Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 11. Mai 2023, Teil 6
Redaktion
Helsinki (Weltexpresso) - Der Film heißt „Die Geschichte vom Holzfäller“, aber zumindest erzählerisch widersetzen Sie sich einem einfachen Anfang, Mittelteil und Schluss. Können Sie uns ein wenig über den Schreibprozess Ihres Drehbuchs erzählen?
Der allererste Entwurf des Drehbuchs ist schnell entstanden, ich habe ihn an einem Wochenende geschrieben. Darin sind tatsächlich bereits viele Szenen und Bögen enthalten, die es in den finalen Film geschafft haben. Mir war vom ersten Moment an klar, dass ich einen Plot mit Twists und Wendungen schreiben werde, aber mir war auch wichtig, gängige Muster oder generische Strukturen zu vermeiden. Ich finde, es war eine sehr mutige Idee, zu versuchen, einen Film zu schreiben, der gleichzeitig metaphorisch aber auch voller Überraschungen in der Handlung ist.
Ich htte das Glück, mit einigen der besten Drehbuchberater:innen zusammenzuarbeiten, und einer von ihnen sagte mir, dass es eine Struktur gibt, in der alles um ihn herum verschwindet und er am Ende allein ist. Das fand ich als Autor faszinierend, denn es gab mir die Freiheit mit der Handlung zu spielen und zu übertreiben.
Es kommt so oft vor, dass man im Mittelteil des Films schon erahnen kann, wo es am Ende hingehen wird. Ich wollte das Publikum überraschen. Aber ich musste viel umschreiben, um die thematische Einheit des Films zu bewahren, und ich habe immer noch das Gefühl, dass alle Stränge aus einem bestimmten Grund vorhanden sind. Zum Beispiel gibt es im zweiten Teil eine Nebenfigur namens Pauli, die in der Mine arbeitet. Pauli durchläufz eine kleine spirituelle Reise, auf der er zuerst die Freiheit gewinnt, zu tun, was er will, sich schließlich in den hellseherischen Sänger verliebt und ihn im Endeffekt tötet.
Alle Nebenfiguren sind wie Spiegel, die Pepes unbewussten Optimismus widerspiegeln: Sie kämpfen gegen ihre Qualen an und versuchen, einen Sinn zu finden, den es nicht zu geben
scheint, nicht einmal in der spirituellen Gemeinschaft des hellseherischen Sängers Jaakko. So konnte ich ein Bild von Pepe zeichnen, der eine eher passive Hauptfigur ist, aber ich hatte das Gefühl, dass er das sein muss. Jedes Mal, wenn ich versucht habe, ihn zum Handeln zu zwingen, brach die ganze Geschichte zusammen. Es ging also darum, mit den Twists und Wendungen der Geschichte und den Nebenfiguren zu jonglieren, um den Film spannend zu halten, und gleichzeitig musste ich meiner Hauptfigur Raum geben, sich anzustrengen.
Wie haben Sie die Charaktere in dieser seltsamen Stadt entwickelt?
Schon sehr früh hatte ich eine Vision von der Stadt und ihren Bewohnern im Kopf, einem sehr eigentümlichen Ort weit oben im Norden, bedeckt von Frost und Schnee und Dunkelheit. Ich konnte sie auch in einer Mise-en-Scène sehen und fühlen, beinahe stillstehend, oder im Schnee in der Mine in Formation stapfend. Aber als ich anfing, den Dialog zu schreiben, war es eine andere Sache: Ich konnte ihn auf keinen Fall „auf die übliche Weise“ schreiben und ihn mehr oder weniger realistisch halten. Ich habe es natürlich versucht, aber es ergab keinen Sinn, es hat das ganze Drehbuch auf das Alltägliche reduziert.
Ich war frustriert und nahm mir eine Auszeit von dem Drehbuch. Ich las eine Novelle von Peter Handke mit dem Titel „Die linkshändige Frau“ – ein wunderbares Stück Literatur – und mir wurde klar, dass die leicht surreale und existenzielle Atmosphäre in diesem Buch hauptsächlich dadurch entsteht, dass die Charaktere den Subtext laut aussprechen, etwas, das er auch im Drehbuch von Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ tut, wo wir die Gedanken und Gebete der Menschen hören können, die von den Engeln beobachtet werden. Das war eine Offenbarung für mich.
