Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 11. Mai 2023, Teil 7
Redaktion
Helsinki (Weltexpresso) - Die Bildgestaltung Ihres Films ist auffallend geprägt von vielen schönen Bildern von einer ätherischen, malerischen Qualität. Wie haben Sie und Ihr Kameramann diese visuelle Ebene, die doch sehr maßgeblich zum Ton des Films beiträgt, umgesetzt?
Als wir mit der Vorproduktion begannen, war schnell klar, dass wir für diesen Film nicht einfach die Realität so abfilmen, wie sie ist, um dann den Film am Schneidetisch zu erstellen. Wir hatten eine ziemlich lange und gründliche Vorproduktion mit meinem Kameramann Arsen Sarkisiants und meiner Produktionsdesignerin Milja Aho, in der wir viel Material gesammelt haben, hauptsächlich Gemälde und Fotografien.
Eine surreale Atmosphäre in einem Film zu schaffen, ist harte Arbeit. Es ist sehr ähnlich wie bei einem historischen Film, wo jedes Detail und jedes Objekt ans Set gebracht werden muss. Wir haben viel Zeit damit verbracht, die passenden Drehorte zu finden. Der größte Teil von Lappland wurde im Zweiten Weltkrieg von den sich zurückziehenden Nazi-Truppen in Schutt und Asche gelegt. Leider war der Wiederaufbau nach dem Krieg ein ziemliches architektonisches Durcheinander, was nicht so sehr unseren Vorstellungen entsprach. Die fehlenden Orte fanden wir dann in der Region Kainuu und Koillismaa, die sich im südöstlichen Teil Nordfinnlands befinden, direkt unterhalb von Lappland.
Nachdem wir die Drehorte gefunden hatten, gab es noch etliche Fragen zum visuellen Stil des Films. Der Kameramann und ich hatten das Gefühl, dass wir etwas Besonderes brauchen, um die Stimmung meines Drehbuchs zum Leben zu erwecken. So fiel die Entscheidung auf 35-mm-Film zu drehen; eine Idee, die wir beide sehr mochten. Gleichzeitig war uns klar, dass diese Entscheidung einige Einschränkungen mit sich bringt. Wir konnten nicht die gleiche Menge Material wie bei digitalen Aufnahmen erzielen und auch die Dreharbeiten wurden viel langsamer.
Aber wir wussten, dass nur echtes Filmmaterial dieses sehr zeitlose und eigentümliche Gefühl erzeugen kann, das den Film charakterisieren sollte. Wichtig war aber auch unser Umgang mit der Mise-en-Scène. Wir haben viele ältere Filme studiert und wollten eine ähnliche Art der Anordnung der Schauspieler:innen im Cinemascope schaffen, indem wir miitlere und lange Einstellungen statt Nahaufnahmen verwendeten, die wir am Ende des Films bewusst aussparen wollten. Schließlich noch das Kostümdesign, insbesondere
die Kleidung der Hauptfigur Pepe. Wir wollten ihn in einem ikonischen Outfit sehen, damit er selbst im breitesten Rahmen herausstechen kann. Das hat uns dazu veranlasst, auch die
Erzählung so zu gestalten, dass sie der Ästhehek einer Graphic Novel ähnelt.
Der Film hat eine sehr einzigartige Stimmung, aber es gibt auch viele Anspielungen auf klassische Kino-Momente. Welche Einflüsse haben Ihre Arbeit als Regisseur beeinflusst?
Im Allgemeinen habe ich, vielleicht weil ich auch Dichter bin, schon immer eine Form des Kinos bevorzugt, die in der Lage ist, nach Transzendenz zu greifen, über Geschichtenerzählen und Worte hinauszugehen und das Geheimnis der Existenz auf eine Weise zu enthüllen, wie sie eher in der Poesie oder in abstrakter bildender Kunst üblich ist. Das gesamte Werk von Robert Bresson ist ein großartiges Beispiel, meine Lieblingsfilme sind „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ und „Zum Beispiel Balthasar“, der für mich ein zutiefst spiritueller Film ist. Auch Pasolinis „Teorema“, wegen seiner starken Allegorie und seines markanten Endes in der Wüste, oder Buñuels Absurdität und Surrealismus. „Die Geschichte vom Holzfäller“ ist von einigen Filmen bzw. Filmemachern beeinflusst:
Vittorio De Sicas „Das Wunder von Mailand“ – wegen seiner überraschenden Kombination aus Neorealismus und magischem Realismus. Auch die Hoffnungsbotschaft wird in der Hauptfigur ähnlich verkörpert wie in meinem Film. Und wegen des fabelhaften geradlinigen Geschichtenerzählens und des Komödiantischen. Takeshi Kitanos „Sonatine“ – wegen seiner Schauspielmethode, die einer Komödie einen überraschenden Ton verleiht. Tarkowski: „Nostalghia“ – vielleicht nicht sein bester Film, aber einer, der zutiefst spirituell ist und auf schönste Weise versucht, nach dem Transzendieren zu greifen. Bergmans „Wilde Erdbeeren“ – besonders wegen der Albtraumsequenz mit der Pferdekutsche.
Natürlich kommt man an David Lynch nicht vorbei, den ich sehr bewundere - und der übrigens finnische Wurzeln hat. Seine frühen Filme wie „Blue Velvet“ und „Wild at Heart“ sind meine Favoriten, weil sie Albträume und Surrealismus mit einem sehr emotionalen Geschichtenerzählen und dem Einsatz von Musik und Gesang kombinieren.
