Hans Beller und Udo Bayer zu Carl Laemmle im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Carl Laemmle steht aber auch für die politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Als amerikanischer Einwanderer stand er unter Generalverdacht, dem alten Herrn, dem Kriegstreiber Deutschland, untertan zu sein, als deutsch-jüdischer Auswanderer wiederum konnten ihm die Deutschen seine „Agitationsfilme“ nicht verzeihen, mit denen er im Ersten Weltkrieg Partei ergriff.

 

Beispielsweise „The moving Picture Weekly“ wie THE KAISER: THE BEAST OF BERLIN, laut Filmplakat ein Typ mit Schnauzer und Pickelhaube, am 6. April 1918 „in the biggest theatres in the land“ für ganz 10 Cents Eintritt aufgeführt.

 

Daß aber heute die Filme von Carl Laemmle über den Ersten Weltkrieg gerade hinsichtlich des Bildes vom deutschen Soldaten ganz anders wahrgenommen werden und ihm eine außerordentlich sensible Darstellung attestiert wird, war überraschend wie auch, daß selbst Kriegs- und Deutschengegner beim Sterben von deutschen Soldaten auf der Leinwand geweint hätten. Wir sind übrigens immer noch bei den Einleitungen, die vor dem Film die Person Carl Laemmles dem Publikum nahebringen. Dazu gehört sein Einsatz für seinen Geburtsort Laupheim, wo er die Armen unterstützte und wohin er schon kurz nach der Auswanderung nach Amerika als Tourist zurückkam. Mehrmals sogar. Er hielt den Kontakt zur alten Heimat, hatte ja auch seiner Mutter versprochen, erst nach ihrem Tod auszuwandern, was er eingehalten hatte.

 

Im Großlaupheimer Schloß, wo ein Museum eingerichtet ist, gibt es die eigenständige Abteilung im Erdgeschoß, die Carl Laemmle gewidmet ist und sowohl die Filmgeschichte Hollywoods wie auch die Emigrationsgeschichte zum Thema hat. Schaut man sich die Bilder von Carl Laemmle an, so findet man einen freundliche lächelnden, zunehmend gewichtigeren, aber immer sehr kleinen feinen Herrn, bevorzugt mit Hut. Auch in Amerika hatten es Kleingewachsene doch eigentlich schwerer, fragt man sich. Bei den Bildern und dem stets freundlichen Lächeln kam uns jedoch die Antwort eines Klassenkameraden in den Sinn, der angesichts seiner bedeutenden Position in einer internationalen Weltbank befragt wurde, wie er dies aus dem kleinen Frankfurt geschafft habe, äußerte: „Schaut mich doch an. So klein und ein runder Buch. Vor mir hat niemand Angst. Das erleichtert die Karriere.“

 

Der Film selbst, den wollen wir nicht erzählen, sondern raten, ihn bei nächster Gelegenheit anzuschauen, denn er versetzt uns in eine andere Zeit und macht gleichzeitig die unsere als die von Nachgeborenen deutlich. Wir wandern mit dem 17jährigen in die USA aus. Sofort fällt uns der Sprecher auf. Es ist Hermann Treusch, den Frankfurt in guter Erinnerung hat, denn er war von 1975 bis 1979 als künstlerischer Leiter am TAT tätig. Man fragt sich sofort, warum man derzeit von diesem als Schauspieler, Intendant und Regisseur gleichermaßen versierten Künstler gar nichts hört. Aber im Film sind wir nun mit Carl Laemmle erst einmal selig. Denn 1905 – seinen Bruder hat er längst gefunden - ist er schon in Chicago und weiß, daß die Filmindustrie seine Zukunft ist. Aber diese Kapitalisten. Sie bilden ein Monopol und er setzt dagegen.

 

Nie hatten wir uns Gedanken gemacht, daß die ersten Filme alle im Freien gedreht wurden. So wie HIAWATHA. Denn Studios gab es noch nicht. Carl Laemmle dreht 100 Filme in vier Monaten. Die Leute wollen dauernd etwas Neues sehen. Aber Schluß damit, denn die anschließende Diskussion wurde richtig interessant und war nur möglich, weil man im Film so viele Erfahrungen mit Carl Laemmle hatte machen können.

 

Tatsächlich wirkt der Film von Hans Beller zeitlos. Seine über 30 Jahre merkt man ihm nicht an, sagen die Zuhörer. Das sieht der Fachmann Hans Beller allerdings anders. Denn der analog hergestellte Film könnte bei Digitalisierung eine neue, nämlich die akustische Dimension hinzugewinnen. Das Publikum erhält eine interessante Information, wie einer wie Hans Beller heute mit dem vorgefundenen Material umginge. Er würde die Hintergrundgeräusche hinzugeben, also die Bilder von damals mit der Akustik der wirklichen Welt anreichern. Ein interessanter Aspekt, um den man sich normalerweise keine Gedanken macht.

