bue Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 11. Mai 2023, Teil 9

Redaktion 

Buenos Aires (Weltexpresso) - Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Es ist mir schon ein bisschen peinlich das zu sagen, weil es so lange gedauert hat, bis wir den Film endlich machen konnten, aber ich war mit meiner Freundin, die danach die Mutter meines Sohnes wurde, Ende 2002 / Anfang 2003 in Irland. Die Unruhen in Argentinien von 2001 waren noch sehr nah und präsent. Meine Freundin sagte mir damals: „Warum machst Du nicht einen Film über die Entstehung einer Tango-Bar in Buenos Aires...?“ Und so ist der Kern der Idee geboren. Ich habe mich danach mit dieser Idee bei der Drehbuchwerkstatt in München beworben, wurde angenommen und konnte dort eine erste Drehbuchfassung schreiben. Über die Jahre kamen Fernando Castets und Stephan Puchner dazu. Die  Entwicklung des Projektes war also sehr, sehr lang und ich bin froh und sehr dankbar, dass wir schlussendlich dank der Unterstützung der Redakteurinnen Andrea Hanke vom WDR und Daniela Muck von ARTE den Film machen konnten.


Der Tango ist der heimliche Hauptdarsteller des Films…

Ich weiß nicht, ob das überhaupt so „heimlich“ ist, aber ich bin mir sicher, dass er einer der Hauptdarsteller des Films ist. Ich habe den Tango interessanterweise erst in Deutschland entdeckt, nicht in Buenos Aires. Aber wahrscheinlich trug ich ihn bereits in mir. Jede Person, die in Buenos Aires geboren und aufgewachsen ist, hat den Tango in ihrer DNA. Man hört es überall. Im Bus, im Fernsehen, im Radio, bei der Geburtstagfeier der Tante… Meine Mutter sang zum Beispiel immer den gleichen Tango bei allen Familienfeiern. Tango ist in Buenos Aires immer und überall präsent, auch wenn man ihn vielleicht nicht bewusst hört. Nachdem ich zum Studium an der Filmhochschule nach Deutschland kam, wurde der Tango für mich wie eine sofortige Brücke zu meinem Ursprung – und zu meiner Leidenschaft.


Man spürt im Film, dass Ihnen die argentinische Geschichte sehr nah geht...

… ich glaube, dass ADIÓS BUENOS AIRES einerseits aus meiner Liebe zum Tango und zu dieser Stadt entstanden ist und anderseits aus der Wut, die ich sehr oft spüre, wenn ich sehe, wie die argentinischen Politiker dieses wunderbare Land mit herzlichen und klugen Menschen aus Gier, Unfähigkeit und Korruption kaputt machen. Argentinien ist eines der wenigen Länder der Welt, denen es immer schlechter und schlechter geht. Zurzeit gibt es 50% Armut. Wie ist das möglich? Ich bin überzeugt, dass das mit der tödlichen Mischung aus Korruption und Unfähigkeit unserer Politiker zu tun hat.


Julio Färbers Leidenschaft ist die Musik, das Bandoneon, der Tango – in der Liebe hatte er Pech. Haben Sie einen Beziehungs-Tipp für ihre Hauptfigur?

Menschliche Beziehungen sind sehr kompliziert! Immer! Es scheint in der Struktur dessen zu liegen.... Nein, ich habe keinen Beziehungs-Tipp für Julio. Aber ich denke, am Ende des Films trifft er die richtige Entscheidung...


Wie haben Sie die echten Musiker gefunden, die im Film zu hören sind und wie diese in die Auftrittsszenen eingebunden?


Ich wusste, dass selbst wenn wir eine Geschichte von gescheiterten Musikern aus den „Arrabales“, den Vororten Buenos Aires, erzählen, die Musik im Film super klingen muss. Sie könnten verlorene Existenzen sein, aber der Tango, den sie spielen, muss die Herzen der Zuschauer berühren. Der Pianist Fulvio Giraudo und der Bandoneonist Nicolás Enrich sind beide Ende 30/Anfang 40 und echte Größen der Tangoszene Argentiniens. Ich habe sie gehört und war von ihnen begeistert. Um die Stimme von Ricardo Tortorella zu finden, haben wir ein Casting gemacht und uns für den bekannten Sänger Carlos Morel entschieden, der alle Tangos des Films großartig und sehr einfühlsam interpretiert hat. Die Aufnahmen waren zwei der schönsten Tage, die ich für diesen Film erlebt habe. Dabei sein zu dürfen, während sie die Musik aufnahmen, war absolut magisch. Ein bisschen wie die Geburt des Films zu
erleben...