Ich bin ein großer Fan von Aki Kaurismäki, er ist wirklich ein Meister und einer der einflussreichsten Filmemacher in der Geschichte des finnischen Kinos. Aber ich habe auch das Gefühl, dass uns einiges unterscheidet: vielleicht stehe ich mehr auf Surrealismus und Absurdität und meine Dialoge sind losgelöster von der Szene, in sich geschlossener und somit auf eine ganz andere Weise poetisch. Aber wir teilen definitiv die gleichen Einflüsse aus der Filmgeschichte.
Mit meinem Kameramann sprach ich auch viel über Fotografien des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson, über seine Verwendung von Rahmen und die Positionierung der Charaktere.
Aber auch aus der Literatur gibt es Einflüsse, zum Beispiel haben mich Franz Kafkas Kurzgeschichten und sein unvollendeter Roman „Amerika“ inspiriert, um diese eindringliche und surreale Atmosphäre zu schaffen. Ebenso wie viele finnische Gemälde, die die Arktis auf sehr surreale Weise darstellen, wie zum Beispiel die des Malers Kalervo Palsa.
Dies ist Ihr Debüt als Regisseur, nachdem Sie als Drehbuchautor für mehrere Filme gearbeitet haben, darunter „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“. Wie war es,, den Schreibtisch zu verlassen und die Kontrolle über ein komplettes Set zu übernehmen und dabei alle Aspekte des Filmemachens zu verantworten?
Ich hatte bei mehreren Kurzfilmen Regie geführt, aber ja: nichts hat mich wirklich darauf vorbereitet, in diese Produktion einzutauchen. Natürlich muss man das Regiehandwerk beherrschen, zumindest die Grundlagen, um bei einem Spielfilm Regie zu führen, aber es ist immer noch ein Sprung ins kalte Wasser. Unser Budget war etwas größer als das, was man normalerweise für ein Langfilmdebüt in Finnland bekommen kann, aber die Ressourcen waren immer noch sehr begrenzt. Das zwang uns dazu, Prioritäten zu setzen und darüber nachzudenken, was wichtig ist und was nicht.
Mir wurde schnell klar, dass ich mich an einem Scheideweg befand: der eine Weg würde mich zu einer konventionelleren und sichereren Art des Filmemachens führen, bei dem ich auf einige der Ecken und Kanten verzichten müsste, um im Schneideprozess mehr Spielraum zu haben und entscheiden zu können, was sich mit dem Material machen lässt.
Der andere Weg war, sehr mutig zu sein und alle großen Entscheidungen bereits am Set zu treffen und im Grunde darauf zu vertrauen, dass das, was wir tun, letztendlich funktionieren wird. Ich entschied mich für Letzteres, und ich htte das Gefühl, als würde man bei einem Pokerspiel alles geben, ohne auf die eigenen Karten zu schauen. Es war
verrückt. Ich bin normalerweise keine sehr mutige Person, aber irgendetwas im Drehbuch sagte mir, dass es keinen Weg zurückgibt, wir mussten einfach darauf vertrauen, dass das Drehbuch funktionieren wird. Es gibt Szenen, die die Handlung nicht unbedingt vorantreiben, wie die Szene mit der elektrischen Kugel, oder es gibt Szenen, die nicht vollständig erklärbar sind, wie die Szene mit dem brennenden Auto am Ende, und es gab definiitv Momente in der Produktion, in denen entweder ich oder jemand anderes gezwungen war, die Frage aufzuwerfen, ob diese Szenen wirklich gebraucht werden oder ob sie am Ende dann einfach aus dem Film fliegen würden. Aber es gibt eine Sache, die ich durch das Schreiben von vier Gedichtbänden gelernt hatte und die für meine Regiearbeit nützlich war. Und zwar, wie wichtig es ist, Mehrdeutigkeit auszuhalten. Wenn man anfängt, das Absurde oder das Surreale zu hinterfragen, riskiert man, etwas Einzigartiges zu verlieren.
Egal was ihm oder anderen widerfährt, Pepe bleibt ein ewiger Optimist. Wie stehen Sie zur Hoffnung angesichts einer manchmal überwältigenden Dunkelheit?
Am Ende des Films gibt es für Pepe einen Wendepunkt, als sein Sohn mit dem brennenden Auto wegfährt und Pepe schließlich in seinem Haus auf dem Berg ankommt. Er überquert hier eine Grenze, es ist wie eine Ankunft im Fegefeuer – an einem Ort zwischen Realität und Jenseits. Wir haben die Möglichkeit, unsere eigenen Ängste und Wünsche auf ihn zu projizieren, und in diesem Moment – zumindest für mich – wird sein Optimismus in ein anderes Licht gerückt. Was ist, wenn das Leben gar keinen Sinn hat? Vielleicht ist die ganze Frage absurd. Und das ist es, was ich in ihm sehe, wie er immer noch mit blauen Flecken im Gesicht in der Hütte lächelt.
Aber wir alle müssen eines Tages diese Grenze überschreiten, unsere Existenz als Subjekt im Raum-Zeit-Kontinuum wird eines Tages zu Ende gehen, und wir können uns nicht einmal vorstellen, wie es ist, nicht zu sein. Es ist ein Mysterium. Aber so ist die Gutmütigkeit der Menschen – und die Hoffnung.
Ich denke, es gibt einige Ähnlichkeiten im Charakter von Pepe und mir. Ich bin auch ein sehr optimistischer Mensch und glaube fest daran, dass sich die Dinge irgendwann zum Guten wenden werden. Ich weiß nicht warum, aber so war ich schon immer.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie und Drehbuch Mikko Myllylahti
Kamera Arsen Sarkisiants
Darsteller
Pepe Jarkko Lahti
Tuomas HP Björkman
LittleTuomas Iivo Tuuri
Jaakko Marc Gassot
Kaisa Katja Küttner
Irmeli. Ulla Tapaninen
Maija Armi Toivanen
Abdruck aus dem Presseheft