 

Die Diskussion, zuerst zwischen Urs Spörri und den beiden Gästen, dann zwischen allen, waren detailreich und führte wie der Weg des Laemmle von Laupheim und seinen Besonderheiten – Ehrung für Laemmle, Verdammung in der Nachkriegszeit (Erster Weltkrieg), Vergessen und Verrat in der Nazi-Zeit, Schweigen nach dem Zweiten Weltkrieg, allmähliches Wiederaufleben seiner Bedeutung, auch in Verbindung mit den Verbrechen an den Laupheimer Juden – in die Vereinigten Staaten. Jetzt geht es um seine Bedeutung für die Filmkultur generell, für die amerikanische und deutsche Filmindustrie und das Einbringen des deutschen Expressionismus in Form der Horrorfilme DRACULA (1931), FRANKENSTEIN (1931), DAS PHANTOM DER OPER (1925) in die Filmgeschichte. Letztlich sei nur mit diesem Kapitel der deutsche Film international eigenständig vertreten. Mit IM WESTEN NICHTS NEUES (1931) wurde dann auch ein neues Kapitel, der Tonfilm, aufgeschlagen, ein Film, der aber aus inhaltlichen Gründen von den Deutschen als antideutsch angegriffen wurde. Dabei weiß jeder, der den Roman von Erich Maria Remarque kennt, daß dieses ein Antikriegsbuch ist, ein pazifistischer Roman, kein antideutscher.

 

Angesichts der interessanten Ausführungen über Erich von Stroheim und seine Rolle im Filmschaffen von Laemmle und darüberhinaus, hätte man sich gleich ein anschließendes Seminar gewünscht. Der Österreicher Stroheim war als Schauspieler der idealtypische Vertreter des skrupellosen Schurken, darum besonders gerne als deutsches Militär eingesetzt, als Regisseur ein eigenwilliger Gestalter, der aneckte, allerdings bei UNIVERSAL erst einmal groß einsteigen konnte.

 

Inwieweit die Darstellung des bösen militaristischen Deutschen in Kriegsfilmen sich änderte, und was also Feindbilder im je geschichtlicher Kontext sind, war ein weiterer Diskussionspunkt, bei dem man gleich gerne in den Film von Hans Beller aus dem Jahr 1995 hineingeschaut hätte: Der Deutsche als Hunne – Hollywoods Feinbild im Ersten Weltkrieg. Aber auch die Entwicklung der amerikanischen UNIVERSAL Studios und des deutschen Ablegers wurden diskutiert, denn der Name war durchaus Begriff: universell wollte man wie ein Dach den Globus umspannen, also international wirken.

 

Abschließend blieb dann interessant, warum gerade im Filmgeschäft besonders viele Exilanten, besonders viele jüdische Einwanderer Heimat und das hieß auch Brot fanden. Zum einen hatte der Film noch keine festgefügten Geschäftsstrukturen noch geregelte Ausbildungsgänge. Er ließ eher Einsteiger zu als andere Geschäftsfelder. Für die Emotionen seien Juden eher zuständig gewesen, da sie einfach durch gesellschaftliche Erfahrungen aufnahmefähiger für zwischenmenschliche Situationen seien. Aber auch der jüdische Witz wurde betont wie auch ihr Gespür für die Unterschicht, d.h. das große Heer von integrationswilligen Einwanderern, die in den Filmen von den Problemen des Alltags sich genauso wiederfanden wie in erfolgreichen Aufstiegsgeschichten.

 

Für die Entstehung, Verbreitung und Erfolg des Comics, wofür jüdische Einwanderer stehen, ist in den USA nachgewiesen, daß die Kombination von aus der alten Welt kommenden, einfach gebildeteren Einwanderern, die gleichzeitig die Landessprache Englisch noch nicht sprachen, der Comic eine greifbare Alternative war, ihre Erfahrungen nonverbal in Szene zu setzen. Inwieweit dies auch auf die Filmbranche zu übertragen wäre, scheint eine interessante und durchaus sinnvolle Überlegung. Aber wir sagten ja schon, daß dieser Abend einem wie der Auftakt von mehr vorkam.

 

Info:

Udo Bayer, Carl Laemmle und die Universal. Eine transatlantische Biografie im Verlag Königshausen & Neumann