Die Dreharbeiten zu ADIÓS BUENOS AIRES mussten wegen der Covid-19-Pandemie unterbrochen werden. Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Pandemie war für mich eine schreckliche Erfahrung. Ich muss das gleich relativieren, denn es gibt viele Menschen auf der ganzen Welt, die daran gestorben sind oder einen Familienangehörigen verloren haben. So etwas musste ich nicht erleben, Gott sei Dank. Aber für mich persönlich war es sehr, sehr schwierig. Am 20. März 2020 begann in Argentinien der Lockdown. Für mich persönlich war es, als wäre ich mit 200 Km/h auf der Autobahn gefahren und plötzlich wird eine Wand von der Seite reingeschoben. Zwei Tage zuvor waren wir zu 100 % am Drehen und zwei Tage später konnte ich meine Wohnung nicht verlassen. Ich kam von Buenos Aires nach München mit einem Flug über Sao Paulo zurück, musste zwei
Tage im Hotel am Flughafen in Sao Paulo verbringen. Der riesige Flughafen in Sao Paulo war absolut menschenleer. Der Zug von Frankfurt nach München war leer. Und genauso leer waren meine nächsten Monate. Schrecklich. Die Sorgen, ob wir jemals den Film würden beenden können... Ich wachte morgens auf und dachte, dass ich mitten in einem Albtraum bin. Aber normalerweise enden Albträume, wenn man aufwacht... Dieser endete nicht. Tag für Tag ging er weiter. Monatelang. Zehn Monate nach dem letzten Take konnten wir die Dreharbeiten wieder aufnehmen. Die erste Szene, die wir drehten, war auf dem Friedhof, als Julio Blumen zu Atilios Grab bringt. Es war, als hätten wir erst eine Woche davor aufgehört.
Wirmussten alle Masken tragen und uns täglich testen lassen. Aber wir konnten den Film zu Ende drehen. Das war großartig!


Haben Sie jetzt „Feuer gefangen“ und wechseln ganz zum Spielfilm oder wird es weitere Dokumentarprojekte geben?

Die Grenze zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm ist für mich nicht so klar. Wenn man sich einen Film anschaut wie „Nomadland“, zum Beispiel. Wie viel ist da vom Spielfilm? Wie viel vom Dokumentarfilm? Das gleiche bei einem Film wie „Pina“ von Wim Wenders zum Beispiel. Ist der ein Dokumentarfilm? Ich habe „Spielfilm“ studiert und habe aus Zufall angefangen dokumentarisch zu arbeiten. Denn so konnte ich meine Filme anfangen zu drehen, ohne auf eine lange Finanzierung warten zu müssen. Das hatte Vor- und Nachteile. Aber ich konnte dafür einige Filme drehen, die für mich sehr wichtig waren. Ich hoffe sehr, dass ich weiter Filme über Themen und Menschen, die mich faszinieren, machen kann. Wenn mir das gelingt, bin ich glücklich. Filmemachen ist das, was ich am liebsten mache. Trotz aller Schwierigkeiten. Trotz aller Widerstände und Unsicherheiten, die der Job oft mit sich bringt. Das ist
einfach mein Leben.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie.  German Kral
Drehbuch.  Stephan Puchner, Fernando Castets, German Kral

Darsteller
Julio Färber.  Diego Cremonesi
Mariela Martínez   Marina Bellati
Carlos Acosta.  Carlos Portaluppi
Atilio Fernández.   Manuel Vicente
Tito Godoy.        Rafael Spregelburd
Ricardo Tortorella.    Mario Alarcón
El Jose.   Luis Ziembrowski

Abdruck aus dem Presseheft