tovaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. November 2023, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das ist kein Film wie andere und das kann auch keine Filmkritik wie andere sein. Wenn man den sprachlichen Zusammenhang von Holocaust und Miss-Wahlen, also Schönheitswettbewerben hört, ist man erst mal kurzfristig schockiert. Doch, wenn man sich den Ablauf anschaut, ist das völlig anders, man hört bewegt zu und ist voller Bewunderung für die gezeigten Überlebenden, die eine herrliche Provokation für alle – leider noch immer – vorhandenen Nazis darstellen, denn sie sind nicht umzubringen, werden immer älter, überleben einfach und werden nur irgendwann auf natürliche Weise die Erde verlassen. Echte Bewunderung.

Wie gut, daß der Filmemacher Radek Wegrzyn gleich zur Stelle war, denn die von der israelischen Therapeutin Izabela Grinberg konzipierten Miss-Holocaust- Überlebenden-Wahlen haben erst 2017 in Haifa begonnen und 2019 war erst mal durch Corona Schluß. Das Konzept der Therapeutin sieht vor, daß im Lauf des Wettbewerbs all die im kindlichen Alter erlebten Schreckensmomente, der Horror, dem sie ausgesetzt waren, die Verluste von Vater, Mutter, Geschwister, was alles zusammen ein Lebenstrauma darstellt, eine Hilfe zur Bewältigung darstellen kann. Daß dies nie völlig geschehen wird, ist sowieso allen klar. Aber es geht einfach darum, die letzten Lebensjahre für diese Frauen so schön, so unterhaltsam, so kommunikativ wie möglich zu machen. Und stolz darf man auch sein, wenn man Siegerin oder Zweite oder Dritte wird, wobei aber für alle, so formulieren sie das, Dabeisein schon alles ist. Schließlich wissen die Betroffenen genau, um was es geht und was hinter ihnen liegt. Sie kennen sich zudem, weil die meisten in einem Alterheim in Haifa leben.

Wir machen immer den Tod, das Vergasen zum Thema, weshalb Überlebende von uns als glücklich diesem Tod entgangen erlebt werden. Wenn wir ihre Schreckgeschichten anhören oder lesen, wird der körperliche Aspekt immer zu wenig angesprochen. Klar, weil allein die psychische Situation einem vorrangig erscheint. Aber in Wirklichkeit waren diese weiblichen Überlebenden meist der willkürlichen Gewalt von Männern ausgesetzt. Sie wurde als Stück Fleisch behandelt, wurden mißhandelt, mißbraucht, also vergewaltigt, und was sonst an sadistischen männlichen Verhaltensweisen noch in den KZs üblich war.

Wir lernen insbesondere drei Frauen - der zwölf Frauen - im Wettbewerb näher kennen: Rita Kasimow-Brown, Tova Ringer und Madeleine Schwartz. Ihre Geschichten sind eingebaut in das filmische Verfolgen der vier Vorbereitungstage und dann dem abschließenden Wettbewerb. Man hört dabei Dinge, die man nicht für möglich hält und auch wenn man sich ein Leben lang mit den Naziverbrechen, den nie zu verstehenden Ermordungen von harmlosen Menschen, die an der Rampe in KZs für den sofortigen Tod in den Gaskammern oder den späteren aussortiert wurden, beschäftigt hat, sind es doch immer wieder Einzelschicksale, die dem allgemeinen Grauen ein Gesicht geben.

Ritas Geschichte und ihr Überleben hat sie selbst erst vor kurzem schriftlich festgehalten und man kann es sowohl beim Lesen wie hier im Film beim Hören nicht fassen. Ein genialer Vater hat für seine Familie, darunter die siebenjährige Rita, ein Erdloch im Wald weiter ausgehoben und darin haben fünf Personen 19 Monate lang eng aneinandergeschmiegt überlebt. Allein, wenn man hört, daß Rita danach nicht normal gehen konnte, nur kriechen, weil die Beine sie nicht mehr trugen, ist man erschüttert. Aber der ganze Film hat nicht die Absicht, uns mit dem Holocaust tiefer zu quälen, sondern richtet sich in der Tat auf die Auswege, die diese Frauen gefunden haben, um so gut, wie es geht, zu überleben.

So kommt es, daß man den Mund nicht mehr zubekommt, wenn Tova von ihren täglichen Übungen berichtet, sie betreibt den Sport ernsthaft und sie wird dann auch Siegerin, was aber nicht so wichtig ist. Tova ist eine positiv gestimmte Frau, die mit Kraft und Lebenslust auch mit 95 Jahren für alle älteren Frauen ein Vorbild ist! Sei spricht ihre Gedanken genauso frank und frei aus wie Madeleine, die mit 77 Jahren – sie wurde also im KZ gezeugt – immer noch Mathematik unterrichtet. Sie will noch etwas tun, nützlich sein.

Man kann unter Gesichtspunkten der Analyse eines Films natürlich negativ anmerken, daß der Wettbewerb selbst, nämlich die Auswahl durch die Jury überhaupt keine Rolle spielt. Aber das fände ich albern, denn wir wollen ja gar nicht den Wettbewerb näher untersuchen, sondern froh sein, daß geknechtete und gedemütigte Frauen, die überleben durften, sich noch so bewähren können und auftrumpfen. Es ist nämlich längst ein nicht zu lösendes Rätsel, wie es kommt, daß sehr viele der KZ-Überlebenden – die es nicht mehr lange geben kann und wird – früh gestorben sind, etliche auch durch Selbstmord, weil das Weiterleben angesichts der unzähligen Toten nicht lebbar schien. Und gleichzeitig ist auffällig, wie viele KZ-Überlebende richtig alt werden, die hundert Jahre schaffen und noch mehr.
Von daher liegt mir eine Kritik an der Veranstaltung, der überlebenden Miss Holocaust im Schönheitswettbewerb fern; ich bin froh, über jede Gelegenheit, die diese Frauen noch haben, sich in ihrem Leben zu bewähren und glücklich zu sein. Und das bildet der Film ab.

Ich konnte den Film in einer Veranstaltung am 1. November im Mal Seh’n Kino in Frankfurt verfolgen. Zwar war der Regisseur trotz Ankündigung aus Krankheitsgründen nicht anwesend, aber doch auf der Leinwand zu sehen, in einem Gespräch, das Daniel Hofmann, der Kinobetreiber Gunter Deller und dann auch noch das Publikum mit dem Regisseur führen konnten. Sehr beeindruckend, dabei gewesen sein zu dürfen. 


Foto:
©Verleih
©Redaktion
Radek Wegrzyn wurde von der Leinwand abfotografiert beim digitalen Gespräch über seinen Film im Mal Seh'n Kino am 1.11.23

Info:
Stab
REGIE/ DREHBUCH        Radek Wegrzyn
KAMERA                          Matthias Bolliger, Ciril Tscheligi

SZENEN AUS RITAS TAGEBUCH


DARSTELLERINNEN

JUNGE RITA        Valeria Loktew, Selma Schmidt,
RITAS VATER        Eike Bänsch
RITAS MUTTER    Julia Berger
OBERBELEUCHTER       Marco Minwegen
SZENENBILD                  Katharina Zerr
KOSTÜMBILD/MASKE  Thora Geissler