VERSO SUD 29 vom 24. November bis 6./30. Dezember im Kino des DFF Frankfurt, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das italienische Filmfestival VERSO SUD findet also zum 29sten Mal statt! Und seien wir ehrlich: es ist wichtiger denn je. Denn anders als vor 29 Jahren ist heute der italienische Film in deutschen Kinos fast überhaupt nicht mehr zu sehen. Nicht, weil er schlechter geworden wäre, sondern weil die Verträge mit amerikanischen Verleihern auf dem Wege, daß wir alle Amerikaner werden, nur noch außerhalb Hollywoodfilmen einige französische Komödien und englische Sozialdramen zulassen – und dann solche Raritäten wie SMOKE SAUNA SISTERHOOOD aus Estland, heute besprochen.
Eigentlich war VERSO SUD auch für die hiesige italienische Gemeinde ein Zubrot aus Rom, denn das dortige Ministerium unterstützt mit diesem Frankfurter Festival auch die italienische Filmindustrie. Aber über den Kreis der Italienstämmigen hinaus, hat sich VERSO SUD einfach einen Namen gemacht. Irgendwann kam zu den neuesten italienischen Filmen, für die VERSO SUD steht, auch die Idee einer Hommage hinzu. Im letzten Jahr Fellini, einfach ein Fest! Und auch dieses Jahr ist mit Claudia Cardinale eine Schauspielerin im Mittelpunkt, die ihrerseits zu den großen Stars der Filmwelt gehörte. Das waren Zeiten, wo in den Schulklassen auf einmal im Schnitt drei Mädchen Claudia hießen!
Inzwischen leitet Andreas Beilharz (links) das Festival und es ist wichtig, daß wieder eine Person langfristig als Ansprechpartner vorhanden ist. Er selber hat nun mit vielen Personen zu tun, das war selbst bei der Eröffnung ersichtlich.
Es begrüßte die Direktorin des DFF , Ellen Harrington, im Titelfoto, die Gekommenen und überließ schnell das Wort Andreas Beilharz, der die wichtigsten Programmpunkte nannte und die geladenen Gäste begrüßte. Das waren der neue italienische Generalkonsul in Frankfurt Massimo Darchini (rechts), der sich freute, bei dieser Gelegenheit sein Heimatland zu repräsentieren, das war wie immer Franco Montini, Made in Italy aus Rom, der das Programm mitgestaltete und das war mit Claudia Squitiero die Tochter der Claudia Cardinale, der diesjährige Hommage gilt – und das nicht nur in Frankfurt. Eine Filmreihe der geborene Schauspielerin wird nach Frankfurt an vielen Stätten zu sehen sein; dafür wurde ein eigener zehnminütiger Kurzfilm über CC, wie sie in Anlehnung an BB, Brigitte Bardot, genannt wurde, erstellt: UN CARDINALE DONNA von Manuel Maria Perrone. Außerdem hat die Tochter Claudia einen Bildband über ihre Mutter Claudia herausgegeben, auf den wir noch zu sprechen kommen.
In dem Gespräch sprach die Tochter Claudia sehr warmherzig über ihre Mutter, mit der sie jetzt wieder zusammenlebt. Der erwähnte Film über die 84jährige Schauspielerin ist mir zu gewollt. Da wird inszeniert und eine Atmosphäre von Geheimnis und Schweigen erzeugt, der Substanz vermissen läßt und leider keine Aussage über die heutige Claudia Cardinale zuläßt, weil sie außer einer Dankesgeste über eine Zigarette, nichts sagt. Ihr Schweigen aber hat nichts Geheimnisvolles, sondern ist irritierend.
Aber offensichtlich ist, daß Claudia Squitiero der Motor, der - völlig zurecht - Claudia Cardinale noch einmal in die Öffentlichkeit bringt. Diese war als junge Frau erst aus Tunis, wo sie geboren und aufgewachsen war, nach Italien gezogen, wo sie sofort reüssierte und fast gegen ihren Willen - sie. hielt sich für unprofessionell - zur Schauspielerin wurde. Sie sprach vom gemeinsamen Leben und den Stationen der Karriere ihrer Mutter. Am Tisch saß auch Franco Montini (rechts) , dessen größerer Auftritt am folgenden Tag kam. Auch Claudia Squitiero kommentierte am folgenden Tag einen weiteren Film ihrer Mutter, der ihr der wichtigste war.
