produktivem Zweifel in der Stoffentwicklung und manchmal auch in der Regie ist. „Er ist keiner, der behauptet zu wissen,
wo der Hase langläuft. Sobald er aber einen Weg gefunden hat, packt er zu und zieht es durch“, so Fliess. „Für İlker und Johannes standen immer die Fragen im Mittelpunkt: Ist das
richtig? Ist das gut genug? Was sind Wege, die noch keiner ging? Das muss eigentlich der Ehrgeiz sein, bei allen Produktionen. Dieses Ziel teilen wir alle drei“. Die große Stärke des
Filmemachers sieht der Produzent in der Wachheit für kleinen Gesten, den Rändern, die man für unnötig halten könnte, die aber das Eigentliche ausmachen, wo der Zweifel groß wird in
einem Gesicht, wo das Zögern ist. „İlker ist extrem musikalisch, er hat ein sehr gutes Rhythmusbewusstsein und weiß immer, wann es zu viel ist, wann es genug ist. Er ist auch
manchmal ungeduldig, aber das ist gut! Sein hohes Tempo erzeugt Energie und positive Spannung. Diese Eigenschaften verbinden sich bei ihm aber zugleich mit großer Demut, was
die Zusammenarbeit mit ihm so angenehm macht.“


Eine glaubwürdige Besetzung

Bei der Besetzung eines Films gilt für Produzent Ingo Fliess das Credo Glaubwürdigkeit. Sie ist das A und O, steht über allem und auf jedem Film, der den Stempel seiner Firma trägt. Für das Casting der Erwachsenenrollen bei DAS LEHRERZIMMER arbeiteten Fliess und Çatak nach ES GILT DAS GESPROCHENE WORT wieder mit der renommierten Casting-Direktorin Simone Bär zusammen. Für die Hauptrolle der Lehrerin Carla Nowak schlug sie sechs Schauspielerinnen vor, eine davon war Leonie Benesch, die bereits mit Michael Haneke drehte (DAS WEISSE BAND), zuletzt in „Babylon Berlin“ präsent war und auch international Erfahrungen sammelte in Serien wie „Spy City“, „The Crown“ oder, ganz aktuell, „In 80 Tagen um die Welt“ und dem Event „Der Schwarm“, das 2023 groß im TV aufschlagen wird. „Leonie war ein totaler Glücksfall. Sie ist technisch und handwerklich brillant. Ich glaube, DAS LEHRERZIMMER war für sie der richtige Film zur richtigen Zeit. So leicht ist sie nicht zu bekommen, und wer weiß, ob sie nach ‚Der Schwarm‘ überhaupt noch in Deutschland spielt. Ich bin fest überzeugt, dass das Publikum Leonie mit ganz anderen Augen sehen wird nach unserem Film.“

Auch die Rollen des restlichen Ensembles mussten mit erstklassigen Schauspielern besetzt werden. Es wurde ganz nach Inhalt gecastet, danach, was sich gut ergänzt, was produktive
Reibung erzeugt. „Unser Ensemble ist nicht unbekannt, ist aber auch nicht ‚star-driven‘. Das wäre falsch gewesen. Uns ging es immer um glaubwürdige Figuren.“

Dies sollte auch bei den Kinderrollen gewährleistet sein. Filmemacher und Produzent war es wichtig, eine Klasse zusammenzustellen, die sich auch als Klasse empfindet, anstatt nur ein
paar Kinder für Sprechrollen und den Rest als Kamerafutter mit Komparsen zu besetzen. Unterstützung erhielt die Produktion hierbei von dem erfahrenen Kindercaster Patrick Dreikauss, wobei die Hauptrolle unter den Schülerinnen und Schülern, Oskar, ein Tipp von Michael Klammer war. „Michael zeigte uns eines Tages ein Foto seines Sohnes Leonard, der genau das richtige Alter hatte. Wir ließen ihn eine Szene per Video spielen und waren alle baff.

So übertrugen wir Leonard Stettnisch die Rolle des Oskar“, erzählt Ingo Fliess, der verrät, dass noch ein weiterer der jungen Darsteller verwandtschaftlich mit einem der Erwachsenenschauspieler verbunden ist: Vincent Stachowiak, der Tom spielt, ist der Sohn von Rafael Stachowiak.


