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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Oktober 2023, Teil 2

Redaktion

London (Weltexpresso) – 
Wie würden Sie Harold Fry beschreiben? Wer ist dieser Mann?


Jim Broadbent: Nach außen hin ist Harold Fry ein ganz normaler Typ. Er ist unauffällig, ruhig und unscheinbar. Der Brief aber, den er von seiner alten Freundin bekommt, bringt nach und nach mehr seiner Charaktereigen- schaften und die ganze Komplexität seines Charakters zum Vorschein. Im Laufe der Geschichte wird erkennbar, wer er wirklich ist, welche Probleme er hat und was ihn bewegt. Die Beziehungen mit seiner Frau und zu seiner ehemaligen Kollegin spielen dabei eine große Rolle.

Harold ist offensichtlich keine Figur, die man in wenigen Worten beschreiben kann. Wie ist die Herangehens- weise an eine so komplexe Rolle?

Jim Broadbent: Als Schauspieler ist es viel leichter sich einer Rolle anzunähern, da alles schon im Drehbuch steht. Rachel Joyce, die den Roman „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ geschrieben hat, war frü- her Schauspielerin. Wir standen zusammen auf der Bühne am Sheffield Crucible Theatre in Shakespeares „Das Wintermärchen“. Ich spielte ihren Vater. Das muss 1987 gewesen sein. Als Rachel also dieses wundervolle Buch geschrieben hatte, fragte sie mich, ob ich das Hörbuch einsprechen würde. Daraufhin las ich es drei Mal – zu- nächst als Buch, dann zur Vorbereitung und letztlich bei der Aufzeichnung. Ich kannte es also wirklich gut. Harold Fry kannte ich natürlich auch ziemlich gut, weil er im Roman so schön beschrieben wird mit seiner Zurückhaltung und seinen unscheinbaren Qualitäten. Das Buch und Drehbuch haben die Vorarbeit für mich geleistet.

Wie würden Sie Harolds Beziehung zu seiner Frau Maureen beschreiben?

Jim Broadbent: Harold und Maureen sind schon sehr lange verheiratet. Ihre Beziehung ist jedoch eher statisch geworden und vielleicht etwas steril und unglücklich. Der Mangel an Kommunikation in ihrer Beziehung wurde immer größer und so durchleben sie die Wirren des Ehelebens. Erst im Verlauf der Handlung werden die Gründe für diese eher unglückliche Ehe deutlich. Durch seine Pilgerreise entwickelt sich Harold weiter – und Maureen auch. Das bringt die beiden tatsächlich einander wieder näher und ihre anfängliche Liebe füreinander wird wieder entflammt. Am Ende ist es eine schöne Beziehung.

Und wie ist das Verhältnis zu Queenie Hennessy?

Jim Broadbent: Queenie, sozusagen der Grund für Harolds Reise, ist eine ehemalige Kollegin aus der Brauerei. Sie war dort wie auch Harold im Büro angestellt. Irgendwann musste sie die Firma verlassen, wodurch die beiden den Kontakt zu- einander verloren. Zuvor gab es zwischen den beiden eine ziemlich starke Verbindung. Als Harold Queenies Brief erhält und erfährt, dass es ihr nicht gut geht, spürt er den Drang loszulaufen und seine Unterstützung und sein Mitgefühl zu zeigen.

Inwiefern inspiriert Harolds Reise die vielen Menschen, die er auf seinem Weg trifft?

Jim Broadbent: Auf Harolds Reise von Devon nach Berwick trifft er natürlich auf andere Menschen. Diese sind berührt von seiner Reise und seinem Vorhaben. Vielen, denen er be- gegnet, bringt er dazu, sich über ihr eigenes Leben Gedanken zu machen. Denn er ist ein gewöhnlicher Mann, der eine so außergewöhnliche Sache macht. Das weckt in den Menschen unglaublich viel. Sie schätzen und bewundern ihn und denken über ihr eigenes Leben nach. Ich glaube, das ist in gewisser Weise der Kern des Buches: Hoffnung, Vertrauen und Mensch- lichkeit sowie die Liebe, die Harold durch seinen langen Weg zeigt. Das hat Einfluss auf die Menschen und die Leserschaft und hoffentlich auch das Film-Publikum.

Sprechen wir über ihren Co-Star Penelope Wilton. Was trägt sie zur Rolle der Maureen Fry bei?

Jim Broadbent: Penelope Wilton ist eine wundervolle Schau- spielerin. Ich finde, sie ist absolut ehrlich in allem, was sie tut. Sie ist unfehlbar. Es ist so wundervoll, mit ihr zu arbeiten. Sie ist so klar und subtil und unaufdringlich. Als Maureen ist sie einfach perfekt. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihr geliebt.

Was ist die Botschaft von Harold Fry an seine Mitmenschen und an das Kinopublikum?

Jim Broadbent: Ein wirklich gutes Stück Arbeit zeichnet sich doch dadurch aus, dass jeder etwas Unterschiedliches davon mitnimmt. Es ist nicht offensichtlich oder klar. Manche Men- schen werden es sehr bewegend finden und sich mit Harold identifizieren. Andere werden seine Reise eher herausfor- dernd finden, was sie auf eine andere Art und Weise beein- flussen wird. Vielleicht finden sie es ein bisschen unange- nehm oder schwierig, mit dem umzugehen, was er tut. Aber ich finde, das macht ein gutes, komplexes und interessantes Werk aus.