Serie: „Die Spiegel-Affäre“ und „Bedingt abwehrbereit“ heute in der ARD, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Alle Welt schaut heutzutage, sogar massenhaft große geschichtliche Ereignisse als Filme an – wenn sie aus den Hollywood kommen und naturgemäß amerikanische Geschichte behandeln. Unsere Bevölkerung lernt auf diesem Weg beispielsweise die Gründung der USA besser kennen als die der Bundesrepublik.
Von daher ist es erst einmal wichtig, einen der großen politischen Konflikte der jungen Bundesrepublik Deutschland, wie Westdeutschland sich zum Kontrast zur DDR lange nur in ausgeschriebener Version nannte, erst später durfte man BRD sagen, überhaupt kennenzulernen. Das gilt für die jüngere Bevölkerung. Die ältere hat gleich mehrschichtige Erinnerungen. Da gab es im Westen diejenigen, die zum Spiegel hielten, einfach, weil sie gegen diese reaktionäre Adenauerrepublik waren und ihnen Pressefreiheit ein hohes Gut war und es gab diejenigen, die zu allen, die von staatlicher Willkür sprachen, sagten: „Dann geh doch nach drüben!“, womit falls das die heute Jungen gar nicht mehr wissen, eben die als kommunistisch verteufelte DDR gemeint war, die, wie wir heute alle wissen, niemals kommunistisch war, die einen Staatssozialismus unter schwierigen Bedingungen zu verwirklichen suchte, dem die Staatsführung dann selber durch Errichtung des Staates als Gefängnis den Garaus machte.
Im Osten wurde die Spiegel-Affäre, die schon damals im Oktober 1962 so genannt wurde, gebrochen wahrgenommen. Denn so richtig zufrieden konnte sich die DDR-Führung nicht zeigen, daß echte oder angebliche Militärgeheimnisse über die freie Presse lanciert werden, gleichzeitig galt dies aber auch als Beweis für die reaktionäre Gesinnung der westdeutschen Politik. In dieser Gemengelage finden wir es hervorragend, daß dieses politisch bedeutsame und gesellschaftlich relevante Thema im deutschen Fernsehen Drehbuchschreiber, Regisseur und Produzent gefunden hat und einen Sendetermin bei ARTE und ARD. Das gilt erst einmal völlig unabhängig vom Inhalt, auf den wir noch kommen. Der Inhalt nämlich kann, grob gesagt, gar nicht verfälscht werden, weil die Dokumente bekannt sind und die politischen Folgen für diesen „Abgrund an Landesverrat“ auch, es also Sieger und Verlierer gibt.
„Skandale in Deutschland nach 1945“ hieß eine Ausstellung vom Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die im Jahr 2008 in Bonn und danach in Leipzig zu sehen war und die als ständige Ausstellung eigentlich in jedes Museum der Geschichte im Lande gehört, faßt es doch die wesentlichen Ereignisse zusammen, die in Westdeutschland – auf die Skandale in der DDR warten wir noch – damals zu öffentlichen Aufregungen, ja Tumulten führte und das Leben und die Politik hierzulande veränderte.
Neben der „Sünderin“, dem Film mit Hildegard Knef, an dem sich die durch den Faschismus und die bigotte und kleinbürgerliche Atmosphäre der Bundesrepublik gelenkte Volksseele sozusagen aufgeilte, neben Rosemarie Nitribitt, der ermordeten Frankfurter Edelprostituierten, die für die gelebte Moral der Geldelite der BRD stand, neben dem Fall Theodor Oberländer, einem Paradebeispiel für die furchtbare und fruchtbare Kontinuität der politischen Klasse vom Dritten Reich direkt in die Bundesrepublik Deutschland, neben Contergan, dem Arzneimittelskandal, wo eine Firma aus Geschäftemacherei ein nicht ausreichend getestetes Schlafmittel massenhaft und rezeptfrei verkaufte, mit der Folge, daß Schwangere mißgebildete Kinder, also ohne Arme, Füße oder sonstige Mißbildungen gebaren, neben diesen Skandalen stand dann auch die „Spiegel“-Affäre, die unter den genannten die vehementeste öffentliche Wirkung erzielt und eben eine eindeutige Zuordnung in Sieg und Niederlage.
Vom Ergebnis her hätte sich die eher linke Bundesrepublik (sie war in der Minderheit) und die eher sich aufklärerisch, denn staatstragende verstehende Presse gar keinen besseren, weil an dieser Stelle dümmeren Gegner wünschen können, als es der damalige Verteidigungsminister und von ihnen als Kotzbrocken eingeschätzte Franz-Josef Strauß wirklich war. Die „Spiegel-Affäre“ wurde vom Ausgang her als Siegeszug der Demokratie und der Pressefreiheit wahrgenommen und führte zum ersten durchgehenden Protest der Bevölkerung der Bundesrepublik, der durch die Medien begleitet wurde. Nur sehr wenige sprachen sich damals in Wort und Ton für das staatliche Handeln aus. Um was ging es? Fortsetzung folgt.