Als ich anfing, auf diese Weise zu schreiben, begann alles für mich Sinn zu ergeben. Ich konnte die Dialoge auf ein Minimum beschränken, aber wenn die Charaktere anfingen zu reden, war es nicht banal, sondern tiefgründig und gebildet. Und als ich anfing, mit den Schauspieler:innen zu proben, war schnell klar, dass darin auch eine Quelle lakonischer Komik liegt.
Sie haben gesagt, dass Pepe und andere Charaktere im Film ursprünglich von echten Menschen und Gemeinschaften in Finnland inspiriert wurden. Können Sie darüber etwas mehr erzählen?
Es stimmt, dass der Film in vielerlei Hinsicht nicht realistisch ist. Aber die ursprüngliche Idee des Films stammt von einer realen Person. Nachdem ich das Drehbuch für „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ beendet hatte, suchte ich nach einem neuen Thema oder einer neuen Idee. Ich wohne auf dem Land, eine Stunde außerhalb von Helsinki, und habe ein altes Holzhaus mit einem alten Garten.
In meinem Garten stand ein Baum, den ich fällen wollte, aber da ich Dichter und Filmemacher bin, dachte ich, ich sollte es nicht selbst versuchen. Also suchte ich in den Gelben Seiten und fand die Anzeige eines Holzfällers. Ein eigenartiger, altersloser kleiner Mann kam daraufhin zu mir. Er war extrem ruhig und freundlich, aber da war etwas an ihm, das ich nicht genau benennen konnte. Ich erfuhr, dass er ursprünglich aus dem Norden kam, nicht weit von meiner Heimat entfernt, aus einer kleinen Stadt nahe der russischen Grenze. Er sagte, er habe dort eine Familie, aber er musste in den Süden ziehen, da es in seiner Heimat keine Arbeit für ihn gab. Jetzt war er also allein. Aber es schien ihm gut zu gehen.
Plötzlich wurde mir klar, dass alle, die ich aus dieser Gegend kenne, genau wie er sind: extrem ruhig und unerschütterlich – egal, was passiert. Mein Schwager ist von dort, und ich glaube nicht, dass ich ihn schon mal wütend gesehen habe. Es ist, als gäbe es etwas Mythisches in der Region, das diese stoischen, aber sehr sympathischen Charaktere hervorbringt. Ich fing an, über eine Kulisse, einen freundlichen Holzfäller und seine Geschichte zu phantasieren. Wie kann es sein, dass jemand so ausdauernd, so klar als Charakter ist? Was passiert, wenn ich so einen unschuldigen Mann einem schrecklichen Test unterziehe? Ich fing an, fast einen sadistischen Drang zu verspüren, ihn zu quälen, um zu sehen, ob ich ihn brechen kann. Dieser Sadismus führte mich zum Schreiben. Als das erste Treatment der Geschichte Gestalt annahm, dachte ich viel über das Buch Hiob nach – und an die Frage des Bösen. Es war naheliegend. Aber anders als in der Hiobsgeschichte interessierte mich nicht so sehr die Frage der Gerechtigkeit Gottes, sondern was passiert, wenn ich „Gtt aus der Gleichung nehme“? Für mich war das Dilemma rein existentiell: Wie kann Pepe so sein in einer Welt, die an Sinnlosigkeit leidet? Als ob er in seiner Existenz einen tieferen Sinn erkennt, der nur ihm verständlich ist; ein Sinn, der in seinem Dasein wurzelt.
Die Idee der Charaktere basiert also wirklich auf echten Menschen, aber ihre Bearbeitung im Film ist weit davon entfernt. Als Finne habe ich allerdings manchmal das Gefühl, dass die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, ganz anders ist als beispielsweise die Kultur in Frankreich. Und vielleicht ist dieser Umgang dann gar nicht so weit von der Realität entfernt.
Fortsetzung folgt.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie und Drehbuch Mikko Myllylahti
Kamera Arsen Sarkisiants
Darsteller
Pepe Jarkko Lahti
Tuomas HP Björkman
LittleTuomas Iivo Tuuri
Jaakko Marc Gassot
Kaisa Katja Küttner
Irmeli. Ulla Tapaninen
Maija Armi Toivanen
Abdruck aus dem Presseheft