Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Damals beim Anlaufen des Films gab es schon einmal eine größere Besprechung, aber das ist ein Film, der beim zweiten, ja dritten Anschauen noch weiter gewinnt. Neben den Enthüllungen, die für die Filmemacherin Uli Decker ein persönlich einschneidendes Erlebnsi waren, weil der Vater ein ganz anderer war, als sie gedacht und gefühlt hatte, ist dieser Film auch deshalb interessant, weil er quasi stellvertretend für viele eine ganz 'normale' Familie im ehemaligen Westdeutschland zeigt, strafverschärfend in Bayern, wo die gesellschaftlichen Verhältnisse noch verkleisterter waren (und sind?) als anderswo.
Vater Decker ist Lehrer. Das ist doch was ehrenwertes. Seine Ehefrau lernt man im Laufe des Films nicht nur zu mögen, sondern teils auch zu bewundern. Sie war nicht nur die, die ihm sprichwörtlich den Rücken stärkte, sondern auch die, die seine Vorderseite vor der Öffentlichkeit verbarg. In der Tat wünscht man jedem Transvestiten, also einem Mann, der sich in Frauenkleidern erst richtig wohl fühlt, eine so verständnisvolle Frau. Der Film äußerst sich nicht zum Thema, wo und ob denn der Wunsch, das andere Geschlecht zu besitzen, über Verkleiden hinausging. Denn dann beginnt die eigentliche Tragik, vor allem, wenn man Frau und Kinder hat. Es geht also nur um das Transvestitentum. Aber was heißt hier 'nur'.
Nach außen erleben also alle eine normale vierköpfige Familie; die beiden Mädchen machen ihren Weg. Die eine, Uli Decker ist Regisseurin geworden; schon in der Kindheit hat sie nicht die Puppen goutiert, sondern sich lieber als Junge gegeben. Ob sie nicht heute darüber nachdenkt, ob sie damit auch eine Botschaft an ihren Vater sendete. Aber dieser Film will weder psychoanalytisch Leben erklären, noch Geschlechterrollen in Frage stellen. Dieser Film beschreibt ein Leben, das, als es ans Ende gekommen ist, Bedauern darüber auslöst, daß weder der sterbende Vater, noch die vom Geheimnis des Vaters spät wissende Mutter, die erwachsenen Töchter eingeweiht hatten. Denn das hätte beiden Töchtern manches erklärt, von dem zumindest Uli Decker sagt, daß sie den als Kind Vater als distanzierend wahrgenommen hätte und es klingt nicht so, als ob das als erwachsene Frau anderes geworden wäre. Daß sie das erst einmal als fake news wahrgenommen habe, von Almodóva rin Srne gesetzt. Aber es habe sie irgendwie auch gefreut, daß ihr Vater doch mehr vom Leben gehabt habe, als sie gedacht hatte. Und eben geärgert, daß er das nicht mit ihr, der Tochter, geteilt hat. Ihr hätte das so gut getan, ihn nicht nur als belanglosen Langweiler erlebt zu haben (nein, so spricht sie nicht, ist die Ausdrucksweise der Zuschauerin).
Die eigentliche Heldin im Film ist die Mutter, empfindet zumindest diese Zuschauerin. Denn als Jahre vor dem Tod des Vater, der überraschend an den Folgen eines Fahrradunfalls schon mit 63 Jahren starb, die Mutter am Krankenbett des Vaters von seiner ANIMA, seiner weiblichen Seele spricht. Wir Zuschauer hören dann von seinem geheimen Leben davor, denn er hat Tagebuch geführt und es ist schon erstaunlich, wenn Vater Decker von seinem Auftrieb spricht, wenn er heimlich die Kleider, die Unterwäsche seiner Frau anzieht und sich öffentlich auf den Straßen der Hauptstadt bewegt. Deshalb erstaunlich, weil wir das ja täglich tun, in Kleidern unterwegs zu sein, was ganz und gar keinen Auftrieb erzeugt, sondern Alltag ist. Das ist übrigens ein interessanter Aspekt, der im Film keine Rolle spielt, daß es Kleider und Röcke sein müssen und Unterwäsche, keine langen Hosen, die heutzutage, wenn man sich auf den Straßen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln umsieht, viel häufiger getragen werden - von Frauen.
Der Mutter hatte der Vater auch davon gesprochen, daß er als Junge schon heimliche die Kleider seiner Mutter angezogen habe. Doch muß sich Uli Decker nicht allein auf die Aussagen der Mutter beziehen, denn im Tagebuch des Vaters findet sie ja dessen Aussagen zu seiner Zwiespältigkeit, auch zu den Fragen, die er sich stellt, was denn überhaupt ein Mann sei oder eine Frau. Wenn er schreivt: „Mir geht es nicht darum, eindeutig weiblich zu sein, sondern im Transzendieren der männlichen Rolle meiner Seele Freiheit zu schaffen“, dann spricht daraus ja doch eigentlich keine Qual, sondern Souveränität in der Ausweitung des eigenen Ichs, des Selbst.
Und für sie selber sei dieser Film die Kommunikation mit ihrem Vater, den sie 'in Echt' nie hatte führen können. An dem wir nun teilhaben, was berührend und interessant ist.
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Info;
ANIMA – Die Kleider meines Vaters
Stab
Regie: Uli Decker
Buch: Uli Decker, Rita Bakacs
BRD, 2022
FSK ab 6 freigegeben
Erscheinungstermin: 28.4.2023
Genre: Dokumentation
Spieldauer: 94 Min.
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Cinemascope
Untertitel: Deutsch f.H.
farbfilm verleih
Unsere Besprechung zum Anlaufen des Films am 21. Oktober 2022
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