falSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 14. September 2023, Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser Film ist ein Phänomen. Obwohl wir im Alltag weder Ansa (Alma Pöysti), noch Holappa (Jussi Vatanen) weiter wahrnehmen täten, hoffen wir 80 Minuten lang, daß es diese beiden sehr einsamen Menschen zueinanderzutreibt, daß sie sich trotz fehlender Informationen wiedersehen, daß sie im Privaten ein Glück finden, das ihnen im großen Leben erst einmal nicht gegeben ist.

Ist das nicht Kitsch, das Private ist doch politisch und wenn die Supermarktangestellte, die noch dazu ihren Job verloren hat, und der Bauarbeiter, der heimlich bei der Arbeit trinkt und dann auch wegen Alkoholsucht entlassen wird, die typischen kleinen Leute als Lebensverlierer unserer aufgedonnerten hochkapitalitischen Welt zeigt, wäre da der private Rückzug nicht das Falsche? Alles dummes Zeug! Jeder von uns hat nur ein Leben und da darf jeder nach dem Glück streben, erst recht diese beiden Menschen, die eines Nachts sich zufällig in einer Karaoke-Bar sehen, denn von Begegnen kann noch keine Rede sein.

Zuvor haben wir sie schon kennengelernt: Ansa, die im Supermarkt fleißig vor sich hinarbeitet – ja, sofort fällt einem ein anderer, sehr schöner Film ein: IN DEN GÄNGEN von Thomas Stuber nach einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer, der auch die Lebenswelt des Supermarkts einfängt – und dann etwas macht, was so natürlich wäre, wenn die Welt eben nicht kapitalistisch organisiert wäre. Sie nimmt ein abgelaufenes Joghurt, was sie in den Container werfen sollte, an sich und mit, wird entdeckt und entlassen! Harte Zeiten. Nicht nur für sie, denn im Radio hört sie jeden Morgen vom Ukrainekrieg. Fast stoisch nimmt sie ihr Schicksal, steht morgens auf und besorgt ihre kleine Welt, die aus der kleinen, sorgsam aufgeräumten Wohnung mit wenig Dingen besteht.

Holappa hatten wir mit seinen kurzen Schlucken zwischendurch schon besser kennengelernt. Er ist sehr fantasievoll, wie er zwischen die Bauarbeiten sich immer eine kurze Auszeit gönnt und schluckt und schluckt. Eigentlich weiß er selber, daß das kein gutes Ende nehmen wird. Aber, so denken wir für ihn, er hat sonst nichts, er ist außerhalb der Kumpelschaft mit den anderen Arbeitern einfach alleine, ist einsam.
Und dann nimmt ihn ein Kollege einfach mit in die Karaoke-Bar, wo der Hochaufgeschossene eine gute Figur macht. Nein, singen wird er nicht, aber gut zuhören. Diese Szenen von auf der Bühne singenden Menschen sind wie ein eigener Film, sie sind köstlich, weil wir so unterschiedliche Musiken erleben, wie es unterschiedliche Menschen gibt. Der Schubert-Enthusiast, nein, den hätte man dort nicht erwartet, die Rock’n Roller schon eher. Auf jeden Fall registrieren wir die Blicke, die Ansa, die ebenfalls mit einer Kollegin hier ist, auf Holappa wirft und die des Holappa auf Ansa durchaus. Nur ist das zu wenig, das Blickewerfen, denn anschließend gehen beide nach Hause.

Jetzt warten wir also, ob und wann und wie sich die beiden wiedertreffen, denn daß es gefunkt hat zwischen beiden, ist im Niedrigschwellenbereich offensichtlich. Und schon kommt sie, besser er: der deus ex machina! Sie treffen sich ganz zufällig auf der Straße, bleiben stehen, kommen ins Gespräch. Holappa, der arbeitslos in einer Männerunterkunft wohnt, gibt ihr seine Adresse, seine Telefonnummer, die sie einsteckt – und tatsächlich passiert das, was eben wirklich dauernd passiert. Bei der nächsten Gelegenheit, wo sie etwas aus der Manteltasche holt, fliegt unbemerkt auch der kleine Zettel heraus, verschwindet unbemerkt auf der Straße. Sie kann sich nicht bei ihm melden, was sie wollte, er wird dies als Absage werten.

Längst sind wir schon Komplizen einer potentiellen Liebesgeschichte, die sehr schüchtern daher kommt, weshalb sie ja unsere Unterstützung als Zuschauer braucht! Toll, wie Aki Kaurismäki uns erneut auf Menschen treffen läßt, die wir wia im täglichen Leben kaum sehen, kennen oder uns für sie interessieren: die sogenannten kleinen Leute und unter ihnen die, die einst Proletarier genannt wurden. Deshalb wird FALLENDE BLÄTTER auch als vierter Teil der Arbeitertrilogie von Kaurismäki bezeichnet, die von 1988-1990 SCHATTEN IM PARADIES, ARIEL und DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK brachte.

Das Überraschende ist dann, wie der Filmemacher und Autor Retro und Heute verbindet, denn irgendwie kommen wir uns beim Zuschauen immer wie in einer vergangenen Welt vor, das ist das Helsinki von gestern, beziehungsweise eine zeitlose Stadt. Und gleichzeitig sind wir völlig im Heute, sei es im Supermarkt, auf den Baustellen oder in der Wohnung bei Ansa. Dort nämlich können wir die beiden Helden, die sich trotz verlorener Zettel und weiterer Anschläge darauf, daß sie sich nie wiedersehen, dann doch zum kleinen Abendessen treffen, liebevoll von Ansa zubereitet mit den Blumen auf dem Tisch, die Holappa mitgebracht hat, alleine lassen. Sie werden das schon schaffen!, ist unsere Erwartung, wenn der Vorhang fällt.
hund
PS. Einen süßen kleinen Hund gibt's auf einmal auch. Die ganz besondere Musik haben wir auch unterschlagen, die finden Sie im Artikel zuvor!




Foto:

©Verleih

Info:
Darsteller
Ansa.        Alma Pöysti 
Holappa.  Jussi Vatanen
Huotari.   Janne Hyytiäinen 
Liisa.        Nuppu Koivu 
Hund.      Alma

Stab

Regie.        Aki Kaurismäki
Drehbuch  Aki Kaurismäki