past5Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 17. August 2023, Teil 8

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – Nachdem Greta Lee das Drehbuch von PAST LIVES – IN EINEM ANDEREN LEBEN erstmals gelesen hatte, reagierte sie sehr emotional. Sofort stellte sie sich Fragen: „Wer ist diese Person? Wie kann sie sich anmaßen, all das zu machen?“ Sie war davor nicht unbedingt mit der Arbeit von Celine Song vertraut gewesen, aber als sie das Buch las, fühlte sie sich ganz unmittelbar angesprochen. Das Drehbuch bot ihr auch die Gelegenheit, eine Hauptrolle zu spielen, die nuancenreich und sehr menschlich ist – und das in einer Form, wie ihr das noch nie zuvor in einem Film möglich gewesen war. Die Figur ist ganz anders als ihre bisherigen Rollen und sprach die Schauspielerin auf eine ungewohnte Weise an: „Ich hatte immer einen irrationalen Hunger auf Rollen, die sich toll anfühlen und voll ausgeformt sind und die nicht davon abhängen, wie andere sich asiatische Figuren vorstellen“, sagt sie. „Da bin ich nicht gut drin.“

Nora hingegen ist jemand, deren kulturell spezifische Erlebenswelt als koreanische Einwanderin, die sich alsAutorin einen Namen gemacht hat, absolut fundamental ist für PAST LIVES – IN EINEM ANDEREN LEBEN und einer beinahe schmerzlich menschlichen Geschichte eine ganz eigene Färbung gibt. „Das Gefühl, das sich beim Lesen einstellte, war wie ein Stromschlag: Dies ist heilig“, erinnert sich Greta Lee. „Dies ist frei davon, es irgendeinem Blick rechtmachen zu wollen, keinem weißen Blick, keinem männlichen Blick, keinem der Systeme, keine der Infrastrukturen, in denen wir uns sonst bewegen.“ Greta Lee erwies sich für Song als perfekte Mitstreiterin, weil sie ganz bestimmte technische Anforderungen mit der Rolle verknüpfte. „Offensichtlich musste die Rolle von einer koreanischen Amerikanerin gespielt
werden, die beide Sprachen beherrscht“, erklärt sie. Damit man als Zuschauer erahnen konnte, dass Nora Korea in sehr jungen Jahren verlassen hat, musste sie Koreanisch in ganz spezifischen Kadenzen und mit einem bestimmten Vokabular sprechen. „Wie Greta koreanisch spricht, ist absolut perfekt, weil sie die Sprache auf muttersprachlichem Niveau spricht. Damit wird auch reflektiert, wie sie immer noch in ihrer Kindheit verhaftet ist.“ (Lee arbeitete während der Vorproduktion auch mit Sharon Choi, der Übersetzerin von Bong Joon-ho, damit ihr Koreanisch genau den richtigen Klang hatte.) 

Bei langen Gesprächen mit Greta Lee fühlte sich Celine Song auch auf andere Weise bestätigt. „Man muss vor allem eine Seelenverwandtschaft haben“, findet sie. „Und dann muss man natürlich auch glauben, dass einem eine großartige Schauspielerin gegenübersitzt. Die Arbeit, die Greta außerhalb dieses Projekts bereits geleistet hatte, sagt viel darüber aus, wie gut sie als Schauspielerin ist, aber auch wie sehr sie bereit ist, mit jeder ihrer Darstellungen völlig zu verschmelzen.“ Lee sah sich für die Herausforderung gewappnet, auch wenn das hieß, dass sie anspruchsvolle Arbeit zu meistern hatte, weil sie gemeinsam mit Yoo und Magaro eine ganz eigene Dynamik entstehen lassen musste, die Jahre, Länder und verschiedene Formen von Kommunikation umspannen. „Ich musste realistisch eine Ehe mit einem Fremden porträtieren und dazu noch ein Erste-Liebe-Szenario mit einem anderen kompletten Fremden in einem anderen Land, das sich über Jahrzehnte erstreckt“, merkt Greta Lee an.

