TV-Tipp für Mittwoch, 11. Oktober 2023 im Rahmen von DOX – Der Dokumentarfilm im BR
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Regisseur und Drehbuchautor Jan Haft, der zu den profiliertesten Naturfilmern zählt, setzt sich in dem Dokumentarfilm ″Die Wiese – Ein Paradies nebenan″ (2020) für die Artenvielfalt dieses Biotops ein, denn ein Drittel der heimischen Tier- und Pflanzenarten lebt dort.
Das Zusammenspiel der Arten, die Abhängigkeit der Tiere und Pflanzen voneinander, macht die Blumenwiese zu einem eigenständigen Kosmos, in dem es viel zu entdecken gibt. Jan Haft stellt in dieser Dokumentation einige der Bewohner einer solchen Blumenwiese im Laufe eines Jahres vor.
Nirgendwo ist es so bunt, so vielfältig und so schön wie auf einer blühenden Sommerwiese. Nirgendwo leben mehr Tierarten auf engstem Raum zusammen und nirgendwo ist das Konzert tierischer Interpreten vielfältiger. Hunderte Arten von Vögeln, Heuschrecken, Zikaden, Grillen und anderen Tieren lassen jeweils ihre eigene, unverkennbare Melodie hören.
Hunderte weitere Arten kann man zwar nicht hören, aber man kann sie sehen, denn sie zeigen sich mit prächtigen Farben und erstaunlichen Formen. Manche Wiesenbewohner führen sogar komplizierte Tänze auf, um die Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. All das spielt sich zwischen mannigfaltigen Gräsern und farbenprächtig blühenden Kräutern ab, die ihrerseits mit Tricks und Kniffen, die sie im Laufe der Evolution entwickelt und verfeinert haben, ihre Vermehrung sichern.
Auch wenn die Blumenwiese eine Welt ist, in der ein Drittel der einheimischen Pflanzen- und Tierarten beheimatet sind, ist leider auch kein anderer heimischer Lebensraum dem völligen Verschwinden so nahe wie die Blumenwiesen.
98 Prozent des extensiv genutzten Grünlands ist in den letzten Jahrzehnten verschwunden; durch Umwandlung in Ackerland, durch immer kürzere Mähintervalle (eine Wiese sollte erstmals frühstens Ende Juni gemählt werden) und besonders durch (Über-)Düngung mit Gülle und Kunstdünger. Allein rund 200 Millionen Kubikmeter "Wirtschaftsdünger" werden pro Jahr auf Wiesen und Äcker in Deutschland ausgebracht, das sind mehr als zehn Badewannen voller Gülle pro Einwohner. Das ist nicht nur der Super-Gau für die Artenvielfalt in den Wiesen, sondern führt auch durch den Abfluss zur Überdüngung der Gewässer und verunreinigt dadurch langfristig auch das Grundwasser.
Die staatlich subventionierte Agrarindustrie entwickelte im 20. Jahrhundert immer neue Technologien und Geräte, mit denen selbst bisher nicht nutzbare Feuchtwiesen und Trockenrasen in profitables Wirtschafts-Grünland verwandelt werden konnten. Das führt dazu, dass auch heute noch die wenigen verbliebenen artenreichen Wiesen immer weniger werden. Dabei wäre durch eine geänderte Agrarpolitik die Lösung für das Problem ganz einfach…
Regisseur Jan Haft lässt in "Die Wiese - Ein Paradies nebenan" ein Zwillingspärchen Rehe in deren erstem Jahr einer der Protagonisten des Filmes sein, die ein Leben zwischen Waldrand und Wiese führen und dabei die Zuschauerinnen und Zuschauer mitnehmen auf ihre Abenteuer. Zu sehen ist nicht nur Geburt, Jugend und Erwachsenwerden eines Rehböckchens und eines -kitzes, es gibt auch viel zu erfahren über die faszinierenden Arten, die sich den Lebensraum mit den beiden Rehen teilen.
Die Produktion des Dokumentarfilms dauerte drei Jahre und erforderte 300 Drehtage und über 1000 Stunden im Tarnversteck an etwa 30 Drehorten.in ganz Deutschland. Allerdings wurden große Teile des Films auf dem Gut Klepelshagen der Deutschen Wildtier Stiftung gedreht So entstanden insgesamt über 250 Stunden Drehmaterial.mit außergewöhnlichen Aufnahmen.
″Die Wiese – Ein Paradies nebenan″ besticht mit fesselnden Bildern, gestochen scharfen Makroaufnahmen und farbenprächtigen Zeitraffern. Dadurch ist der Zuschauer in der Lage die Vielfalt auf der Wiese zu sehen und er kann auch die Wichtigkeit einer Blumenwiese für das Ökosystem erst begreifen und dann auch verstehen, welcher Reichtum hier verlorengeht. Doch der Regisseur beschreibt dies alles nicht nur präzise, sondern er gibt auch Hinweise, wie sich die Entwicklung aufhalten lässt. Dabei gibt Jan Haft nicht allein den Bauern die Schuld, denn die Wirtschaftlichkeit gilt nicht nur in der Landwirtschaft als Gradmesser des Fortschritts und dadurch werden auch sie zu vermeintlicher Effizienz getrieben.
Insgesamt ist ″Die Wiese – Ein Paradies nebenan″ eine auch zu später Stunde sehenswerte Naturdokumentation, die auch ein Plädoyer für den Erhalt des kleinen Naturwunders Wiese ist, das durch die industrielle Landwirtschaft bedroht wird. Deshalb: Unbedingt ansehen.
Zusatz: Im Zusammenhang mit der Produktion des Films hat Jan Haft das Buch Die Wiese: Lockruf in eine geheimnisvolle Welt (2019) veröffentlicht, das im gleichen Jahr Platz 18 der Spiegel-Bestsellerliste erreichte.
Foto 1: Hummel-Ragwurz (Ophrys fuciflora) im Blütenstand mit einer Langhornbiene der Gattung Eucera © BR / NDR / Nautilusfilm GmbH / arte / Jan Haft
Foto 2: Artenreiche Vielfalt in einer Sommerwiese © BR / NDR / Nautilusfilm GmbH / arte / Jan Haft
Foto 3: Wiesenpilze: Papageien-Saftling © BR / NDR / Nautilusfilm GmbH / arte / Jan Haft
Info:
Die Wiese – Ein Paradies nebenan (Deutschland 2019)
Genre: Dokumentation, Natur und Umwelt, Deutschland
Filmlänge: ca. 90 Min.
Regie und Drehbuch: Jan Haft
Deutscher Sprecher: Sebastian Winkler
FSK: ab 0 Jahren
″Die Wiese – Ein Paradies nebenan″ wird am Mi. 11.10.2023 um 22:45 Uhr im Rahmen von DOX – Der Dokumentarfilm im BR gezeigt.
Bereits am Mi.11.10.2023 zeigt das BR Fernsehen um 11:20 Uhr mit dem 45minütigen Dokumentationsfilm ″Abenteuer Wildnis: Wildes Deutschland – Der Chiemsee″ (2016) einen weiteren Dokumentarfilm von Regisseur Jan Haft über Bayerns größtem See.
″Die Wiese – Ein Paradies nebenan″ wird auch noch am Sa. 11.11.2023 um 15.55 Uhr und am Fr. 17.11.2023 um 08:55 Uhr bei Arte gezeigt werden. Dort ist er vom 11.11.2023 bis zum 17.11.2023 auch in der Arte-Mediathek abrufbar.