oakSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. November 2023, Teil 9

Redaktion

Frankfurt am MaIn (Weltexpresso) - Dave Turner (59) wurde in Blaydon, einem Vorort von Newcastle upon Tyne, geboren. Er war lange Jahre als Feuerwehrmann und Gewerkschaftsfunktionär tätig, zuletzt arbeitete er in einem Pub eines Bergarbeiterorts im Nordosten Englands. Nachdem er bereits für ICH, DANIEL BLAKE und SORRY WE MISSED YOU für kleinere Rollen in Ken Loach-Filmen besetzt wurde, spielt er nun in THE OLD OAK seine erste Hauptrolle.

  

Wie sind Sie zur Besetzung gekommen? 

Das ist eine lange Geschichte, die schon zwei Filme früher begann. Bevor ich 2014 aus dem Feuerwehrdienst ausschied, war ich dort hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär und als Ken Loachs Produktionsfirma Sixteen Films im Nordosten nach Darstellern für ICH, DANIEL BLAKE suchte, schickten sie auch einige Anfragen an die örtlichen Gewerkschaften. Ein Freund eines Freundes schlug mich vor und dann traf ich mich mit Ken Loach in einem Gewerkschaftsclub in Newcastle. Wir unterhielten uns und ich wurde dann drei- oder viermal zum Vorsprechen eingeladen. Er gab mir eine kleine schöne Rolle in ICH, DANIEL BLAKE und als sie dann zurück in den Nordosten kamen, um SORRY WE MISSED YOU zu drehen, meldeten sie sich erneut und gaben mir wieder eine kleine schöne Rolle. Danach wurde es für eine Weile still, aber Paul [Laverty] blieb in Kontakt mit mir und Anfang 2019 fragte er, ob wir uns auf einen Kaffee treffen könnten.

Wir unterhielten uns über den Pub, in dem ich zu der Zeit arbeitete, und über die Probleme der Bergbaudörfer in Durham, die man einfach verfallen ließ. Zusammen fuhren wir durch einige der Dörfer, und er sah mit eigenen Augen, wie schlimm das wirklich ist. Das war Anfang 2019. Er besuchte mich auch im Pub, in dem ich arbeitete, und verbrachte dort einige Stunden, beobachtete die Gäste und unterhielt sich mit ihnen. Der Pub hieß tatsächlich „The Oak Tree“. Ein paar Monate später kam dann der Anruf und die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, ein paar Stunden mit Ken Loach durch die Dörfer zu fahren. Natürlich konnte ich mir das vorstellen, natürlich haben wir das gemacht, und wir sind dann gemeinsam mit Paul durch die Gegend gefahren und schon da konnte man spüren, dass der Film in ihren Köpfen immer mehr Gestalt annahm. Dann allerdings kam erstmal die Corona- Pandemie, aber auch in dieser Zeit hielten Paul und Ken den Kontakt aufrecht.  

2021 wurde dann klar, dass es weiter geht und ich tatsächlich die Rolle spielen sollte. Bei den vielen Vorsprechen, zu denen ich eingeladen war, ging es um viele ernste Themen: häusliche Gewalt, Rassismus, Drogenmissbrauch. Eine witzige Rolle würde das nicht werden, dachte ich, und beim letzten Vorsprechen haben wir dann sieben Szenen an einem Nachmittag durchgespielt, die meisten davon mit Leuten, die dann auch im Film eine Rolle haben. Ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern. Danach war ich komplett ausgelaugt, landete in einem Pub gegenüber meinem Hotel in Newcastle und musste erstmal ein Bier trinken, um mich zu sammeln. Und kurz vor Weihnachten kam dann der Anruf von Ken, dass ich die Rolle habe.


Was genau haben Sie sich denn unter diesem TJ vorstellen können? Es gibt ja bei Ken Loach und Paul Laverty kein festes Drehbuch, das vorher schon so ziemlich alles Entscheidende verrät.

Ich kannte seinen Namen; ich wusste, dass er eine Kneipe besaß, die ihm von seiner verstorbenen Mutter vererbt worden war. Ich wusste, dass sein Vater gestorben und seine Ehe zerbrochen war. Und damit gab es natürlich auch einige Überschneidungen zu meinem Leben. Ich lebte nicht mehr mit meiner Frau und meinem Kind zusammen und ich habe in einem Dorfpub gearbeitet, der aus dem letzten Loch pfeift. Das war es im Grunde.

