Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 15. Mai, Teil 1

 

Hanswerner Kruse 

 

Berlin (Weltexpresso) – „Stereo“ - der deutsche Thriller zeigt einen Menschen ohne Erinnerung an sein altes Leben, dessen Träume von einem Neubeginn zerfließen. Der Film hatte seine Premiere im Rahmenprogramm der letzten Berlinale, auf der Pressekonferenz lobte Moritz Bleibtreu, „Stereo“ gehe über Grenzen und traue sich, Kino zu sein.

 

 

STEREO

 

Irgendwo in der deutschen Provinz betreibt der finstere Erik (Jürgen Vogel) eine Motorradwerkstatt und hat eine Liebesaffäre mit der schönen Julia (Petra Schmidt-Schaller), um deren kleine Tochter er sich liebevoll kümmert. Offenbar will er ein neues Leben beginnen, Julias misstrauischer Vater, ein Polizist, bohrt vergeblich in Eriks rätselhafter Vergangenheit.

 

Gelegentlich zieht sich der kraftstrotzende Erik in sein Schweigeloch, die Werkstatt, zurück und scheint in Depressionen zu versinken. Eines Tages taucht eine seltsame Gestalt auf, die sich Henry (Moritz Bleibtreu) nennt. Unermüdlich verfolgt er Erik, kommentiert dessen Tun und versucht in sein Leben einzugreifen: „Lass die Schlampe, Dein Leben hier ist Lüge. Ich will Dir doch helfen!“

 

Erik kennt diesen Unbekannten von irgendwoher, kann sich aber nicht an ihn erinnern. Warum ist Henry nur für ihn sichtbar, hat er Wahnvorstellungen? Einem Psychiater schildert er seine Paranoia als die Symptome eines Freundes: „Gibt es so eine Krankheit?“, fragt er. „Was soll es denn sonst sein, wenn es keine Krankheit ist?“, knurrt der Arzt und will ihn in eine Klinik einweisen. Immer stärker vermischen sich Realität und albtraumartige Erlebnisse für Erik - und für die Zuschauer, die, genauso wie er selbst, nichts von früher wissen. Julia, der Erik seine heftiger werdenden Albträume gesteht, fleht ihn vergeblich an, „Vertrau mir, ich bin doch für Dich da“.

 

Ein weiterer Fremder bedrängt Erik: „Du kannst Dich nicht verstecken, Du musst mir helfen, Keitel fertig zu machen.“ Als er sich, trotz Henrys Warnungen, mit zweifelhaften Gestalten aus seinem vergessenen Vorleben trifft, eskaliert die Geschichte: Die bis dahin unterschwellige Gewalt des Films entlädt sich in einer ausgiebigen Blutorgie.

 

Bei diesem Menschen, der mit seinen Abgründen kämpft“, hat der Regisseur Maximilian Erlenwein sofort an Vogel gedacht. Der spielt den Erik großartig dämonisch, zugleich zerrissen und verzweifelt wie den Vergewaltiger in „Der freie Wille“ (2006). Bleibtreu ist sein lüsterner, distanzloser Gegenspieler. Im Gegensatz zur Werbemogelei des Verleihs, „die beiden standen erstmalig gemeinsam vor der Kamera“, spielte Vogel im letzten Jahr den Vater von Bleibtreu in Oskar Roehlers „Quellen des Lebens“. Der Österreicher Georg Friedrich gibt glaubwürdig den sadistischen Gangsterboss Keitel mit Wiener Schmäh.

 

Von Anfang an lauert eine düstere Spannung hinter der ländlichen Idylle des Films: Kamera, Licht, Schnitt und Musik lassen immer wieder eine böse, andere Welt erahnen. Doch erst spät zerren Rückblenden Eriks Vorleben ans Licht. Die Grundidee des Films ist fantastisch umgesetzt: Erlenwein wollte den riesigen, nur für James Steward sichtbaren Hasen aus dem Film „Mein Freund Harvey“ (1950) als gruselige Figur inszenieren.

Doch warum dann alles derartig blutig mit durchschnittenen Kehlen und zermatschten Köpfen als ekliger Splatterfilm enden muss, ist nicht nachvollziehbar. Was bei Quentin Tarantino („Django Unchained“) an Gewalt noch augenzwinkernd rüberkommt und dem Zuschauer Abgrenzung ermöglicht, ist in „Stereo“ total überwältigend. Wie Erik bei dem Versuch scheitert, ein neues Leben zu beginnen, scheitert Erlenwein letztlich mit diesem Film, der aber über lange Zeit außergewöhnlich interessant ist.

 

Stereo“ D 2013, ca.94 min. FSK ab 16 Jahre,
Regie Maximilian Erlenwein, mit Jürgen Vogel, Petra Schmidt-Schaller, Moritz Bleibtreu u. a.

FOTO © Wild Bunch Germany