Tagebuch zum Berliner off-off-Filmfestival „achtung berlin“, Teil 8

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Zum Schluss weiß ich, warum dieses Filmfestival „das wichtigste der Stadt“ ist - weil Berlin die Hauptrolle spielt: Es liefen unglaublich viele, in Berlin gedrehte neue Filme, die Retrospektive präsentierte Berlinfilme aus den 90er-Jahren und „Director’s Choice“ zeigte deren Berliner Lieblingsfilme aus dem letzten Jahr.

 

Darunter waren auch „Houston“ mit Ulrich Tukur oder „Feuchtgebiete“ nach Charlotte Roche. Walther Ruttmanns Experimentalfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) begründete wohl einst das, mittlerweile ganz eigene, Genre „Berlinfilm“.

 

„achtung berlin“ ging auch auf den Kiez und zeigte Beiträge in Friedrichshain und Neukölln. Gestern, am letzten Festivalabend, fuhr ich nach Neukölln, um dort „Houston“ zu sehen. Ich mag den Stadtteil nicht, finde die aggressive Atmosphäre dort immer extrem unangenehm und bedrohlich. In der U-Bahn bekam ich sofort Streit mit einem hitzigen Bettler vorderasiatischer Provenienz, der mich wutentbrannt anschrie und mir den Tod androhte. Nachdem er uns beschimpft hatte, wollte ich ihm freundlich erklären, wieso er von mir kein Geld mehr bekommen konnte (aufgrund der vielen Bettler war mein Münzgeld einfach alle).



Hier im Feindesland spielt auch „Ummah – unter Freunden“ (2013) einer meiner Lieblingsfilme der Festspiele: Ein Hauch von „Bourne Identität“ weht durch Berlin-Neukölln. Daniel, ein deutscher Verfassungsschutzagent wacht in einer Kneipe aus einer Ohnmacht auf, neben ihm liegen zwei tote Typen, mit Hilfe seiner Behörde taucht er in Neukölln unter. Hilfsbereite Muslime kümmern sich um ihn, die einander Fremden freunden sich an. Die Ummahs (Freunde) wundern sich, was Daniel in ihrem Kiez will. „WIR sind hier geboren“, meint Abbas, „aber DU könntest doch auch in Steglitz oder Kreuzberg wohnen…“ Mit Hilfe der neuen Freunde versucht Daniel in Neukölln seine Vergangenheit zu vergessen und ein anderes Leben zu beginnen. Aber seine, unter Erfolgsdruck stehende Dienststelle zwingt ihn, die muslimischen Freunde als Terroristen zu denunzieren…



Der Film erzählt die Geschichte, deren bitterer Schluss hier nicht verraten wird, humorvoll und spannend, ohne das Multikulturelle zu verklären. Daniel wird auch überfallen, ausgeraubt und angestochen, aber der Film schildert realistisch und warmherzig den Alltag in Neukölln, verschweigt jedoch nicht die Divergenzen zwischen den verschiedenen Kulturen. „Ummah“ hatte 2013 seine Premiere auf dem Filmfestival in Montreal und erschien in diesen Tagen als DVD, die es zwar nicht in den Berliner Kinos wohl aber für 9,99 Euro im Media Markt oder bei Amazon gibt.



Zum Ende des Festivals wurden gestern einige Preise vergeben, doch es ging hier in diesen Tagen überhaupt nicht um Wettbewerb und Konkurrenz. Im Gegenteil, „achtung berlin“ ermöglichte wirklich „Begegnungen auf Augenhöhe“, wie die Veranstalter zuvor ankündigten. Zu jeder, wirklich jeder Vorstellung erschienen Regisseure, Darsteller, Produzenten, manchmal sogar die ganze Crew. Gerade bei den älteren Filmen in der Retrospektive gab es richtige Wiederbegegnungen, viele der Filmleute hatten sich Jahre lang nicht mehr gesehen und feierten mit dem Publikum ihre Treffen. Und alle (außer Klaus Lemke) erzählten von der Entstehung ihrer Filme und beantworteten gerne Fragen der interessierten Zuschauer. Fazit – anders als bei der Berlinale weniger roter Teppich aber viel Kommunikation, gerade mit den „normalen“ Zuschauern!

 

Foto:Hanswerner Kruse

art-girls: Inga Busch (links) und Regisseur Robert Bramkamp (mit Mikro)