Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 17. August 2023, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Sie DRACULA, den 1897 erschienenen Roman von Bram Stoker nicht gelesen haben, dann sehen Sie einen tollen Film, der absolut spannend die einen Monat dauernde Fahrt der Demeter nach England zu einem Horrorspektakel macht und total glaubwürdig und auch in der Zeit stimmig Menschen auf einem Schiff unter den dramatischsten Umständen ums Leben kommen läßt, sensationelle Aufnahmen des Schiffes, das Sturm und Regen trotzt, was sich im bequemen Kinosessel sehr gut anschauen läßt.
Wenn Sie allerdings DRACULA, den 1897 erschienenen Roman von Bram Stoker gelesen haben, dann bekommen Sie während der 119 Minuten Film immer stärker Bauchweh, Zahnschmerzen und Kopfweh, alles auf einmal, denn dieser Film hat mit der Figur des originalen DRACULA nichts mehr zu tun. Er zeigt den vampirhaften Graf aus Siebenbürgen, der ja doch eigentlich eine tragische Figur ist, nur noch als Abziehbild eines durch Biß mordenden Wesens, das nichts Menschliches mehr hat, sondern nach dem Prinzip Reiz: MENSCH MIT BLUT die Reaktion TÖTEN UND BLUT SCHLÜRFEN folgen läßt, ein häßlicher, widerlicher Automat in Fledermausgestalt mit menschlichem Kopf. Kein Mensch kann sich aufgrund dieser Kreatur vorstellen, daß dies eigentlich ein Adliger ist, der mit dem Vampirfluch belegt, sich auf vielfältige Weise durch Verführungskunst, durch Umschmeicheln, durch die Mischung aus Intellekt und Gefühl erst einmal freiwillige junge Mädchen an sich bindet, die ihn erlösen wollen. Ja, richtig, andere, auch andere Filme machten aus ihm den Narzisten, das Biest (auch die Schöne paßt in dieses Raster) das Raubtier, ja sogar ein Serienmörder gibt er ab. Mit einem Wort, die literarische und tatsächlich in den siebenbürgischen Sagen jahrhundertelang überlebende Figur des DRACULA hat nichts, überhaupt nichts mit diesem Abklatsch eines Monsters zu tun hat. Solch eine, schon äußerlich furchtbare Gestalt hätte doch nie über Jahrhunderte das Volk als Mythos weitergetragen.
Doch es gibt einen weiteren inhaltlichen Einwand. Ein Vampir ist immer unter Zeitdruck. Denn mit dem ersten Sonnenstrahl muß er das Tageslicht scheuen und zurück in seinen Sarg. Sein Leben ist also zweigeteilt, die Dunkelheit sein Metier, das Licht sein Untergang. Das nimmt dieser Film nicht ernst, denn hier ist es immer duster. Das Zweite ist das Kruzifix. Doch, doch, es kommt im Film vor, doch in seiner Totalität, daß der Vampir niederfällt und zum weiteren Handeln unfähig ist, eben nicht. Das sind einfach handwerkliche Fehler, die nicht sein müßten und nicht sein dürfen.
Zu allem anderen kann man nur sagen: hervorragend gefilmt und ganz im Sinn des siebten Kapitels des Romans. Der erst kürzlich erschienene vorletzte Dracula-Film, der tatsächlich den Roman, der als Basis ja den Bericht, Stenogramm genannt, des Tagebuchs von Jonathan Harker hat, endet mit dem Ankommen an der Küste. Insofern wäre dieser Film jetzt die sachlogische Fortsetzung. Doch während der letzte Film liebevoll und mit angemessenem Grauen Stoker filmisch nacherzählt, werden in der DEMETER die Tage der Fahrt vom 6. Juli bis zum 4. August im siebten Kapitel ausgeschmückt und als Schiffskatastrophe eindrucksvoll auf die Leinwand gebracht. Belege finden sich im Buch im besagten siebten Kapital gleich mehrfach. Da gibt es das Logbuch, aber es beginnt mit einem Ausschnitt aus dem Dailytelegraph vom 8. August, wo in Folge auch die Besatzung aufgezeigt wird: sie „bestand auf fünf Mann, zwei Maaten, einem Koch und mir selber (Kapitän).“. Minna Murays Tagebuch hält dann den 8. August und die Beerdigungen fest.
Das filmische Personal ist hier ausgeweitet, doch jeder, der hinzugekommen ist, hat eine Funktion und wenn es nur die ist, eine weitere Leiche abzugeben. Denn gestorben wird kräftig. Dank diesem Monster, das sich aus einer Kiste befreit und in Verbindung mit dem Unwetter einen nach dem anderen umbringt.
Doch doch, die im Text festgehaltene dramatische Schifffahrt wird mit aller Drastik wiedergegeben: „Dann, ohne besondere Anzeichen, brach der Sturm los. Mit einer schier unglaublichen Schnelligkeit, die auch hinterher unmöglich zu begreifen war, hatte sich das Aussehen der Natur schlagartig verändert. Die Wogen erhoben sich in wachsender Wut, jede über ihre Vorgängerin hinwegstürzend, so daß in wenigen Minuten die bisher spiegelgaltte See in ein tosendes, Allverschlingendes Ungeheuer verwandelt war…“, so in Worten malerisch geht es weiter , daß man schon beim Lesen Lust bekommt, die Worte in Bilder auf der Leinwand zu sehen. Und den dramatischen Worten entsprechen die phantastischen Bilder, auch als in rasender Eile von Woge zu Woge, der fremde Schoner mit vollen Segeln vor dem Wind in den sicheren Hafen. Der Scheinwerfer folgte mit seinem Licht, und ein Schauer durchrieselte alle; am Steuer war ein Leichnam angebunden, der, mit gesenktem Haupt,, bei jeder Bewegung des Schiffes hin -und hergeschwenkt wurde. Keine andere Gestalt war an Deck sichtbar. Ein grausiges Entsetzen kam über alle, als man sich klar wurde, daß das Schiff, wie durch ein Wunder, nur gesteuert von der Hand eines toten Mannes, den Hafen erreicht hatte.“
Man kann nur wiederholen, ein toll gemachter Weltuntergangsfilm, der das siebte Kapitel des Romans verfilmt, mit einem Monster, das sich in Menschen verbeißt und sie tötet; nur mit DRACULA hat das nichts zu tun.
Fotos:
©Verleih
Info:
Stab
Regie André Øvredal
Drehbuch Bragi F. Schut
Besetzung
David Dastmalchian: Wojchek
Liam Cunningham: Captain Elliot
Aisling Franciosi: Anna
Javier Botet: Dracula
Corey Hawkins: Clemens
Jon Jon Briones: der Koch Joseph
Stefan Kapicic: Olgaren
Nicolo Pasetti: Deputy Hirsch
Chris Walley: Abrams
Nikolai Nikolaeff: Petrofsky
Woody Norman: Toby
Graham Turner: Constable