Sehr früh schon jonglierte sie mit Videocalls mit Yoo, der sich in Korea aufhielt, und Proben mit Magaro in New York. „Ich meine, das machte mich völlig kirre, was ziemlich gut passt für Nora“, deren eigene
Verbindung zu diesen beiden Männern sich letztlich ebenfalls weitgehend durch diese beiden Formen der Kommunikation abspielt. Sich in diesen beiden Welten zu bewegen, wurde zunehmend surreal: Nachdem Yoo in New York angekommen war, gingen er und Magaro sich gezielt aus dem Weg bis zu dem Moment, an dem sich ihre Figuren vor der Kamera zum ersten Mal begegnen. Damit empfanden sie die Dynamik zweier Männer nach, die einander völlig fremd sind, aber doch durch ihre Liebe zu derselben Frau miteinander verbunden sind.

„Ich fühlte mich wie ein völlig ein anderer Mensch, wenn ich mit John zusammen war – das fiel wirklich jedem auf“, merkt Greta Lee an. „Bis zu der Szene, an der sich Hae Sung und Arthur erstmals sehen, war es mir wichtig, dass sich die Schauspieler nicht begegnen“, erinnert sich Celine Song. „Ich ziehe den Hut vor meiner Crew, die sicherstellte, dass sie sich nicht zufällig über den Weg liefen. Das war logistisch gesehen nicht immer ganz einfach, aber mir war das wichtig.“ „Wir gingen uns beim Make-up gezielt aus dem Weg“, bestätigt John Magaro. „Wir trafen uns einfach nicht. Wir unterhielten uns nicht. Wenn ich durch das Drehbuch ging, ließ ich die Szenen zwischen Nora und Hae Sung bewusst aus.“

Magaro hatte die Aufgabe, für seine Figur einen tonalen Drahtseilakt hinzulegen. „Es ist eine trügerisch schwierige Rolle, und er arbeitete unglaublich hart daran, etwas zu erschaffen, dass sehr spezifisch und
subtil war“, erzählt Celine Song. Der Darsteller musste als Autor überzeugend sein, was nicht jedem Schauspieler gelegen ist. Und man musste ihn sofort mögen, was wichtig ist, weil sich Arthur ja ziemlich
komplizierten Emotionen stellen muss, die von Hae Sungs bevorstehendem Besuch in ihm ausgelöst werden.“

„Er hat eine Seelentiefe, er strahlt Intelligenz aus. Man nimmt es ihm sofort ab, wenn er Dinge sagt wie: ,Ist dies das Leben, das du dir für dich vorgestellt hast, als du aus Seoul weggegangen bist?‘“, sagt Celine Song über John Magaro und verweist dabei auf eine Frage, die Arthur Nora spontan mitten in der Nacht stellt. Sie fügt hinzu: „Arthur ist ganz wichtiger Bestandteil der Geschichte, besonders weil er die Balance zwischen Nora und Hae Sung zerstören könnte, wenn er nicht der Richtige für sie wäre.“ In der Barszene, wenn Hae Sung und Nora anfangen, auf Koreanisch miteinander zu reden, war etwas wichtig, sagt Song: „Wenn wir auf Arthur schneiden, muss es lustig sein. Es muss einem aber auch das Herz zerreißen, und es darf nicht albern oder doof rüberkommen.“

Die absolut perfekte emotionale Balance zu treffen, bedeutete für Magaro, nur mit Mimik auf das zu reagieren, was sich vor seinen Augen abspielt. „Wir haben nichts gemacht, einfach nur eingefangen, wie er
da einsam und isoliert sitzt“, sagt Celine Song. Magaro machte bereitwillig mit. Er gab ihr „wahrhaftig jede Farbe der Palette“. Beim Dreh gab es nur zwei Divas – und keine von ihnen war eine Schauspieler:in. „Eine war unsere 35mm-Filmkamera, die andere war New York City.“ Der Dreh führte die Produktion an einige der belebtesten Touristenecken der Stadt; in einer entscheidenden Szene bewegt sich die Kamera auf einer 50 Meter langen Schiene auf einer belebten Straße im East Village an einem Freitagabend. „Eine schreckliche Idee“, lacht sie. „So viele betrunkene Leute auf der Straße!“ Die eigenartige Mischung aus Angst und Eifersucht, die Arthur verspürt und zu überwinden versucht, wurde auf spielerische Weise auch hinter der Kamera evoziert, als sich John Magaro und Teo Yoo aus dem Weg gingen. „Wir probten unsere Szenen getrennt voneinander, und nach jeder Probe sagte ich Greta, sie solle dem Schauspieler, mit dem sie gerade gespielt hatte, von ihrer Arbeit mit dem anderen Schauspieler erzählen, was zugegebener Maßen etwas schräg ist“, gesteht Celine Song.