Der Unterricht beginnt

DAS LEHRERZIMMER wurde klassisch als Koproduktion mit öffentlich-rechtlichen Sendern, in diesem Falle ZDF und Arte in Person der Redakteurinnen Alexandra Staib und Barbara Häbe, finanziert. Neben den Referenzmitteln von ES GILT DAS GESPROCHENE WORT konnte Ingo Fliess auf Förderunterstützung von DFFF, BKM und MOIN setzen.

Obwohl DAS LEHRERZIMMER in Hamburg gedreht wurde, ist es kein sichtbarer Hamburg-Film. Die Geschichte ist nicht verortet. Sie könnte überall in Deutschland spielen. İlker Çatak war es wichtig, möglichst übertragbar zu bleiben. Drehort war das Gebäude und das gesamte Gelände einer ehemaligen Theaterakademie in der Hebebrandstraße in HamburgWinterhude. „Was uns an der Theaterakademie gefallen hat, war die progressive Architektur aus den 1960er-Jahren. Aber seit damals ist auch in der Schularchitektur die Zeit stehen geblieben“, so der Produzent. Reizvoll für die Aufnahmen in der Hebebrandstraße waren u.a das große Treppenhaus sowie die langen Flure. Den Farbakkord des Films gab die Architektur der Theaterakademie vor. Der Dreiklang des Brauns der Handläufer aus Teakholz, des Schwarz/Anthrazits der Terrazzo-Böden und das Blau der Türen war sehr dominierend und wurde im Szenen- und Kostümbild verstärkt.


Das Übertragbare von Schauplatz und Szenenbild wurde auch in Christian Röhrs‘ Kostümbild aufgegriffen. Röhrs, der ein großer Vintage-Sammler mit eigenem Fundus ist, traf sich mit
Çatak bei der Idee, die Schauspieler in einem späten Hippie-Look mit 80er-Jahre-Touch zu kleiden. Die Abwesenheit von Marken unterstreicht die Zeitlosigkeit, auch fehlen weitestgehend elektronische Geräte. „Das visuelle Konzept unterstreicht das Bild von Schule. Wir zeigen eine Schule von vorgestern im Heute, weil die Schule von Heute von vorgestern ist“, bringt es der Produzent auf den Punkt.


Ein Kommentar auf unsere Gegenwart

Ingo Fliess hofft, dass das DAS LEHRERZIMMER breiten Anklang findet. „Die Erfahrung mit Schule ist allgegenwärtig in unser aller Leben. Wir waren alle Schüler:innen oder sind noch
Lehrer:innen und haben unterschiedliche Blicke auf Schulen.“ Die Schule ist für alle eine prägende Zeit. „Gleichzeitig ist es doch auch verlockend, in einen Film mit dem Titel DAS
LEHRERZIMMER zu gehen, weil die meisten von uns noch nie in einem Lehrerzimmer waren und sich oft gefragt haben, was da eigentlich passiert.“ Doch nicht nur einen Blick ins
Lehrerzimmer gewährt İlker Çataks neue Filmarbeit. „Im Grunde ist DAS LEHRERZIMMER ein Film über unsere aufgeregte Gesellschaft. Keiner packt das Problem an der Wurzel, alle reden nur darüber, was getan werden müsste. Er ist ein treffender Kommentar auf unsere Gegenwart.“


Foto:
© Verleih


Info:
STAB
Regie             İLKER ÇATAK
Drehbuch      İLKER ÇATAK, JOHANNES DUNCKER
Produktion.   INGO FLIESS
Kamera         JUDITH KAUFMANN


BESETZUNG

Carla Nowak                 LEONIE BENESCH
Thomas Liebenwerda  MICHAEL KLAMMER
Milosz Dudek               RAFAEL STACHOWIAK
Dr. Bettina Böhm         ANNE-KATHRIN GUMMICH
Friederike Kuhn            EVA LÖBAU
Lore Semnik                 KATHRIN WEHLISCH
Vanessa König             SARAH BAUERETT
Oskar                           LEONARD STETTNISCH
Lukas                           OSCAR ZICKUR
Jenny                           ANTONIA LUISE KRÄMER
Hatice                          ELSA KRIEGER
Tom                              VINCENT STACHOWIAK
Ali                                CAN RODENBOSTEL
Lieun                           PADMÉ HAMDEMIR
Luise                           LISA MARIE TRENSE

Abdruck aus dem Presseheft