Wie würden Sie TJ jetzt beschreiben?

Er ist ein guter Kerl. Nachdem sein Vater bei einem Bergwerksunglück ums Leben kam, kaufte seine Mutter von der Entschädigung den Pub. Mittlerweile ist auch sie seit 20 Jahren tot und er führt den Pub weiter. Seine Ehe ist zerbrochen, er kommt auf keinen grünen Zweig und der Pub hat, wie fast alle Dorfkneipen in der Gegend, eigentlich keine Chance mehr. TJ hat viel durchgemacht und ist kurz davor aufzugeben. Früher hat er die Fußballmannschaft im Dorf organisiert, war aktiver Teil der Gemeinschaft, aber mittlerweile hat er sich völlig zurückgezogen. Als dann eines Tages einige syrische Familien in das Dorf kommen, beginnt die Geschichte.

Wie reagiert TJ auf die ankommenden syrischen Familien in seinem Dorf?

Eigentlich will er sich nicht mehr einmischen. So habe ich ihn gespielt, auch weil ich das gut nachvollziehen konnte. Ich war lange Jahre Gewerkschaftsfunktionär, aber als ich in den Ruhestand ging, war ich einfach erschöpft. Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht, dann hat man nicht mehr das gleiche Engagement, wie wenn man dreißig Jahre jünger ist. Die Kraft ist nicht mehr da, die Enttäuschungen haben ihre Spuren hinterlassen. So bin ich an TJ herangegangen, aber dann entwickelt sich diese Beziehung zu diesen beiden Frauen, zu Ebla Maris Yara sowie zu Laura, gespielt von Claire Rodgerson, mit der ich auch einige gemeinsame Vorsprechen hatte. Diese jungen Frauen reißen ihn aus seiner Lethargie heraus und er fängt wieder an, sich zu engagieren. Doch gerade als er wieder ein bisschen Oberwasser bekommt, erlebt er unverschuldet ein paar Rückschläge und wird wieder zurückgeworfen.

Wie nahe fühlen Sie sich TJ?

Ich war ihm so nahe, dass es schon fast zum Problem wurde. Ich bin TJ geworden - damit musste ich mich im Laufe der Dreharbeiten oft auseinandersetzten. Ich bin eben kein echter Schauspieler, das gehörte ja auch dazu. Der erste Drehtag am Strand mit dem Hund war nicht sonderlich schwierig, aber schon der zweite Drehtag war dann eine Szene im Pub mit vielen  anderen und ich hatte das Gefühl, dass ich nicht wirklich hierhin gehörte. Man sitzt da und redet mit Leuten, die seit Jahren als Schauspieler arbeiten und verdammt gut sind. Und ich komme einfach daher und habe die Hauptrolle in einem Ken Loach-Film. Rückblickend habe ich erkannt, dass ich da echte Schuldgefühle hatte. Ich kam mir vor, als wäre ich fehl am Platze. Wir haben die ersten drei Wochen gebraucht, um das zu überwinden. Das war eine sehr anstrengende Zeit und ich habe mich eigentlich erst wirklich gefangen, als Ken zu uns sagte: „Es ist nicht leicht, es jetzt zu genießen, aber ihr werdet irgendwann mit Freude auf diese Zeit zurückblicken.“ Und er hatte Recht.

 

DAVE TURNER (TJ Ballantyne)

FILMOGRAPHIE

2023 THE OLD OAK
2019 SORRY WE MISSED YOU
2016 I, DANIEL BLAKE (ICH, DANIEL BLAKE)

Foto:
© Verleih


Info:
THE OLD OAKLaufzeit: 114 Minuten Kinostart: 23. November 2023Im Verleih von Wild Bunch Germany

BESETZUNG
TJ Ballantyne.    Dave Turner 
Yara.                   Ebla Mari
Laura                  Claire Rodgerson 
Charlie                Trevor Fox
Vic.                     Chris McGlade        

 

STAB
Regie.   Ken Loach
Drehbuch. Paul Laverty


Abdruck aus dem Presseheft