„Wir verspürten eine ganz eigenartige Form von Wettbewerb, weil wir immer nur voneinander hörten“, erinnert sich Magaro mit einem Lächeln auf den Lippen. „Greta ging los und drehte drei Tage mit ihm und
kam dann zurück und drehte mit mir. Und ich fragte sie immer: Na, wie war’s? Und sie sagte dann, Teo habe alle zum Lachen gebracht und jeder fände ihn toll. Und ich war nur: Ugh!“ Teo Yoo kam nach einigem Hin und Her in Korea an Bord, wo Celine Song sich mit einer völlig anderen Kultur des Filmemachens konfrontiert sah. Song musste ein geschicktes Bindeglied sein, musste nicht nur mit sprachlichen Unterschieden umgehen, sondern auch mit einer anderen Arbeitsweise ganzer Abteilungen sowie einer anderen Herangehensweise ans eigentliche Geschichtenerzählen. „Meine koreanische Crew war zwar der englischen Sprache mächtig, aber sie verstand die Arbeitsweise nicht so ganz, die wir an den ersten Drehtagen in New York mit einer amerikanischen Crew etabliert hatten“, berichtet Celine Song.

„Wir arbeiten nicht mit Storyboards. In Korea arbeitet man in Kino und Fernsehen mit sehr genauen Storyboards.“ Auf der Suche nach einem koreanischen Schauspieler, der Hae Sung spielen könnte, sah sie sich mit einer Kultur des Castings konfrontiert, in der sich etablierte Schauspieler eigentlich nicht an Vorsprechterminen beteiligen. „Es war ein ziemlicher Kampf, die koreanischen Manager davon zu überzeugen, dass wir auch gerne Schauspieler vom Kaliber Teos zum Vorsprechen einladen würden. In Korea ist das eigentlich ausschließlich unbekannten oder aufstrebenden Darstellern vorbehalten. Alles andere betrachtet man als Beleidigung“, erinnert sich Song.

Schließlich setzte sich die Filmemacherin aber doch noch durch und lud eine Reihe von Schauspielern ein. Teo gehörte dazu und stach nach einem dreieinhalbstündigen Casting klar heraus. „Wir haben lange
gearbeitet“, gibt Song zu Protokoll. „Ich wollte sehen, was er auf dem Kasten hat. Wir unterhielten uns also ungezwungen über den Film, gingen das Drehbuch durch, sprachen darüber, lasen wieder ein bisschen. Es war eine ziemlich intensive Angelegenheit, Teo zu finden, aber er war einfach perfekt für die Rolle.“ Teo Yoo war in der Lage, die subtilen Unterschiede zwischen einer jüngeren Version von Hae Sung und dem zwölf Jahre älteren Hae Sung herauszuarbeiten, der schließlich aufbricht und nach New York fliegt, um Nora endlich wiederzusehen.

„Es ist keine große Sache, seine Frisur ist einfach nur ein bisschen anders“, sagt Celine Song über die kosmetischen Veränderungen, die den Schauspieler bei seiner Arbeit unterstützen sollten. Alles weitere
waren nur ein paar kleine Details, um den Altersunterschied glaubwürdig herauszuarbeiten. Die Stimme ist ein bisschen heller beim jüngeren Hae Sung, er ist etwas unsicherer und energiegeladener, „lächelt
schneller und wird schneller ungehalten“, merkt Song an. Binnen Minuten konnte Yoo auch die andere Version derselben Person spielen, den älteren Hae Sung.

Foto:
©Verleih


Info:
Stab

Regie Celine Song
Buch Celine Song
Kamera Shabier Kirchner
Darsteller
Greta Lee (Nora)
Teo Yoo (Hae Sung)
John Magaro (Arthur)

Abruck aus dem Presseheft