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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. Januar 2024, Teil 2

Redaktion

London (Weltexpresso) - Was hat Sie zu diesem Film inspiriert?


Hauptsächlich haben mich die Träume inspiriert, die ich hatte, als ich meine Tochter erwartete. Zu- dem wollte ich auch ein bestimmtes Thema, das ich in meinem ersten Film behandelte, weiter erforschen: die „Kommerzialisierung von allem“ in den USA, von den Seelen bis zu den Gebärmüttern... Eine große Inspirationsquelle war auch die BBC-Dokumentarserie „The Century of the Self“ von Adam Curtis, die einen unglaublich interessanten Blick auf den Konsumismus und die Psychoanalyse der USA seit den 1930er Jahren wirft.

Wann wurde aus der Idee ein Drehbuch?

Vor vielen Jahren wollte ich einen ziemlich ehrgeizigen Science-Fiction-Film über künstliche Gebärmütter nach dem Vorbild des Romans „Schöne neue Welt“ (1932) drehen, aber das Budget reichte nicht aus. Der Gedanke an abnehmbare Gebärmütter kam mir immer wieder in den Sinn, und die lebhaften Träume, die ich während mei- ner Schwangerschaft hatte, beschäftigten mich irgendwie immer noch. Ich musste oft darüber nach- denken. Ich spürte, wie anders die Psyche einer schwangeren Frau ist, als ob das Unterbewusstsein uns symbolisch auf die Geburt vorbereitet. Irgendwie gibt es während der Schwangerschaft mehr Dialog zwischen dem Unterbewusstsein und dem Bewusstsein, mehr Kanäle scheinen geöffnet zu sein. Das Gehirn arbeitet vielleicht auf einer anderen Wellenlänge. Ich wollte dieses Gefühl weiter erforschen und eine Satire über die Beziehung machen, die wir zur Technologie entwickelt haben. Also richtete ich meine anfänglichen Bemühungen neu aus und entschloss mich, einen etwas begrenzteren Film zu drehen, der sich hauptsächlich auf ein Paar konzentriert, das sich für die künstliche Gebärmutter entscheidet, ähnlich meines ersten Films COLD SOULS.

Der Film enthält eine durchaus reale Vorstellung von unserer nahen Zukunft. Wie haben Sie sich bei der Entwicklung des Drehbuchs auf die technologische Welt von morgen vorbereitet bzw. recherchiert?

Während des Drehbuchschreibens habe ich oft gescherzt, dass ich „in die Zukunft recherchiere“. Deshalb liebe ich es, an Science-Fiction-Geschichten zu arbeiten. Es war eine Mischung aus dem, was wir bereits wissen, Vorstellungskraft, Gesprächen mit einigen Leuten aus dem Silicon Valley, Lektüre über Technik und vor allem ein Blick in die Vergangenheit. Alles, was jetzt geschieht, wurde bereits mehr oder weniger von der griechischen Mythologie vorhergesagt. Die Natur des Menschen hat sich in mehr als 2.000 Jahren nicht so sehr verändert: unsere Faszination an der Hybris, die Mythen von Ikarus und Sisyphos usw. sind ungeheuer hilfreich, um sich auch die Zukunft vorzustellen. Meine wichtigste Intuition für diesen Film war, dass die zukünftige Technologie wahrscheinlich das Organische und das Digitale so weit wie möglich verschmelzen würde, um eine Welt zu schaffen, die visuell verlockend, höchst verführerisch, aber auch extrem verwirrend ist.

Es ist eine komplexe Geschichte. Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Entwicklung des Drehbuchs, aber auch bei der Produktion des Films?

Die Hauptschwierigkeit bestand wohl darin, diese Welt mit einem Indie-Film-Budget glaubhaft umzusetzen. Wir mussten mit dem Produktionsdesigner Thomas Price-Clement sehr kreativ sein, um alles auf dem Bildschirm mit einem Minimum an VFX glaubhaft und höchst verführerisch zu machen, damit die Technik zu einer Art Fetisch wird. Eine weitere große Herausforderung war es, den Ton zu treffen. Ich fühle mich immer zu Geschichten hingezogen, die einen Hauch von Verzweiflung haben. Am meisten reizt mich die Tragikomödie, weil sie meiner Meinung nach der Lebenserfahrung am nächsten kommt, aber es ist sehr schwer, sie umzusetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelungen ist, aber ich liebe die Herausforderung, mit solch einem doppelten Ton zu arbeiten.