Aber bevor der Film LA RAGAZA DI BUBE losgeht, muß noch Martina Grones , jeweils in der Mitte im Foto, aus Köln erwähnt werden, die wieder so kundig und perfekt übersetzte, daß es einfach eine Freude war.
Der Film selbst ist eine Überraschung, weil der Film von 1964 die frühe Nachkriegszeit Italiens thematisiert, nichts, was wir oft im Kino sähen. Die meisten kennen noch aus dem Geschichtsunterricht die Partisanen, die im von den Deutschen besetzten Italien gegen die Besatzer kämpften. Dabei ging es heiß her, mit vielen Toten. Was die einen einen Mord nannten und ein Verbrechen, war den anderen eine Heldentat. Auf jeden Fall ist der Partisan Bebo (George Chakiris) in einen Doppelmord verwickelt und wird in einem Prozeß zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Zuvor allerdings hatte er Mara (Claudia Cardinale) aus der Toskana kennengelernt , die Schwester eines Freundes und beide - links im Foto - sind ineinander verschossen, als er wegen des Mordes ins Ausland fliehen muß. Der Film folgt dem Roman von Carlo Cassola von 1960. Mara hält ihm die Treue. Eine Weile. Doch dann zieht sie in die Stadt und wir erleben etwas, was selten in einem Film passiert und hier absolut wahrhaftig rüberkommt. Sie trifft auf Stefano (Marc Michel), der sie erst verehrt und dann liebt. Er tut ihr gut und sie findet ihr Selbstvertrauen wieder und wirkt glücklich mit ihm. Wie weit die Beziehung geht, ist nicht ersichtlich, aber man spürt die kommende Liebesbeziehung, zumal sie von Bebo nichts hörte, bis auf einmal ihr Vater ihr berichtet, daß dieser an der Grenze verhaftet worden sei und im Gefängnis sei.
Sie besucht ihn und weiß, daß sie an seiner Seite stehen muß, denn er ist völlig paralysiert durch den kommenden Prozeß, der so ausgeht, wie befürchtet: 14 Jahre Haft.
Bei einem erneuten Zusammentreffen mit Stefano weiß sie, wie gerne sie mit ihm leben würde, aber wichtiger ist ihr die Hilfestellung für Bebo, dessen Mädchen sie eben ist.
Der Film verzichtet wohltuend auf alle Peinlichkeiten, die aus dem Thema hätten entstehen können. Da ist kein Pathos und keine Falschheit, einfach eine junge Frau, die sich ihrer Gefühle bewußt ist, aber weiß, wie sie handeln muß. Claudia Cardinale macht das hervorragend. Sie ist eine kritische, junge Frau, frech, verwegen und mit großer Erwartung an die Zukunft. Nichts da mit Lächeln in dem Jungmädchengesicht. Eher nachdenklich, immer wieder auch mürrisch und dann gibt es Augenblicke im Film, da sieht man nicht Claudia Cardinale auf der Leinwand, sondern glaubt, Jeanne Moreau zu erkennen. Das liegt daran, daß die elf Jahre ältere französische Schauspielerin eine gewisse weibliche Souveränität in ihre Rollen integrierte, so daß sie nie als Anhängsel von Männern, sondern immer als sich selbst bestimmende Frau auftrat. Und so auch Claudia Cardinale, die eben nicht Bebo’s Girl ist, sondern ihr eigener Mensch.
Fotos:
©Redaktion und Verleih
Info:
24. Januar 1964 (Italien)
Regisseur: Luigi Comencini
Darsteller
Claudia Cardinale als Mara
George Chakiris als Bube
Marc Michel als Stefano
Dany Paris als Liliana
Monique Vita als Ines
Carla Calò als Maras Mutter
Emilio Esposito als Maras Vater
Bis zum 6. Dezember laufen die zeitgenössischen italienischen Filme im Rahmen von Verso Sud, bis zum 30. Dezember die Hommage an Claudia Cardinale, deren ausgewählte Filme im Dezember ein zweites Mal gezeigt werden.