VERSO SUD 29 vom 24. November bis 6./30. Dezember im Kino des DFF Frankfurt, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war mir dann schon fast peinlich, beim Zuschauen zu registrieren, daß ich mit ständigem Lächeln das Geschehen auf der Leinwand betrachtete. Aber wie gut daß dies im Dunkeln geschieht, da sieht es ja niemand. Hätte ich die Gefühle zum Spiel auf der Leinwand aussprechen müssen, hätte ich gesagt: „Wie süß, einfach süß!“
Und damit ist das Zusammenspiel der leichtgläubigen, lebenslustigen jungen Frau, einer aufstrebende Soubrette Aida mit dem Jüngling, den der blonde Jacques Perrin gibt, gemeint. Es gibt eine Anbetung des anderen Geschlechts in Jugendtagen, das so ungestüm wie einem selbst peinlich ist und auf Erwachsene einfach rührend wirkt. Und man kann die Kunst der Darstellung, die das Drehbuch von fünf!Männern, darunter Regisseur Valerio Zurlini in Gang setzt, nur bewundern, weil die Geschichte nicht geschauspielert wirkt, sondern alles wia im richtigen Leben, was Heinrich Heine festgehalten hatte: Ein Jüngling
Also von vorne. Schon die erste Einstellung vergißt man nie. Wie oft beginnen filme mit vorüberschießenden Eisenbahnzügen. Rechts kommt aus dem Nirgendwo ein solcher Zug, immer näher, er wird größer, jetzt ist er auf der Höhe des Betrachters, das heißt auch, daß er jetzt nach links weiterfährt, sich entfernt und hier kommt auf der parallel zu den Gleisen befindlichen Straße im selben Tempo der Entfernung des Zuges ein Auto in der entgegengesetzte Richtung, also zu uns, schon bekommt man Angst, man würde überfahren und dann hält der Wagen gerade mal einen Meter vor uns an. Man atmet auf. Eine tolle Kamera.
Halten mußte der junge schmucke Fahrer, weil die junge Frau an seiner Seite, besagte Aida, mal mußte, was in den Büschen trotz der hohen Schuhe und des weiten Rockes gut ging. Aber zwischen den beiden stimmt die Chemie nicht. Der Fahrer ist unverschämt, sie beleidigt und teilt verbal aus. Kurzerhand hält er an und läßt sie mit ihrem Koffer auf der Straße stehen. Seinen Wagen läßt er vor einem eleganten Palazzo stehen und betritt ein Haus, das wir nur noch aus Filmen kennen, mit Riesenvestibül und eleganten Treppenaufgängen, Gemälden, Büchern, Teppiche etc. Aha, der junge Herr ist ein Sohn des reichen Hauses, der sich mit einer Soubrette vergnügt hatte und sich nun verleugnen läßt, als diese den Wagen vor dem Haus entdeckt und nachfragt. Ach ja, er hatte ihr auch einen falschen Namen genannt.
Doch die junge Frau gibt nicht auf, sie hat Köpfchen und Menschenerfahrung. Wir erfahren, daß sie dieses jungen Mannes wegen ihr Engagement an anderem Ort einfach aufgegeben hatte, sich dort auch nicht mehr blicken lassen kann. Sie steht ohne Geld da. Aber der 17jährige Bruder des Verführers hat ihre Not erkannt und sich sofort in die temperamentvolle junge Frau verliebt. Ein schlechtes Gewissen hat er auch, denn er weiß, daß sein Bruder der Fiesling ist, der Aida in diese Situation gebracht hat. Im Programmheft steht daß Aida den jungen romantischen Bruder verführt. Das stimmt nicht. Wir sehen etwas anderes., Der Junge betet die Schönheit an und die erlebt ein männliches Wesen, daß sie nicht sofort flachlegen oder sich mit ihr schmücken will, sondern es gut mit ihr meint, ihr helfen will. Er weiß, daß sie kein Geld hat, organisiert welches, was zu Hause aufführt. Zu Hause, das ist auch wichtig, gibt es keine Mutter mehr und der Vater arbeitet auswärtig. Eine Tante führt das Haus und merkt nach und nach, daß mit dem Jungen etwas nicht stimmt.
Es lohnt nicht, die Geschichte weiterzuerzählen, weil das Entscheidende gesagt ist: Aida ist ein Gefühlsmensch und gleichzeitig hat sie gelernt, wie Männer ticken: so ist sie genauso clever, wie sie naiv und verführbar ist. Aber sie hat ihre Grundsätze. Es ist nur schwer, die immer durchzuhalten, wie hier iIm Zusammenspiel eines verliebten Jungen, der mit großen Augen an der Angebeteten hängt und diese sich in der Gefühlswoge von einem, der nicht als Macho daherkommt, nur solche kennt sie, einfach wohl fühlt und ihn näher an sich heranläßt.
Aber die Gesellschaft duldet so etwas nicht. Die Familie ist alarmiert und mit Hilfe des Priesters schlägt die heilige Institution Familie+Kirche zurück, die junge Frau wird abgewiesen, des Ortes verwiesen und als ihr der Junge dann auch noch Geld zusteckt, das sie zuvor immer abgelehnt hatte, hat die harte, schnöde Wirklichkeit die jugendliche Liebe eingeholt. The same procedure as every man.
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Verleih
Info:
Regie Valerio Zurlini
Darsteller
Claudia Cardinales, Jacques Perrin, Corrado Perrin
Italien/Frankreich 1961, 121 Minuten