Ihr Film spricht viele Themen an, die unsere Gesellschaft beschäftigen, wie z.B. die Selbst- bestimmung der Frau, eine zunehmend technologieorientierte Gesellschaft, aber auch die Abkehr von der Natur. Sie haben den satirischen Weg gewählt, um all diese Themen anzusprechen. Warum?

Ich lebe seit 20 Jahren in den USA, und das ist der einzige Weg, den ich gefunden habe, um mit der Realität um mich herum fertig zu werden! Amerika ist für mich eine Art Utopie, die auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft bereits dystopisch geworden ist. Es ist ein unglaublicher Ort für Innovation und Kreativität, aber es ist auch ein brutaler Ort, an dem die Regulierung erst dann erfolgt, wenn es oft schon zu spät ist. Die Amerikaner werden von den Unternehmen ausgepresst: Sie essen Lebensmittel, die manchmal kaum noch etwas mit Lebensmitteln zu tun haben, ihnen wird der Traum verkauft, dass Konsum sie glücklicher macht. Sie müssen ein Vermögen bezahlen, um eine Hochschulausbildung oder Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Natürlich gibt es viele positive Aspekte dieser Gesellschaft, wie ihre Vielfalt, ihre Neigung, sich neu zu erfinden, usw., aber es gibt auch sehr besorgniserregende Aspekte, die ein großartiges Thema für Science- Fiction, Satire usw. sind.

Wir haben gesehen, was die sozialen Medien der amerikanischen Gesellschaft angetan haben (von psychischen Problemen bei Teenagern bis hin zur Störung der Demokratie usw.). Und mit der KI geht nun alles wieder von vorne los. Keine Lehren werden daraus gezogen. Meiner Meinung nach sind Humor und Satire die einzige Möglichkeit, die Dinge zu betrachten, um nicht in tiefe Melancholie zu verfallen. Einer meiner französischen Lieblingsschriftsteller, Boris Vian, hat das so schön ausgedrückt. Er sagte: „L‘humour c‘est la politesse du désespoir“ („Humor ist die Höflichkeit der Verzweiflung“).

Und was möchten Sie mit Ihrem Film weitergeben oder anregen?

Es wäre großartig, wenn wir beim Anschauen des Films darüber nachdenken würden, wie viel wir bereit sind, aus Bequemlichkeit an die Technik abzugeben. Was sind die ethischen und philosophischen Implikationen hinter der Tatsache, dass wir bereitwillig mehr und mehr unserer Fähigkeiten für den „Fortschritt“ aufgeben. Die GPS-Technologie ist eine großartige Metapher und ein gutes Beispiel. Es ist fantastisch, dass unsere Telefone oder Navigationssysteme im Auto die Orientie- rungsarbeit für uns übernehmen, damit wir uns nicht verirren, aber jetzt haben die meisten von uns die Orientierungsfähigkeit verloren, die eine ganz wichtige Eigenschaft unseres Gehirns ist. Und die extreme Version davon wird in dem Film erforscht: künstliche Therapie, kognitive Assistenten, abnehmbare Gebärmütter usw. Was verlieren wir jedes Mal, wenn wir eine neue Technologie akzeptieren? Was ist der echte Preis, den wir als menschliche Wesen zahlen? Ist nicht in Millionen von Jahren der Evolution etwas Wichtiges in unseren Gehirnen entstanden, das wir im Bruchteil einer Sekunde loslassen können? Wer profitiert wirklich davon? Ich denke, der „Pod“ im Film könnte einfach eine Allegorie sein und für viele dieser Dinge stehen, die wir externalisiert und losgelassen haben.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie & Drehbuch   Sophie Barthes
Besetzung
Rachel Novy.  Emilia Clarke
Alvy Novy.    Chiwetel Ejiofor
Alice.             Vinette Robinson
Linda Wozcheck.   Rosalie Craig 
Gründer Pegazus.  Jean-Marc Barr 
Ben.   Jelle De Beule


Abdruck aus dem Presseheft