Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – An einem Abend vor ein paar Jahren saß Celine Song in einer Bar, umgeben von zwei Männern, die in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens eine wichtige Rolle gespielt haben. Auf der einen Seite ihr Ehemann aus New York, auf der anderen Seite ihre große Liebe aus Kindheitstagen: Er war aus Korea zu Besuch in der Stadt. Song fungierte gleichzeitig als Übersetzerin und Vermittlerin, was eine ganz eigenartige Empfindung in ihr auslöste. Mitten in dieser Bar fühlte sie sich, als befände sie sich in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig.
„Ich saß da zwischen diesen beiden Männern, von denen ich weiß, dass jeder von ihnen mich auf seine ganz eigene Weise liebt, in zwei verschiedenen Sprachen und zwei verschiedenen Kulturen. Und ich war
der einzige Grund, warum diese beiden Männer sich überhaupt miteinander unterhielten“, erinnert sich Song. „Es fühlte sich fast ein bisschen an wie Science-Fiction. Man kommt sich vor wie ein Medium, dass Kulturen und Zeit und Raum und Sprache transzendiert.“
An diesem Abend hatte Celine Song – als Dramatikerin („Endlings“) bereits eine feste Größe in der New Yorker Theaterszene– die Inspiration für den Stoff, der schließlich ihr Spielfilmdebüt werden sollte: PAST
LIVES – IN EINEM ANDEREN LEBEN. Passenderweise beginnt der Film damit, dass die Hauptfigur, Nora, zwischen ihrem Ehemann und ihrer ersten großen Liebe sitzt, ein Spiegelbild direkt aus Songs Erinnerung. Man liegt allerdings falsch, wenn man diese Dynamik als frühe Szene in einer melodramatischen Dreierbeziehung interpretieren würde. Vielmehr nahm Song dieses Szenario zum Ausgangspunkt für einen auf stille und eindringliche Weise bewegenden Film, der sich mit etwas emotional deutlich Komplexerem befasst: die Teile von uns, die wir verlieren, um der Mensch zu werden, der wir sind, und wie unser Leben von denen geformt wird, die uns lieben.
Der Film ist gleichzeitig zutiefst intim und episch ausufernd, aufgeteilt in drei Teile, die Länder und Jahrzehnte umspannen: der erste mit Nora (Moon Seung-ah) als junges Mädchen in Korea, die ein enges
Band mit ihrem besten Freund Hae Sung (Leem Seung-min) verbindet, bevor sie mit ihrer Familie nach Toronto auswandert. Dann folgen wir Nora in ihren frühen Zwanzigern (Greta Lee), wie sie auf digitalem
Wege wieder Kontakt mit Hae Sung (Teo Yoo) aufnimmt; und schließlich etwas mehr als ein Jahrzehnt später, als Hae Sung nach New York kommt, um Nora dort zu besuchen, wo sie als Dramatikerin arbeitet
und mit dem Autor Arthur (John Magaro) verheiratet ist. Der konzeptionelle Ansatz von Celine Song ist ungemein anspruchsvoll, aber zugleich ist es auch eine so persönliche Geschichte, dass der Autorin schnell klar wurde, dass nur sie selbst Regie würde führen können.
Mit ihrem Debüt beweist sie, dass sie instinktiv eine präzise Vision für jedes noch so schwierige emotionale Detail hatte. „Ich habe mit vielen Regisseuren gearbeitet, die schon viel mehr Filme gemacht haben, aber längst nicht ihre Selbstsicherheit besitzen“, meint John Magaro.
von Noras Beziehungen mit Hae Sung und Arthur und den denkwürdigen Moment, als sich alle Drei schließlich erstmals treffen: eine zutiefst ansprechende und warmherzige Meditation über den Weg eines
Lebens. „Es geht darum, ganz einfach gesagt, was es bedeutet, als Person zu existieren“, erklärt Celine Song. „Oder wie es ist, das Leben zu wählen, das man führt.“ Oder genauer: was diese Wahl für Nora bedeutet, und was passiert, wenn die andere Möglichkeit, sozusagen ihr Phantomleben, ihr auf einmal auf einem Computerbildschirm oder auf der anderen Seite eines Parks in New York City entgegenblickt.
„Es ist so ungerecht, diese vernichtende Tatsache, dass wir Menschen nur ein Leben haben“, sagt Greta Lee, die als Nora eine nuancierte und überaus packende Darstellung abliefert. „Wir haben nur dieses eine. Das ist unvorstellbar. Wie unglaublich wäre es für Nora, auch dieses andere Leben führen zu können? Aber die Wahrheit ist: Das kann sie nicht.“
Die simple, tiefschürfende Tragödie des Films ist auch seine treibende Kraft: Wenn man sich für ein Leben entscheidet, verliert man ein anderes. „Ich denke, dass man einen Teil von sich selbst zurücklässt an dem Ort, den man verlässt“, meint Celine Song, die wie Nora im Alter von zwölf Jahren von Korea nach Toronto gezogen war, um danach in ihren Zwanzigern noch einmal nach New York umzuziehen. Es ist eine eigentümlich unbeschreibliche menschliche Wahrheit, eine Wahrheit, die Celine Songs Film dank seiner Intimität, seiner Zurückhaltung, seiner zärtlichen und bewegenden Form mit einer schneidenden
emotionalen Scharfsinnigkeit einfängt. Selbst heute noch fällt es Song schwer, das Gefühl zu beschreiben, das ihr Film auf den Punkt bringt - oder auf gut deutsch: wie sich ein Leben anfühlt.
„Es ist, als wäre man ein Donut“, sagt sie. „Man wird bereits mit einem kleinen Loch in der Mitte geformt. Als sich mein Mann verliebte, verliebte er sich in den Donut. Und es ist nicht so, dass ich es als traurige Angelegenheit empfinde, ein Donut zu sein. Es macht mich einfach zu dem Menschen, der ich bin. Das ist meine Form. Und mein Partner, irgendein Partner, der jemanden liebt, muss diesen Menschen als diese Form lieben. Und dann muss man sich vorstellen, dass das Loch des Donuts sich zwölf Stunden in ein Flugzeug setzt, um einen zu besuchen.“
Foto:
So fing es mit den beiden als Schülerin und Schüler an
©Verleih
Info:
Stab
Regie Celine Song
Buch Celine Song
Kamera Shabier Kirchner
Darsteller
Greta Lee (Nora)
Teo Yoo (Hae Sung)
John Magaro (Arthur)
Abdruck aus dem Presseheft